Die große Null. Walther Kabel

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Die große Null - Walther Kabel

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      Harst erzählte, weshalb wir Ernst Wogitsch bisher nicht kennen gelernt hätten, und zeigte dem Buckligen auch den Zettel, fragte dann: »Was wollte Wogitsch bei mir?«

      »Das weiß ich nicht, Herr Harst. – Wir sind ja alte Freunde, der Wogitsch und ich. Wir wohnen hier schon zwanzig Jahre. Ihm gehört auch das Haus. Sonst vertraut er mir alles an. Aber über seine letzte Bestellung tat er sehr geheimnisvoll. Er ist nämlich Modelleur für Wachsköpfe und Wachsfiguren, so eine Art Künstler in seinem Fach. Er steht mit dem ganzen Ausland in Geschäftsbeziehungen. Vor – ja vor fünf Tagen bekam er eine neue Bestellung aus Hamburg. Dem Briefe lag auch Geld bei. – Mehr kann ich darüber nicht angeben. Jedenfalls war Wogitsch seit heute vormittag dann sehr aufgeregt. Er sagte zu mir, daß es doch gut sei, wenn man eine Zeitung hielte, man erfahre dann doch so allerlei. Und heute abend, als er gegen acht ausgehen wollte, kam er noch zu mir und meinte: »Du, Rehbein, ich will mal zu Harald Harst. Bei der Geschichte stimmt was nicht!« – Meine Fragen beantwortete er nicht. Er war wieder sehr aufgeregt.«

      »Und Sie glauben, daß er bisher nicht heimgekehrt ist, Herr Rehbein?«

      »Nein. Ich hätte ihm ja die Haustür aufschließen müssen. Wir haben nur einen Hausschlüssel.«

      Die zahme Dohle schlug mit den Flügeln und krächzte.

      »Still, Peter!« rief der Schuster ärgerlich. »Still, Du Racker. Dein Herr wird schon kommen!«

      Und zu uns: »Peter ist Wogitsch’ Eigentum und seine einzige Freude. Sie sollen nur sehen, meine Herren, wie Peter sich freut, wenn Wogitsch ihn von hier abholt. Der Vogel hat wahrhaftig Menschenverstand.«

      Rehbeins reiner Dialekt – er berlinerte nur ganz wenig – und seine gewandte Ausdrucksweise veranlaßten Harst zu der Frage, aus welcher Gegend der Schuster herstamme und ob er von jeher Schuhmacher gewesen.

      Rehbein blickte vor sich hin und senkte etwas den Kopf. »Ich bin … ein Findling, Herr Harst,« erwiderte er zögernd. »Ich wurde in Stettin in einem Hausflur als Säugling gefunden. Ich habe später das Gymnasium besucht. Aber meine Pflegeeltern konnten dann doch die Mittel nicht aufbringen, mich die Schule durchmachen zu lassen. Ich … ich ging zur See und wurde Matrose, lernte so nebenbei die Schuhmacherei …«

      All das klang ganz so, als ob Rehbein vieles verschweigen wollte, was seine Vergangenheit betraf.

      Die Dohle meldete sich abermals, und hierdurch wurde der Schuhmacher offenbar daran erinnert, daß sein Freund Wogitsch doch längst hätte heimgekehrt sein müssen.

      »Wo er nur bleibt?!« meinte er nachdenklich. »Wogitsch geht ja nie abends allein aus, nie, höchstens mit mir zusammen mal in ein Kino, wenn es ein Seestück gibt.«

      »War er denn auch Matrose wie Sie, Herr Rehbein?«

      »Ja …« – Das klang wieder sehr, sehr zögernd.

      Wir schwiegen eine Weile. Die Dohle bearbeitete ein Stück Pech mit dem Schnabel. Dann schlug die Kuckucksuhr in der Werkstatt halb elf – zwei Kuckucksrufe.

      Ich zog unwillkürlich meine Taschenuhr. Und die zeigte erst ein Viertel elf.

