Tödlicher Glitzer. Helga Henschel

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Tödlicher Glitzer - Helga Henschel

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in seinen Gedanken antwortete Georg abwesend: „Auf Wiedersehen und vielen Dank für Ihre Mühen.“

      Georg wollte dem Arzt noch die Hand reichen, doch der hatte sich schon abgewandt und lief in schnellen Schritten zum nächsten Krankenzimmer.

      Händeschütteln ist wahrscheinlich in einem Krankenhaus weniger gut, dachte Georg.

      Dunkel erinnerte er sich an die Hygiene-Hinweise zur Vorbeugung von ansteckenden Krankheiten und den Problemen der Kliniken mit resistenten Keimen.

      Nachdenklich machte er sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Seiner trauernden Schwiegermutter wollte er vorerst nicht mehr begegnen. Das würde nur zu langen aussichtslosen Diskussionen führen. Beim Fahrstuhl musste er warten. Besonders am Vormittag standen die leisen Lifte nie still. Viele Patienten wurden zu Untersuchungen gefahren und das manchmal im Krankenbett. Da kamen die Pfleger und Pflegerinnen nur mit gekonntem Rangieren um die Kurven.

      Er lief rasch ins Treppenhaus und flüchtete geradezu die Treppenstufen hinunter. Eine Etage tiefer stellte er sich wieder vor die Fahrstuhltür und wartete erneut, denn er befand sich erst im dritten Stockwerk. Ganz ins Erdgeschoss zu laufen, das ersparte er sich besser.

      Rechtsmedizin. Was wollen die Ärzte dort herausfinden, überlegte er. Muss ich nicht gefragt werden?

      Aber er fand es richtig, dass sie der Krankheit von Elvira auf den Grund gingen. Etwas seltsam war das Ganze schon, grübelte Georg auf dem Weg zur Wohnstraße, in der er einen Parkplatz ergattert hatte. Er stand vor einem Rätsel. Trotz des ständigen Nachdenkens über die mögliche Krankheit, gelangte er nie zu einem befriedigenden Resultat. Er gab dem Arzt recht, Elvira musste gründlich untersucht werden. Er wollte wissen, wie die amtliche Todesursache lautete und was wirklich dahintersteckte. Keiner sollte denken, er trüge Schuld am Tode seiner Frau. Nein, das lag nicht in seinem Sinn. Er wollte wissen, warum sie sterben musste, sinnierte er. Warum er ab jetzt den unschmeichelhaften Titel „Witwer“ trug?

      Bin ich nicht zu jung, um Witwer zu sein, fragte er sich.

      Georg war bei seinem SUV angelangt und schloss auf. Routiniert kurvte er aus der Parklücke und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Rasch gelangte er auf die Straße stadtauswärts. Er hatte außerhalb der hektischen Großstadt Bremen in der Kleinstadt Worpswede sein geräumiges Haus gebaut. Dahin trieb es ihn nun. An seine ungeliebte Schwiegermutter verschwendete er keinen Gedanken. Sie war selber mit ihrem kleinen Auto zum Krankenhaus gefahren. Sie sollte in Zukunft nicht mehr bei ihm ihre leeren und langweiligen Tage verbringen. Sie konnte in ihrem Haus bleiben und ihrer Tochter Elvira dort gedenken und ausgiebig trauern.

      Zu Hause angelangt zog er die Jalousien hoch und öffnete sperrangelweit sämtliche Fenster. Frischer Wind und Durchzug sollten endlich Krankheit und Tod aus seinem Heim vertreiben. Seine warme Jacke behielt Georg derweil an.

      Vom Telefontisch holte er sich die „Gelben Seiten“. Seinen Computer hochzufahren, dazu hatte er momentan keine Lust. Also blätterte er bis zum Buchstaben „B“ wie Bestattungen und suchte sich in den Anzeigen die professionellste aus. Den seriösen Bestattungsunternehmer, den seine Schwiegermutter ihm empfohlen hatte, nahm er nicht.

      Immer diese Ratschläge, ärgerte er sich. Ich bin doch kein kleines Kind mehr.

      Im Telefonbuch fand er schnell einen geeigneten Bestatter und rief an.

