Lady Hamilton. Alexandre Dumas
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Als Mistreß Colman mit ihren Pensionärinnen fort war, lenkte ich meine Schritte nach dem Hügel, wohin ich drei oder vier Jahre lang meine kleine Herde getrieben. Dieser Hügel war Sonntags das Ziel des Spazierganges, welchen einige in der Stadt wohnende Leute zu machen pflegten. Die Bewohner des Pachthofes hatten mich nun alle in meinem neuen Glanze gesehen und der Eindruck, den ich durch meinen ersten Anblick auf sie hervorgebracht, konnte sich nicht erneuern. Ich suchte daher die Blicke und Komplimente anderer. Ich erstieg den Hügel mit meinem großen Strohhut auf dem Kopfe. Mein langes Haar flatterte im Winde, meine Wangen waren gerötet von dem Hauch der Jugend und der Gesundheit. Ich ging an mehreren Gruppen von Spaziergängern vorbei oder überholte dieselben. Alle sahen mich an, und einige Stimmen sagten: »Das ist ein schönes Kind.« – Ein einziger fragte: »Aber ist das nicht Mistreß Davidsons kleine Schafhirtin?« Ach leider ja, ich war es. Diese Bemerkung vergiftete, obschon durchaus nichts Böswilliges darin lag, mir doch die ganze Freude, welche mir die vorher gehörten Lobsprüche bereitet. Ich versank in trauriges Hinbrüten und setzte mit niedergeschlagenen Augen meinen Weg weiter fort, während ich die Blumen, die ich gepflückt, um mir einen Kranz daraus zu winden, eine nach der andern aus den Händen fallen ließ.
Plötzlich hörte ich ein freudiges Gebell, und Black, der mich von weitem erkannt, kam mir entgegengesprungen und richtete sich an mir empor. Das arme Tier nahm keine Rücksicht auf die Kleider, die ich jetzt trug, sondern glaubte, es sei ihm erlaubt, der künftigen Pensionärin der Mistreß Colman immer noch auf dieselbe Weise zu begegnen wie der kleinen Schafhirtin. Der Befehl: »Marsch, fort, Black!« von einem Schlag auf seine unehrerbietigen Pfoten, der ihm ein Schmerzgewinsel entlockte, begleitet, war die einzige Anerkennung, welche dieser Freund, einer der ältesten, die ich jemals gehabt, und wahrscheinlich der treueste, den ich jemals haben werde, für seine freudige und zärtliche Kundgebung erhielt. Black entfernte sich, die Ohren hängen lassend und den Kopf schüttelnd, als ob er ein Zwiegespräch mit sich selbst führte. Der kleine Hirt, der in der Bewachung der Schafe mein Nachfolger geworden, erhob sich, als er mich näher kommen sah. Es war augenscheinlich, daß er mich nicht erkannte; erst als ich mich ihm bis auf einige Schritte genähert hatte, rief er: »Ah, Sie sind es, Miß Emma! Ach, wie schön Sie sind!«
Ich lächelte ihm zu. Es war dies das erste aufrichtige Kompliment, welches man mir bis jetzt gemacht. Ich wußte es ihm Dank. Man wird den Einfluß sehen, welchen diese wenigen Worte später auf mein Schicksal äußerten. »Guten Tag, Dick,« sagte ich zu ihm. »Du bist ein wackerer Junge und du wärest auch schön, wenn du schöne Kleider hättest.« – »Ach,« antwortete er, »ich bin weiter nichts als ein armer Bauernknabe und ich werde wahrscheinlich nie andere Kleider bekommen. Mit Ihnen dagegen ist es etwas anderes. Wie es scheint, hat man erfahren, daß Sie ein vornehmes Fräulein sind.« Er spielte mit diesen Worten auf das Gerücht an, welches sich, seitdem meine Mutter von Lord Halifax hundert Pfund Sterling geschenkt erhalten, in bezug auf ein Verhältnis verbreitet, in welchem sie früher zu diesem Herrn gestanden haben sollte. Ich gab hierauf keine Antwort, denn ich verstand nicht recht, was der Knabe sagen wollte. Ich erkundigte mich nach seiner Schwester, einem Mädchen von ungefähr demselben Alter wie ich. Sie diente als Magd in einem benachbarten Pachthof und hieß Amy Strong. »O,« sagte er, »die befindet sich wohl und würde sich gewiß sehr freuen, wenn sie Sie so schön gekleidet sähe.« – »Glaubst du?« fragte ich. – »Jawohl,« entgegnete er, »sie hat Sie sehr lieb, Miß Emma, und beneidet niemanden um das Gute, was ihm beschieden ist.« Ich befand mich jetzt in der Nähe der Quelle. Ich neigte mich darüber, um mich darin zu betrachten, wagte aber, ich weiß selbst nicht warum, in Richards oder, wie man diesen Namen in England abzukürzen pflegt, in Dicks Gegenwart nicht meinem Spiegelbild einen Kuß zu geben, wie ich zu tun pflegte, wenn ich allein war. »Ja, ja,« sagte Dick lachend, »betrachten Sie sich nur noch ein wenig in unseren Quellen. Mit der Zeit werden Sie in die Stadt kommen, Miß Emma, und sich dann in großen vergoldeten Spiegeln betrachten, wie sie in dem Laden des Kaufmanns von Hawarden zu sehen sind. Wenn Sie einmal an diesem Hause vorbeikommen, so können Sie stehen bleiben und sich in aller Bequemlichkeit vom Kopf bis zu den Füßen betrachten, ohne daß es Sie etwas kostet.«
