Lady Hamilton. Alexandre Dumas

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Lady Hamilton - Alexandre Dumas

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alte Frau streckte eben die Hand nach dieser Tür aus, als dieselbe sich von selbst öffnete und eine jugendliche Stimme mit einem leichten Anflug von englischem Akzent sagte:

      »Kommen Sie, Herr Abbé. Meine Mutter erwartet Sie mit Ungeduld.« – Die alte Frau trat auf die Seite, um den Priester vorangehen zu lassen, hinter welchem sie ebenfalls in die Hütte trat. Das junge Mädchen schloß die Tür wieder und zeigte in dem zweiten Zimmer, dem einzigen erleuchteten, auf eine Frau, welche sich mit Mühe im Bette emporrichtete. »Ist er da?« fragte die Kranke mit matter Stimme und auf englisch. – »Ja, Mama,« antwortete das junge Mädchen in derselben Sprache. – »O, dann möge er hereinkommen!« rief die Kranke auf französisch. Mit diesen Worten sank sie wieder auf ihr Bett zurück. – Der Priester trat in das zweite Zimmer und näherte sich dem Bette. Das junge Mädchen und die alte Frau blieben in dem ersten Gemach.

      Die Kranke schien durch die Anstrengung, die sie soeben gemacht, ganz erschöpft zu sein und zeigte, ohne den Kopf vom Pfühl zu erheben, mit matter Hand auf einen Sessel, indem sie dem Geistlichen durch diese Gebärde zu verstehen gab, daß er sich dem Bette nähern und Platz nehmen solle. Der Priester verstand diese Gebärde, näherte sich dem zu Häupten des Bettes stehenden Sessel und setzte sich. Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, während dessen man weiter nichts hörte als den gepreßten Atemzug der Sterbenden und das Schluchzen, welches das junge Mädchen vergebens zu unterdrücken versuchte. Während dieser Minute des Wartens hatte der Priester Zeit, einen Blick um sich zu werfen. Das Innere des Gemaches bot ein eigentümliches Gemisch von Luxus und Elend dar. Die Möbel und Wände waren allerdings die einer ärmlichen Hütte, die Bettwäsche der Kranken aber war von der feinsten holländischen Leinwand. Das Negligé, in welches sie sich gehüllt, war von prachtvollem Batist und das Tuch, welches, unter ihrem Halse zusammengeknüpft, einen Wald von herrlichem kastanienbraunem Haar zusammenhielt, war mit jenen kostbaren Spitzen eingefaßt, welchen England den Namen gegeben hat. Dem Bette gegenüber und nur durch das Fenster getrennt, welches durch einen elenden Kattunvorhang verhüllt war, machten sich durch den Glanz ihres Kolorits zwei Bildnisse bemerkbar, die augenscheinlich ihr Dasein dem Pinsel eines großen modernen Meisters verdankten.

      Sie stellten das eine eine Frau, das andere einen Mann vor, beide schienen eines des andern Seitenstück zu sein, und waren von Lebensgröße. Das Bildnis des Mannes stellte einen höheren Offizier der englischen Marine vor. Seine blaue Uniform trug auf der linken Seite unter dem Bath-Orden, der in England so hoch geschätzt und nur für geleistete sehr wichtige Dienste verliehen wird, noch drei andere Orden, in welchen ein in diesen Dingen bewanderter Kenner den Orden des heiligen Ferdinand und des Verdienstes, den Orden des heiligen Joachim von Malta, welchen Paul der Erste von Rußland gestiftet und der mit ihm starb, und drittens endlich den ottomanischen Halbmond erkannt haben würde, der in seiner Sichel den Namenszug des Sultan Selim des Dritten in Diamanten trug. Ganz besonders auffallend aber ward dieses Bildnis durch die ruhmreiche Verstümmelung gemacht, deren Opfer das Original gewesen sein mußte. Eine breite Narbe durchfurchte nämlich die Stirn, unter welcher sich eine schwarze Binde hinzog, die ein verlorenes Auge verdeckte, während der an einem Knopf der Uniform befestigte rechte Ärmel der Uniform verriet, daß der Arm oberhalb des Ellbogens amputiert worden war. Der Mann, welchen dieses Bild vorstellte, war von Wuchs eher klein als groß. Er hatte blondes Haar. Das ihm noch gebliebene Auge schien geniale Blitze zu schießen und die Adlernase verriet ebenso wie das kräftig geformte Kinn Willenskraft und Mut, die charakteristischen Eigenschaften eines Kriegshelden. Die Frau dagegen war das vollkommene Urbild der Anmut und Schönheit. Ihr jeden Schmuck entbehrendes kastanienbraunes Haar fiel in üppigen Locken auf ihren Hals und ihre Brust herab. Sie hatte schwarze Augen und schwarze Wimpern. Ihre Gesichtsfarbe war frisch und zart, die Nase gut geformt, der Mund klein wie der eines Kindes und ließ, halbgeöffnet wie eine Rose an einem Frühlingsmorgen, zwei Perlenreihen sehen oder vielmehr erraten. Sie trug eine Kaschmirtunika von griechischem Schnitt und einen über die rechte Schulter geworfenen Purpurmantel. Ihr Leib ward von einem breiten, mit Gold gestickten Gürtel von kirschrotem Samt umschlossen, dessen Agraffe aus einer Kamee bestand, die das von der Seite gesehene Haupt eines Greises darstellte. Dieses prachtvolle Bildnis war augenscheinlich das der Kranken, in deren Zügen man jetzt noch, trotz ihrer fünfzig Jahre und der Verheerungen einer grausamen Krankheit, Überreste einer außerordentlichen Schönheit erkennen konnte, welche der Maler auf die Leinwand festgebannt.