      „Guten Tag, Bestattungen Meyer. Was kann ich für Sie tun?“

      „Guten Tag, Pielhop. Meine Frau ist soeben verstorben. Ich brauche einen Termin bei Ihnen.“

      „Mein aufrichtiges Beileid. Möchten Sie in unser Büro kommen oder kann ich Ihnen einen Besuch abstatten?“

      „Ich wohne in der Nähe. Ich kann bei Ihnen vorbeikommen. Ist mir sogar lieber“, und er dachte mit Grauen an seine Schwiegermutter, die sich vielleicht uneingeladen in seinem Haus einquartierte.

      „Wann passt es Ihnen?“

      „Vielleicht schon morgen?“, antwortete Georg.

      Die notwendigen, aber überaus lästigen Formalitäten wollte er so rasch wie möglich hinter sich bringen.

      „Dann schlage ich morgen Vormittag um 11.00 Uhr vor. Können Sie das einrichten?“

      „Kein Problem. Ich bin bei Ihnen. Äh, ein Problem noch. Im Krankenhaus sagte der Arzt, dass meine Frau noch untersucht wird und sie nicht wissen, wann sie freigegeben wird.“

      „Ja, aber die Vorbesprechung können wir schon machen“, sagte Herr Meyer.

      „Okay.“

      „Bringen Sie bitte die notwendigen Dokumente mit. Wir brauchen Ihren Personalausweis und den Ihrer Frau. Und dann noch die Geburtsurkunde, Heiratsurkunde und den Totenschein, wenn Sie haben.“

      „Totenschein habe ich noch nicht. Und die anderen Formulare muss ich suchen. Wo sind die Unterlagen nur hingeraten?“, fragte Georg ratlos.

      „Meistens liegen die Urkunden im Familienbuch. Schauen Sie dort mal nach.“

      „Ich muss suchen. Vielen Dank Herr Meyer. Bis Morgen“, verabschiedete sich Georg von dem sehr rücksichtsvollen Bestatter.

      „Auf Wiedersehen, Herr Pielhop. Ich erwarte Sie.“

      Georg schloss die Fenster, ihm war fröstelig zumute. Aber das ausgiebige Lüften fegte den Mief hinaus, der über Wochen und Monate im Haus geradezu geklebt hatte. Nun ging es ihm besser und er konnte zum ersten Mal seit Elviras Tod befreit Luft schöpfen und zu sich selbst finden.

      In der Küche bereitete er sich eine Kanne mit schwarzem Tee zu. Den brauchte er, um wieder klarer zu sehen und besser nachdenken zu können. Hunger meldete sich ebenfalls. Kein Wunder, vierzehn Uhr, und er hatte so früh gefrühstückt und war ins Krankenhaus gehetzt. Er öffnete den Kühlschrank und schaute, welche Zutaten es dort für eine schnelle Mahlzeit gab. Er holte einfach zwei Scheiben Schwarzbrot aus der Brotdose, bestrich sie mit dick Butter und belegte eine mit Salamischeiben und die andere mit Käse. Dazu gönnte er sich ein Glas frische Milch, die er in der Mikrowelle erhitzte. Das würde seinen knurrenden Magen vorerst füllen. In der Küche fand er sich gut zurecht, denn während Elviras Krankheit musste er öfter Mahlzeiten zubereiten. Er stellte sein frugales Menü auf das Tablett, ging damit vorsichtig ins Wohnzimmer und platzierte es auf dem Tisch. Von seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer holte er sich einen Stift und einen Schreibblock. Er wollte eine To-do-Liste anlegen.

      Georg setzte sich auf die Wohnzimmercouch, auf der Elvira noch vor Kurzem bemitleidenswert krank gelegen hatte.

      Nein das nicht, sagte er und raffte das Bettzeug und die Wolldecke zusammen. Damit eilte er in Elviras Zimmer und warf alles auf ihr Bett.

      Weg damit.

      Trotzdem erzeugte das Sofa Unruhe in ihm und er setzte sich flugs in den Sessel. Auf dem Sofa konnte er nicht klar denken. Ständig standen ihm wieder die grauenhaften Bilder des schlichten Sterbezimmers und ihr langes Dahinvegetieren vor Augen. Im bequemen Sessel fühlte er sich wohler.

      Während er eine Scheibe Brot zerteilte und aß, schrieb er Stichpunkte auf den bereitgelegten Block. Eine solche hilfreiche Stütze brauchte er sonst nicht, denn er verfügte über ein recht gutes Gedächtnis. Doch in seinem jetzigen Zustand benötigte er Sicherheit. Es gab so viele Dinge zu erledigen und an so viele Kleinigkeiten

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