Maggie. Bettina Reiter
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„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“ Eine ältere Frau in einem geschmackvollen grünen Kostüm im typischen Chanel-Stil trat lächelnd auf Maggie zu. Ihr silbernes Haar glänzte im hereinfallenden Licht wie das viele Chrom und der Stahl, womit man die Eingangshalle reichlich ausgestattet hatte.
„Ich komme wegen der Stellenanzeige als Assistentin der Geschäftsführung.“ Hoffentlich merkte die Frau ihre Nervosität nicht.
Ein konsternierter Blick scannte Maggie in Sekundenschnelle von oben nach unten. „Haben Sie einen Termin?“, erkundigte sich die Frau spitz, deren festgefrorenes Lächeln bröckelte.
„Nein. Ich dachte, ich komme direkt vorbei und stelle mich vor.“
„Hören Sie, Miss, es mag auf dem Land en vogue sein, mit der Tür ins Haus zu fallen, wir sind jedoch in Dublin. Hier laufen die Uhren anders. Vor allem in einem renommierten Bankhaus wie dem unseren. Ohne Termin kommen Sie nicht einmal bis zum Lift.“
„Okay“, zog sich Maggie in ihr Schneckenhaus zurück. Woher wusste die Frau, dass sie vom Land kam? Lag es an ihrer Kleidung? Prüfend schaute Maggie an sich herunter. Sicher, die schwarzen Ballerinas sahen mitgenommen aus, aber sonst … „Könnten Sie einen Termin für mich vereinbaren?“ Hinter der Frau ging ein Mann im schwarzen Nadelstreifenanzug vorbei, der Maggie einen abschätzigen Blick zuwarf.
„Die Stelle ist bereits vergeben, soweit ich weiß.“ Die Frau log und wollte sie abwimmeln! Das war offensichtlich. „Versuchen Sie woanders Ihr Glück, Miss.“
Im Nu stand Maggie alleine da und blickte der Frau nach, die vor dem Nadelstreifen-Mann stoppte und sich mit ihm unterhielt. In seiner Gegenwart schien sie ihr Lächeln wiederzufinden, obwohl es eher hämisch als freundlich wirkte. Von den verstohlenen Blicken ganz zu schweigen, die beide in Maggies Richtung warfen. Nichts wie raus hier!
♥♥♥
Eine halbe Stunde später saß Maggie weinend auf einer Parkbank im St. Stephen’s Green. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, für eine Stadt gewappnet zu sein. Ferner für eine Stelle, deren Ansprüche mit der Schreinerei nicht zu vergleichen waren. Entweder war man dafür gemacht oder nicht. Gegen Redruth war Dublin das reinste Haifischbecken.
„Diese Heul-Arie kann sich ja kein Mensch länger mitansehen.“ Begleitet von den Worten schob sich eine gepflegte Hand mitsamt Taschentuch vor Maggies Augen. „Trocknen Sie Ihre Tränen, junge Dame. Und zwar pronto!“
Mechanisch griff Maggie nach dem Taschentuch und blickte zur Frau, die sich wie selbstverständlich neben sie setzte und die langen Beine übereinanderschlug. Ihre braunen Lederstiefel glänzten wie schimmernde Kastanien, waren bestimmt teuer und keine zwei Tage alt. Zum beigen Tweed-Rock trug sie eine cremefarbene Seidenbluse und auch das streng wirkende Gesicht schien sie sich einiges kosten zu lassen, denn es war unnatürlich straff. Im Gegensatz zu den Händen und dem Hals.
„Danke.“ Maggie wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen und schnäuzte sich dann ausgiebig die Nase. Ein aufdringlicher Moschusduft entströmte dem Stoffstück, in das hellblaue Initialen eingestickt waren. GR.
„Bevor Sie auf dumme Gedanken kommen: Behalten Sie den Fetzen.“
Maggie brachte nur ein Nicken zustande und verstaute das Tuch in den Tiefen ihrer Handtasche. Als ihr Blick auf die Papiere fiel, sammelten sich erneut Tränen in ihren Augen.
