Das Flüstern des Tornados. Sindy Sea Turtle

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Das Flüstern des Tornados - Sindy Sea Turtle

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versuchte sie ihre ganze Verachtung in diesen kurzen Satz zu legen. Nathan verstand sie sofort, denn er zitierte aus dem Bürger-Verhaltenskodex:

      „Jeder an seinem Platz und jeder nach seinen Fähigkeiten.“

      Doch irgendwie schwang bei ihm auch etwas Bitterkeit mit. Nein, eigentlich war es vorwiegend Bitterkeit. Seltsam. Der Verhaltenskodex war kurz nach dem Systemwechsel in Kraft getreten. Er war das erste, was Kinder in der Kita lernten. Jeder konnte die zwölf Punkte im Schlaf herunterbeten. Bisher war Anna nie auf die Idee gekommen, den Kodex in Frage zu stellen. Schließlich diente er dem höchsten Gut, dem Allgemeinwohl. Und er hatte sich bewährt. Nur dank ihm war Deutschland gut durch den Klimawandel und die Jahrzehnte des Umbruchs gekommen. Während andere Länder in Chaos und Anarchie versanken, hatte der Kodex hier für Stabilität gesorgt. Nach der Einführung hatte es keine Aufstände mehr gegeben, die Verteilung der Ressourcen, die sich aus dem Kodex ergab, wurde von allen akzeptiert. Natürlich gingen auch in Deutschland die Bevölkerungszahlen zurück. Aber das war mehr auf die Pandemien zurückzuführen, nicht auf Hungerperioden wie in so vielen Nachbarstaaten. Daran bestand kein Zweifel. Doch jetzt, im Gespräch mit diesem ungewöhnlichen B-ler, stellte Anna sich zum ersten Mal in ihrem Leben die Frage, ob diese Vorgabe – Jeder an seinem Platz und nach seinen Fähigkeiten – wirklich richtig war. Nathan, da war sie sich plötzlich ganz sicher, stimmte zumindest in diesem Punkt nicht mit der herrschenden Meinung überein. Diese Vorstellung jagte Anna einen Schauer über den Rücken. Unwillkürlich schaute sie weg, damit Nathan nicht ihren Gesichtsausdruck sah. Denn sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Das lag an der Art, wie er sie ansah. Es schien so, als ob er direkt in ihr Gehirn, nein ihre Seele sah. Aber das war natürlich Unsinn.

      Kapitel 4: Nur ein Apfel

      Um sich selbst abzulenken, wechselte Anna schnell das Thema. Sie schlug vor, Nathan die Schule zu zeigen und ihm die Abläufe und Vorschriften zu erklären. Er stimmte sofort zu. Als sie an die Turnhalle kamen, wies Anna ihn darauf hin, dass er nur nach dem Sportunterricht, nach Fitness-AGs und bei Unterrichtszeiten bis 19 Uhr ab 17:30 Uhr duschen durfte.

      „Warum soll ich denn so scharf darauf sein, in der Schule zu duschen?“, fragte Nathan verblüfft.

      „Ja, also, ich dachte, das wäre klar. Unser Nutzwasser ist besser gereinigt als das im B-Sektor. Es riecht einfach nicht so stark. Die meisten B-ler an der Schule versuchen, es irgendwie so einzurichten, dass sie abends hier duschen können. Einige belegen Sport-AGs, aber die meisten geben den Jüngeren Nachhilfe. Das bringt auch noch Punkte.“

      „Macht das echt so einen Unterschied?“

      „Ähm, ja, einen ziemlich großen.“

      Fast hätte Anna lachen müssen. Eigentlich waren Nathans verdutztes Gesicht und seine unwillkürliche Geste, die Nase unter die Achselhöhlen zu stecken, ziemlich komisch. Aber es war ihr auch irgendwie peinlich, es ihm so direkt sagen zu müssen. Obwohl es doch nur eine allgemein bekannte Tatsache war, dass B-ler schlecht rochen. Die Schuluniformen wurden zwar in der Waschküche des Gymnasiums gereinigt, aber es blieb ja noch die Unterwäsche und die eigene Körperhygiene, die mit dem Wasser des B-Sektors vorgenommen wurde. Der eigentümliche, strenge Geruch setzte sich einfach fest. Schon mehr als einmal hatte Anna sich in der Vergangenheit zusammen mit anderen Schülern über müffelnde B-ler lustig gemacht. Aber mit Nathan war es irgendwie anders. Er war nicht irgendein Typ aus dem B-Sektor.

      „Komm lass uns in die Cafeteria gehen. Es ist schon Essenzeit.“

      Annas Ablenkungsmanöver funktionierte. Wie sich zeigte, hatte Nathan ziemlich großen Hunger. Vom Mittagessen war er total begeistert.