Ich setzte mich in der Nähe der Quelle nieder. Ich dachte nicht mehr daran, in derselben eine unvollständige Vervielfältigung meines Bildes zu suchen, sondern träumte, daß ich mich in einem großen schönen Spiegel mit vergoldetem Rahmen betrachtete. Ich versetzte mich im Geiste in ein elegantes Zimmer mit türkischem Teppich, himmelblauseidenen Vorhängen und kostbaren verzierten Möbeln. Ich schloß die Augen, um nichts mehr von der Wirklichkeit zu sehen und mich ganz meinem Traume hinzugeben. Ach, wie oft hatte ich dergleichen Träume! Es waren prophetische blendende Visionen der Zukunft. Woher kamen mir diese Visionen von unbekannten Dingen? Vielleicht hatten meine ersten Blicke rasch entschwundenen Glanz widergespiegelt, der aber in meinem jungen Gedächtnis gleichsam den Reflex einer früheren Welt zurückgelassen. Wenn ich mit meiner Mutter von diesen unklaren Erinnerungen sprach, begnügte sie sich mir zu antworten, ich hätte wahrscheinlich eine Fee zur Patin gehabt, welche mich des Nachts in Palästen habe herumwandeln lassen. Auch dieses Mal faßte meine Patin mich bei der Hand und indem ich meine Augen, welche soeben noch alle Farben des Regenbogens widerspiegelten, aufschlug, sagte ich zu dem kleinen Hirten: »Lebewohl, Dick. Morgen komme ich in Mistreß Colmans Pension. Alle Donnerstage und Sonnabende aber werde ich wieder auf den Pachthof kommen und mich dann und wann auch hier einfinden, um dich zu besuchen.« Und ich entfernte mich, ohne an Black zu denken. Dieses arme Tier, welchem mein Empfang unerklärlich gewesen, konnte sich auch meinen Abschied nicht erklären. Er folgte mir einige Schritte weit, aber nicht so weit als das erstemal, und setzte sich, um mich den Hügel hinabgehen zu sehen. Ich warf einen letzten Blick auf diesen kleinen Platz, welcher das Paradies meiner Jugend gewesen und den ich im Geiste jetzt noch sehe mit seiner Gruppe von Zwergeichen und Wachholderbäumen, mit seiner von rosigem Heidekraut bedeckten Kuppe, mit seiner aus dem Schoße der Erde hervorsprudelnden und in kleinen Wasserfällen sich in das Tal hinabstürzenden Quelle. Dick hatte sich auf den Boden niedergestreckt und schälte mit seinem Messer die Rinde eines Stockes ab. Seine Schafe weideten hier und da einige Schritte von ihm. Black saß zwischen ihnen und mir und betrachtete mich mit traurigem Blick, wie verkannte Freunde zu tun pflegen. Ich dachte nicht einmal daran, ihn zu rufen und zu trösten. Das arme Tier hatte, als es mich sah, versucht, mir begreiflich zu machen, daß es mich immer noch liebe; aber es war nicht wie Dick imstande gewesen, mir zu sagen, daß ich schön sei. Dies war meine erste Undankbarkeit. Dagegen wird man sehen, wie dankbar, wie allzu dankbar ich gegen Dick war. Am nächstfolgenden Tage führte verabredetermaßen meine Mutter mich zu Mistreß Colman. Ich ward empfangen, wie man während der ersten Tage jede in eine Pension tretende Schülerin und jede ihr Noviziat antretende Nonne empfängt. Die Lehrerinnen waren instruiert, gegen mich mit aller möglichen Nachsicht zu verfahren, und Mistreß Colman selbst führte meine Mutter in den Schlafsaal, ließ sie das weiße Bett untersuchen, welches man für mich aufgeschlagen, und zeigte ihr, einen nach dem andern, alle Toilettengegenstände, die für mich bestimmt waren. Alle diese neuen Gegenstände, welche für mich der Weg zum Luxus waren, ließen mich die verächtlichen Blicke meiner künftigen Genossinnen übersehen, und ich nahm von meiner armen Mutter, die weit bewegter war als ich, Abschied, ohne sonderlich viel Tränen zu vergießen. Man befragte mich über