GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten – Nr. 11. Monika Niehaus

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GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten – Nr. 11 - Monika Niehaus GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten

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irgendwo in dieser Galaxis.«

      Der Sternenfahrer rutschte unruhig auf der Bank hin und her. Ralf konnte ihm ansehen, dass er sich das Gespräch ganz anders vorgestellt hatte. Wie hätte er auch etwas anderes außer begeisterte Zustimmung zu seiner Einladung erwarten können, schließlich führten sie hier ein Leben, das von Stillstand geprägt war, der für ein fahrendes Volk gleichbedeutend mit der Vorstufe des Todes ist. Was lebt, hieß es bei ihnen immer, bewegt sich. Nur das Tote wird starr. Ralf wusste, wie der junge Sternenfahrer dachte, denn noch vor kurzem hätte er ganz ähnlich geurteilt. Aber in den letzten Jahren hatte sich einiges geändert, sie hatten sich geändert.

      »Bleibt ihr doch hier!«, meinte Frank und zog an seiner Pfeife.

      »Was?«, flüsterte der junge Sternenfahrer und sah ihn an, als hätte er nicht richtig verstanden.

      »Es gibt doch jetzt zwei Möglichkeiten«, sagte Frank und stieß einige Rauchkringel in die Luft. »Entweder wir geben unser bequemes Leben hier auf oder ihr kommt einfach alle runter auf die Erde.«

      »Aber die Unendlichkeit …«, hauchte der Sternenfahrer.

      »Drauf geschissen«, antwortete Ralf und steckte sich eine weitere Mozartkugel in den Mund.

      Der junge Sternenfahrer schüttelte den Kopf. »Es ist unsere Bestimmung, immer weiter in die Unendlichkeit zu fliegen, um irgendwann das Zentrum des Alls zu erreichen. So steht es geschrieben. Wir sind Sternenfahrer, eine uralte Rasse, unser Leben ist das Sternenschiff und das All!«

      »Und dann«, sagte Christian, der normalerweise nicht mehr als dreißig Wörter am Tag sprach, »was machen wir dann?«

      Der Sternenfahrer sah ihn fragend an.

      »Was machen wir«, fuhr Christian geduldig fort, »wenn wir irgendwann das Zentrum des Weltalls erreicht haben, häh?«

      »Die Prophezeiung …«

      »Wir kennen die Prophezeiung«, unterbrach ihn Ralf.

      »Oh ja!«, murmelte Frank.

      Ralf griff sich eine weitere Mozartkugel und führte sie langsam durch die Luft. »Wir fliegen und fliegen und irgendwann …«, er warf sich die Schokoladenkugel in den Mund, »werden wir als alte Säcke auf irgendeinem Planten abgeladen.«

      »Das ist der Lauf der Dinge«, antwortete der Sternenfahrer. »Wir haben es nie anders gemacht. Und es hat sich in all den Jahrtausenden bewährt.«

      »Kennst du eigentlich Mozartkugeln?«, fragte Ralf kauend.

      »Bitte?«, antwortete der Sternenfahrer irritiert.

      Ralf lächelte zufrieden. »Eben!«

      Der Sternenfahrer schwieg und versuchte mit den menschlichen Gliedmaßen eine Geste der Ratlosigkeit der vierten Stufe.

      »Vielleicht gibt es aber noch eine dritte Möglichkeit«, sagte Ralf.

      Dicht gedrängt standen sie in dem kühlen Keller ihres Hauses zwischen den großen Regalen. Eine einzelne Lampe spendete dem fensterlosen Raum ein gelbliches Licht. Hier, da waren sich alle einig gewesen, waren sie vor Entdeckung relativ sicher. Der Sternenfahrer musterte die Regalbretter voller Äpfel, die fein säuberlich aufgereiht dalagen, als hielte er das Obst für eine fremde Lebensform. Er atmete einige Male tief ein und aus und blickte die anderen an. Sie nickten zustimmend.

      Der junge Mann richtete die Spitze des Querks auf den Boden, die Spitze leuchtete auf und vor ihnen materialisierte sich die Gestalt eines Sternenfahrers. Ralf stöhnte leise auf, als er den reglosen Körper betrachtete. Es war schlimmer, als er sich vorgestellt hatte.

      Die acht Gliedmaßen waren dünn und fast durchscheinend. Die Redex-Flüssigkeit, die den Körper umgab und die außenliegenden Organe schützte, war bläulich verfärbt. Er hatte so etwas noch nie gesehen.