      Sie saßen mit Mia und Paul an einem Tisch. Die beiden hatten sie zu sich gewunken, als Anna und Nathan gerade mit ihren beladenen Tabletts durch die Menge manövrierten und sich einen Tisch suchen wollten. Anna war erleichtert, hätte sie es doch ohne diese Geste nicht gewagt, sich mit einem B-ler zu ihrer Freundin zu setzen. Das machte man halt nicht, zumal die B-ler sich meist an einem eigenen Tisch abseits der anderen versammelten. Nach einem kurzen „Hallo“ fingen alle an zu essen. Nathan verschlang seinen Roggenschrot-Algen-Burger anfangs ziemlich hastig. Erst als er merkte, dass die drei anderen viel langsamer aßen, drosselte er sein Tempo. Trotzdem war er noch vor ihnen fertig. Andächtig drehte er den Apfel, den es als Nachtisch gab, in seinen Händen.

      „Du siehst aus, als ob du noch nie einen Apfel gegessen hättest.“

      Noch während Anna den Satz aussprach, wurde ihr klar, dass sie damit, ohne es zu wollen, ins Schwarze getroffen hatte. Verdammt. Mias stummes Kopfschütteln war zu spät gekommen. Mist, bei dieser Patensache trat sie wirklich von einem Fettnäpfchen ins nächste. Dass die Versorgungslage an den Schulen im B-Sektor so schlecht war, wurde ihr erst jetzt klar. Noch etwas, über das sie sich noch nie Gedanken gemacht hatte. Nathan reagierte mit kühler Sachlichkeit.

      „An meiner alten Schule bekamen wir immer nur Fruchtmus. Wieviel echtes Obst da drin war, wusste wahrscheinlich noch nicht einmal der Koch. Das wurde fertig angerührt geliefert und direkt aus dem Kühlbehälter ausgeteilt. Ich glaube, ich hebe mir meinen Apfel für später auf.“

      „Ja klar, aber denk dran, dass du ihn in der Schule essen musst. Es ist streng verboten, Essen nach draußen zu schmuggeln“, warnte Anna.

      Der Obstklau war schon einigen aus dem B-Sektor zum Verhängnis geworden. Ihr Hinweis kam aber irgendwie nicht richtig an. Nathan zeigte sich völlig unbeeindruckt.

      „Was soll denn passieren, wenn der Apfel die Schule verlässt? Explodiert er dann?“, fragte er spöttisch.

      „Nein, aber du bekommst einen Verweis und bei zwei Verweisen fliegst du von der Schule“, antwortete Anna, jetzt schon leicht genervt.

      Konnte Nathan nicht einfach eine nett gemeinte Warnung ernst nehmen? Er war doch nicht so blöd wie die anderen B-ler, die ihre Schulkarriere und damit ihr gutes Leben im A-Sektor nur wegen so eines Apfels oder einer Birne aufs Spiel setzten.

      „Wer soll das denn merken? Ich würde den Apfel ja nicht vor mir hertragen, wenn ich rausgehe.“

      Jetzt ergriff Mia das Wort: „Es gibt Taschenkontrollen. Gerade B-ler werden oft gefilzt. Viele wollen ihrer Familie etwas mitbringen.“

      Das war gelogen. Es wurden ausschließlich B-ler kontrolliert. Kein A-ler wäre je auf die Idee gekommen, einen Schulverweis zur riskieren, um etwas mit nach Hause zu nehmen, das jedes andere Familienmitglied an seinem Arbeitsplatz, in seiner Schule oder der Kita sowieso bekam.

      „Und du darfst die Überwachungskameras nicht vergessen. Sie sind überall. Das heißt, du wirst gesehen, wenn du etwas im Rucksack verschwinden lässt“, warf nun Paul ein.

      „Ach, die funktionieren? Bei meiner alten Schule war die Hälfte nicht in Betrieb und es hätte auch bestimmt niemanden interessiert, ob man etwas von den kulinarischen Köstlichkeiten der Mensa mit nach Hause nimmt. Aber das war ja auch nicht der A-Sektor.“

      Nathans Worte triften geradezu vor Verachtung. Er schien das Ganze eher als sportliche Herausforderung zu sehen.

      „Mach es einfach nicht.“

      Das kam von Anna. Mia schaute sie erstaunt an. Aber Anna war selbst überrascht davon, wieviel Dringlichkeit in ihrer Stimme lag. Es konnte ihr doch eigentlich egal sein, ob Nathan von der Schule flog. Aber sie waren nun mal Arbeitspartner und sie war seine Patin. Es würde ein schlechtes Licht auf sie werfen, wenn ihr Schützling

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