„Was bringt Sie derart aus der Fassung?“ Erwartungsvoll schaute die Unbekannte sie an. Maggie fühlte sich überrumpelt. Sie konnte doch keiner Wildfremden ihr Leid klagen. Andererseits würden sie sich nie wiedersehen und im Augenblick war niemand anders da. „Ich sehe schon“, fuhr die Frau fort und deutete ein Lächeln an. Mehr war bei der Spannkraft ihrer Haut vermutlich nicht drin. „Sie vertrauen mir nicht.“
„Wundert Sie das? Immerhin sind wir uns erst vor einer Minute begegnet.“
„Trotzdem heulen Sie mir die Ohren voll, als wären wir miteinander aufgewachsen. Glauben Sie mir, ich hätte weitaus Besseres zu tun, statt mich mit Ihnen zu unterhalten.“ Sie schaute sich auf die rotlackierten Fingernägel, als müsse sie ihre herablassende Aussage unterstreichen, was überflüssig war. Mochte Maggie vom Land sein, dämlich war sie deswegen längst nicht!
„Haben Sie sich deshalb zu mir gesetzt?“, erkundigte sich Maggie pampig.
„Eigentlich saß ich ein paar Bänke weiter“, gab die Frau bereitwillig Auskunft. Der Dutt unterstrich ihr unterkühltes Äußeres. „Unter uns gesagt ging mir Ihr Heulen extrem auf die Nerven. Irgendwie musste ich Sie stoppen. Doch seien Sie froh, dass ich nur Taschentücher dabeihabe und kein Messer.“
„Wenigstens haben Sie Humor.“ Das mit dem Messer war sicher als Witz gemeint.
Eine Kinderschar, gefolgt von zwei Collies, sauste lachend zum Brunnen, den drei Frauen-Skulpturen schmückten. Sehnsüchtig blickte Maggie den Kindern hinterher.
„Die Nächsten, die einem jeglichen Nerv töten“, regte sich die Unbekannte auf. „Mit kleinen Menschen kann ich am wenigsten anfangen. Sie sind unreif und frech. Ich könnte Psychothriller über mein Mutterdasein schreiben.“
„Sie sollten dankbar sein, dass Sie überhaupt Kinder haben“, sagte Maggie bitter. Sie selbst trauerte um ihren Sohn und neben ihr saß eine Frau, die scheinbar ihre Kinder verwünschte. Diese Welt strotzte wirklich vor Ungerechtigkeit.
„Ich habe nur einen Sohn und der reicht für drei Leben.“ Sie machte das Kreuzzeichen. Die unterschiedlich großen Steine auf ihren zahlreichen Ringen blitzten auf. Wenn der Schmuck echt war, musste die Frau nicht reich, sondern schwerreich sein. „Humphreys Zeugung erfolgte in einer schwachen Minute, die sogar eine Frau wie ich ab und zu hat. Gegen die paar Sekunden Freude war Humpies Geburt jedoch wie stundenlange Folter.“ Humpie? War das ein Kosename oder eine Beleidigung? „Ihn aufzuziehen war ebenfalls kein Vergnügen. Tja, mittlerweile hat er eine eigene Wohnung und ich bin die Wanze los.“
„Sind Sie immer so offen?“
Ein konsternierter Blick streifte Maggie. „Sie haben sich ja auch bei mir ausgeheult.“
„Eigentlich habe ich kaum etwas gesagt.“
Die Frau stöhnte unwillig. „Okay, dann schießen Sie los.“
„Lassen Sie es gut sein. Offensichtlich haben Sie Ihre eigenen Sorgen.“
„In der Tat, aber mein Chauffeur holt mich erst in einer Stunde ab. Bis dahin kann ich mir genauso gut Ihr Gefasel anhören.“
„Ein eigener Chauffeur …“ Maggie hörte selbst, wie sarkastisch sie klang. „Scheint so, als wären hier alle dem äußeren Schein verfallen.“
„Nur die, die es sich leisten können. So, wie ich.“
Schweigen entstand. Kein peinliches und keines, bei dem man fieberhaft überlegte, was man als Nächstes sagen könnte. Vielmehr atmete Maggie durch. Spürte die kalte Luft auf ihrer Haut. Den Wind, der durch ihre Kleiderschichten