      »Ihre Uhr da geht falsch,« meinte ich und blickte wieder den Buckligen an.

      Und — erschrak …

      Rehbein stand jetzt aufrecht – leichenblaß –, stierte nach links, wo die Uhr hing.

      Sein Aussehen verriet ein Entsetzen, das ich nicht begriff, für das ja keinerlei Veranlassung gegeben war.

      Die Dohle wiederholte täuschend ähnlich den zweimaligen Kuckucksruf …

      »Still!« keuchte der Schuster. »Still, Peter! Du ahnst nicht, daß …«

      Er brach ab, sank auf den Schemel zurück, streichelte geistesabwesend den Vogel und schielte wieder scheu nach der Schwarzwälder Uhr hin.

      Und – jetzt erst – jetzt erst sah ich, daß die weißen Zeiger dieser Uhr ebenfalls ein Viertel elf anzeigten.

      Eine fast unheimliche Stille entstand.

      Nur die Uhr tickte laut …

      Dann räusperte Rehbein sich.

      »Hm – die Herren werden schon entschuldigen … Ich muß schlafen gehen …,« sagte er leise.

      »Und wie kommt Ihr Freund ins Haus?« fragte Harald scheinbar gleichmütig.

      »Ich … ich lege ihm den Schlüssel unter die Türschwelle draußen.«

      »Sie wollen uns … los sein!« erklärte Harst da schärferen Tones. »Sie wollen … nach oben zu Wogitsch!«

      Der Bucklige kroch vor Verlegenheit förmlich in sich zusammen.

      »Wogitsch ist doch gar nicht oben,« murmelte er und streichelte wieder nervös die Dohle.

      »Ich glaube doch, Herr Rehbein!«

      »Aber – aber, wie … wie kommen Sie denn darauf, Herr Harst?!«

      »Weil … die Uhr schlug …!«

      Rehbein schnellte hoch, stammelte: »Die … die Uhr?! Wie … wie meinen Sie das?«

      »Nun, ich sehe da zwei dünne, dunkel besponnene Drähte an der dunklen Tapete von der Uhr zur Decke und von da durch die Decke laufen, Herr Rehbein. Ich wette, daß der Mechanismus des kleinen Blasebalgs, der den Kuckucksruf erzeugt, elektrisch eingeschaltet werden kann … als Signal vielleicht.«

      Der Bucklige hatte den Kopf weit vorgereckt, hatte jedes Wort von Haralds Lippen abgelesen.

      Sein fahles Gesicht bekam wieder Farbe. Aber – dicke Schweißperlen traten ihm gleichzeitig auf die Stirn.

      Dann ballte er die dürren, aber auffallend gut gepflegten Hände zu Fäusten, als wollte er sich mit aller Gewalt zur Ruhe zwingen.

      Und lächelte verzerrt, stotterte:

      »Ja, ja, es … es ist ein Signal, Herr Harst, – ganz recht! Wogitsch ist doch zu Hause! Ich … ich muß ihn dann wohl doch nicht gehört haben, wie er heimkehrte.«

      »Hm – ich denke, die Haustür war verschlossen, und Sie beide haben nur einen Schlüssel?! Wer wohnt denn noch hier im Hause?«

      »Niemand … Die drei Stuben im ersten Stock sind zu … zu baufällig, um noch vermietet zu werden.«

      Harald stand langsam auf.

      »Herr Rehbein,« sagte er ernst, »vielleicht hat das Haus noch einen zweiten Zugang …«

      Der Schuster lächelte blöde. »Nein – nein, Herr Harst. Das Grundstück hat nicht mal einen Hof und stößt hinten an ein großes Fabrikgebäude.«

      »Nun, Herr Rehbein, wenn Ihr Freund daheim ist, können wir ja nach oben gehen.«

      Der Bucklige krümmte sich wie unter körperlichen Schmerzen. »Ich – ich möchte ihn … ihn erst vorbereiten, daß Sie hier sind, Herr Harst,« stieß er hervor.

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