      »Das ist eine Katastrophe«, sagte Frank in die Stille hinein und blies eine Rauchwolke zur Decke.

      »So geht es allen!« Der junge Sternenfahrer nahm den Blick nicht von der reglosen Gestalt und schüttelte den Kopf. »Wir verstehen es einfach nicht. Was können wir tun?«

      »Was sagen die Aufzeichnungen?«, fragte Ralf.

      »Nichts. Wir haben die Aufzeichnungen nach allen bekannten Krankheiten und Symptomen durchforscht, es ist unserem Volk noch nichts Vergleichbares zugestoßen.«

      Ralf mochte den flehenden Blick nicht, den ihm der junge Mann zuwarf, und beugte sich über den am Boden liegenden Körper. Durch die bläuliche Verfärbung sah die vertraute Gestalt fremdartig aus. Einen Moment lang fragte er sich, ob die mysteriöse Krankheit immer noch ansteckend war und ob sie ihn in seinem menschlichen Körper gefährlich werden konnte. Mühsam unterdrückte er den Wunsch, so schnell wie möglich den Keller zu verlassen. Aber er blieb, denn wenn kein Wunder geschah, waren die drei ausgemusterten Alten tatsächlich die letzte Rettung für ihr Volk. Was für eine Ironie des Schicksals, dachte er.

      Sie blieben bis zum Abend im Keller und als sie in die laue Sommerluft hinaustraten, schwiegen sie lange. Der Sternenfahrer saß auf der Bank neben dem Eingang und fragte nichts, als er ihre Gesichter sah. Mit vom langen Knien schmerzenden Beinen ging Ralf langsam über die Wiese und blieb unter dem Apfelbaum stehen. Der Wind rauschte leise in der Baumkrone. Mechanisch bückte er sich und hob einige Äpfel vom Boden auf. Sein Kopf war wie leergefegt und eine tiefe Traurigkeit lag wie ein bitterer Geschmack auf der Zunge. Alles umsonst, dachte er, die ganze lange Reise zur Erde, und wir wissen es auch nicht.

      »Ihr hättet euch den weiten Weg sparen können …«, murmelte er. Er war überrascht, wie traurig ihn die Aussicht machte, dass sein Volk, welches ihn auf diesem Planeten zurückgelassen hatte, nie wieder durch das All reisen würde. Die Handvoll Sternenfahrer, die es mit letzter Kraft zur Erde geschafft hatten, konnten das Sternenschiff nicht mehr weiter navigieren. Schon bald würden nur noch Legenden über die geheimnisvollen Sternenfahrer erzählt werden und in absehbarer Zeit wären auch diese Legenden verstummt. »Es stirbt sich nicht so leicht, wenn man zu den letzten seiner Art gehört«, sagte er leise, ohne es zu merken.

      Er packte so viele Äpfel in seinen Pullover, wie dieser fassen konnte, und ging zum Haus zurück. Frank und Christian saßen neben dem Sternenfahrer auf der Bank und starrten vor sich hin. Vorsichtig schritt Ralf die Stufen zum Keller hinunter und betrat den Raum, in dem noch immer das Licht brannte. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und starrte auf die reglose Gestalt, dann gab er sich einen Ruck und trat über eines der schlaffen Gliedmaße an das Regal. Behutsam stapelte er die Äpfel auf dem letzten freien Platz im oberen Regalbrett, dann verließ er schnell den Keller und schaltete das Licht hinter sich aus.

      Am Morgen saßen sie wie üblich vor dem Haus, aber nach Spielen war keinem zumute. Frank paffte wie gewohnt an seiner Pfeife und sagte kein Wort. Der Sternenfahrer hatte sich weit zurückgelehnt und starrte nachdenklich zum Himmel empor, als könnte er das getarnte Schiff im Orbit mit bloßem Auge erkennen. Ralf kannte diesen Blick, sie hatten vor fünf Jahren genauso nach oben geschaut, als man sie auf der Erde zurückgelassen hatte. Plötzlich aber trat ein Lächeln auf das Gesicht des jungen Mannes.

      »Das ist schön!«, sagte er.

      Langsam wandten sich ihm alle zu.

      »Die Wärme ist angenehm.« Er schloss für einen Moment die Augen und das Licht der Morgensonne ließ seine Züge noch jünger erscheinen.

      Ralf

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