      Während der Priester diese sozusagen unwillkürliche Beaugenscheinigung vornahm, öffnete die Kranke wieder langsam die Augen und heftete sie mit dem Ausdrucke der Unruhe auf ihn. Es war, als suchte sie in dem Gesichte des Mannes, den sie hatte rufen lassen, um ihn zum Vermittler ihrer Versöhnung mit Gott zu machen, was sie wohl von der himmlischen Barmherzigkeit zu fürchten und zu hoffen habe. Der Priester war ein Mann von fünfundsechzig Jahren, mit einem sanften, ruhig heiteren, von spärlichem, dünnem weißen Haar beschatteten Gesicht. Man las in seinen Zügen die Einfalt seiner Seele und erkannte in seinem Blick einen Funken jener unaussprechlichen Liebe, welche Leonardo da Vinci in die Augen des Heilands gelegt hat. Die Kranke schien durch den Anblick des Priesters wieder ein wenig beruhigt zu werden. »Mein Vater,« sagte sie, »ich habe in allen heiligen Büchern gelesen, daß Gottes Barmherzigkeit unendlich ist; ich habe Sie aber holen lassen, um diese Worte nochmals aus dem Munde eines Dieners dieses Gottes selbst zu hören. Meine Sünden, meine Fehler, ja meine Verbrechen,« setzte sie, die Stimme senkend, hinzu, »sind so groß, daß, wenn ich nicht in Verzweiflung sterben soll, ich nicht weniger als des Wortes eines heiligen Mannes wie Sie bedarf.« – Der Priester betrachtete erstaunt diese Frau mit der sanften Stimme, dem offenen Gesichtsausdrucke und dem Auge, welchem selbst das Fieber, welches sie verzehrte, seinen engelgleichen Ausdruck nicht rauben konnte und die gleichwohl sagte, sie sei eine Verbrecherin. »Meine Tochter,« antwortete er, »die Todesangst verwirrt Ihre Sinne. Das Weib ist allerdings ein schwaches Geschöpf und durch ihre Stellung in der Gesellschaft der Gefahr ausgesetzt, Sünden und Fehler zu begehen; wenn ich aber recht verstanden habe, so klagen Sie sich an, nicht bloß Sünden und Fehltritte, sondern geradezu Verbrechen begangen zu haben.« – »Ja, Verbrechen, mein Vater, Verbrechen! O, ich weiß wohl, daß ein Held mich seine Geliebte und eine Königin mich ihre Freundin nannten, ich weiß wohl, daß in dem Enthusiasmus meiner Jugend, in dem Strudel meines Glücks ich meine Handlungen nicht so beurteilte. Seitdem aber er tot ist, seitdem sie tot ist, seitdem ich in Not und Elend geraten bin, und seitdem die Not, diese Rache des Himmels, mich zum Zweifel geführt hat – seit dieser Zeit sehe ich mich so wie ich bin, mein Vater, das heißt mit einem durch die Schwelgerei befleckten Körper und mit von Blut geröteten Händen.« – »Meine Tochter, die Barmherzigkeit des Herrn ist unendlich,« hob der Priester wieder an, »und Jesus verzieh im Namen seines Vaters der reuigen Magdalena ebenso wie der Ehebrecherin.«

      Die Kranke streckte die Hand aus, legte dieselbe auf den Arm des Priesters, richtete sich empor, um sich ihm zu nähern, und fragte: »Würde er auch der Herodias verziehen haben?« – Beinahe mit Entsetzen bog der Priester sich zurück. »Wer sind Sie denn?« fragte er. – »Ja, in der Tat, Sie haben recht, mein Vater,« antwortete die Kranke, –»wenn ich Ihnen meinen Namen sage, so sage ich Ihnen damit alles. O entfernen Sie sich nicht von mir, wenn ich es Ihnen gesagt haben werde«,« setzte sie hinzu. – »Meine Tochter,« sagte der Priester, »selbst einen Vatermörder würde ich trösten und bis aufs Blutgerüst begleiten.« – »O, das Blutgerüst, das ist die Sühne!« rief die Kranke. »Wenn ich anstatt in meinem Bett auf dem Blutgerüst stürbe, dann würde ich nicht zweifeln.« – »Haben Sie denn einen Mord begangen?« fragte der Priester schaudernd. – »Nein, mein Vater, aber ich habe einen Mord begehen lassen.« – »Waren Sie sich dabei des Verbrechens bewußt, welches Sie begingen?« – »O nein, nein, ich glaubte dem König, ich glaubte Gott zu dienen; ich diente aber bloß meiner Rache. Wie wollen Sie, daß Gott mir verzeihe, mir, die ich nicht verziehen habe?« – Der Priester sah sie an. »Sie sind Engländerin?« fragte er dann. –»Ja, mein Vater,« antwortete die Kranke. – »Und Protestantin?« – »Ja.« – »Warum haben Sie aber dann nicht einen Geistlichen von Ihrer Religion holen lassen? Es gibt einen in Boulogne.« – »Ich weiß es.« – Die Kranke schüttelte den Kopf und stieß einen Seufzer aus. – »Nun und?« fragte der Priester wieder. – »Unsere Geistlichen sind zu streng, mein Vater. Unsere Religion ist zu schroff. Ich habe es

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