Todesvoting. Karin Szivatz

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Todesvoting - Karin Szivatz

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Bell, wo bleibst du denn schon wieder? Du machst mich noch wahnsinnig!“ Sie unternahm nicht einmal den Versuch, ihre Ungeduld zu verbergen. Sie war genervt und fand keinen Grund, es für sich zu behalten.

      „Ich bin in zwei Minuten bei dir, schau mal aus dem Fenster und sei nicht immer so pingelig! Du hast aber manchmal schon einen Stock im Hintern, das ist total unlustig und nervig. Ich bin doch erst zwei Minuten zu spät“, raunzte Bell gehetzt und beschleunigte ihre Schritte noch ein wenig mehr.

      Alexa lehnte sich mit ihrem Handy am Ohr zum Fenster hinaus und sah ihre Freundin auf den Wohnkomplex zuhasten. „Bis du hier oben bei mir bist sind es insgesamt gut und gern sechs Minuten und das sind um genau... Bell? Bell! O mein Gott, Bell!“

      Sie starrte auf den Lieferwagen, der direkt neben ihrer Freundin gehalten hatten. Die seitliche Tür wurde nach hinten stoßen und jemand hatte sie brutal ins Innere gezogen. Zwei Sekunden später hatte sich der Wagen wieder in den Fließverkehr eingefädelt und hielt mit unauffälliger Geschwindigkeit auf die Autobahn zu.

      Alexa entglitt das Telefon und beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren und wäre aus dem Fenster im dritten Stock gestürzt. Sie hatte sich zu weit nach vorn gebeugt um dem Lieferwagen nachzusehen. Wie von Sinnen schrie sie immer wieder den Namen ihrer Freundin und zwischendurch nach der Polizei. Ohnmächtig trommelte sie mit den Fäusten aufs Fensterbrett und stieß dabei einen Chilitopf um, der wie eine kleine Bombe auf dem Gehsteig unter ihr explodierte.

      Als der Lieferwagen an der Ampel rechts abbog, schnappte sie ihr Handy, hastete in Hausschuhen die Treppen hinunter; immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Mit einem kräftigen Schwung war sie in ihrem Auto und schoss aus der Parklücke. Dass sie dabei einen hellroten Porsche rechts hinten touchierte, bemerkte sie nicht. Und selbst wenn sie es bemerkt hätte, wäre es nicht von Belang gewesen. Sie musste den Lieferwagen, in dem ihre Freundin wie ein Fisch in einer Dose gefangen gehalten wurde, erwischen. Während sie die Straße entlang jagte, versuchte sie, den Polizeinotruf zu wählen. Sie schielte immer wieder auf die Tastatur ihres Handys, dann sofort wieder auf die Straße, die sich ihr viel schmäler als üblich präsentierte. Sie tippte drei Zahlen ein, verwählte sich, legte auf, fluchte lautstark, trat noch mehr aufs Gas, hupte, beschimpfte wahllos die anderen Autofahrer und drückte erneut die drei Ziffern auf der Tastatur. Endlich hatte sie die richtige Nummer gewählt. Jetzt fehlte nur noch die Sprechtaste für die Verbindung.

      „Polizeinotruf, was kann ich für Sie tun?“

      „Meine Freundin Bell…. Sie wurde … entführt. In einem weißen Lieferwagen. Schicken Sie ein paar Hubschrauber, sie sind auf die Autobahn gefahren!“ Alexas Stimme überschlug sich, kreischte und wurde ziemlich schrill.

      „Wo sind Sie jetzt? Welche Autobahn meinen Sie?“, fragte die Polizeibeamtin viel zu ruhig für Alexas Geschmack.

      „Du blödes Arschloch!“, schrie sie, meinte damit aber einen Autofahrer, der viel zu langsam fuhr. Sie überholte ihn, fuhr mit quietschenden Reifen bei rot über die Ampel und handelte sich ein Hupkonzert ein, das sie aber nur in ihrer Stimmung unterstützte. „Ich verfolge den Wagen auf die A2 in Richtung Norden. So schicken Sie verdammt noch mal die Kavallerie, einen Hubschrauber, das Militär, was weiß ich, nur tun sie etwas!“

      „Sie wissen, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie…“

      „Jetzt halten Sie die Klappe und hören Sie mir zu! Meine Freundin wird entführt und sie haben die verdammte Pflicht, ihr zu helfen!“

      Nach dieser Ansage breitete sich im Hörer Stille wie in den Tiefen des Ozeans aus. Eine Sekunde, eine zweite. Alexa war gerade dabei, eine hässliche Schimpftirade in den Hörer zu keifen, als sich die Beamtin wieder meldete. „Wie sieht das Fahrzeug aus? Konnten Sie sich das Kennzeichen merken? Hat der Wagen besondere Merkmale?“

      Alexa holte knapp 180 Stundenkilometer aus ihrem nicht mehr ganz neuen Wagen heraus, hupte die furchtbar langsamen Schnecken vor ihr an, die sie in ihrer rasanten Fahrt behinderten und schimpfte nebenbei wie ein alter Seebär. „Es ist ein weißer Lieferwagen, Marke Stern mit einer seitlichen Schiebetür. Und dort drin ist meine Freundin! Herrgottnochmal, jetzt reden Sie nicht so viel, tun Sie etwas!“ Sie brüllte ins Handy als ob die Polizistin am anderen Ende der Leitung völlig schwerhörig wäre.

      „Beruhigen Sie sich doch, es sind bereits drei Streifenwagen unterwegs und der Helikopter startet in einer Minute. Wenn Sie sich aber einen Scherz…“

      Alexa warf das Handy erbost auf den Beifahrersitz. „Ach, leck mich doch!“ Für solchen Schwachsinn hatte sie jetzt aber wirklich keine Zeit. Sie musste den Lieferwagen finden und so lange verfolgen, bis die Polizei ihn stoppte. Die Häuser neben der Autobahn rasten im Eiltempo vorbei, hinterließen in ihren Augen jedoch nur noch verschiedene Farbstreifen. Als hätte Gott mit überbreiten Pinseln Streifen neben die Fahrbahn gemalt um die Fahrer zu unterhalten. Sie raste an unzähligen Autos in den verschiedensten Farben vorbei, hupte, fluchte und schüttete dabei so viele Stresshormone aus, dass ihr der Schweiß in Strömen von der Stirn lief. Doch das alles war nicht wichtig. Nur Bell war wichtig. Sie hatte den weißen Lieferwagen nicht mehr zu Gesicht bekommen und jetzt kam die erste Ausfahrt. Alexa verringerte ihr Tempo ein wenig und überlegte panisch, ob sie abfahren oder auf der A2 bleiben sollte. In ihrem Kopf fochten tausend Gedanken ein Turnier aus, doch keiner von ihnen konnte den Sieg für sich verbuchen.

      Letztendlich setzte sie den Blinker und überquerte die beiden Spuren bis zum Pannenstreifen. Dort brachte sie ihren Wagen mit einem kurzen Schlingern zum Stehen, legte erschöpft die Stirn auf das Lenkrad und heulte verzweifelt los.

      2

      Alexa saß in der Ecke des nüchtern eingerichteten Wachzimmers und zitterte, obwohl es recht warm im Raum war. Ihr Adrenalinspiegel machte sich bemerkbar und ein Beamter legte ihr fürsorglich eine Decke über die Schultern. Ihre Atmung kam unbeabsichtigt stoßweise aus ihrem Mund und sie fühlte sich elend. Als ob sie gerade gegen Vitali Klitschko im Ring gestanden und den Kampf natürlich verloren hätte. Sie versuchte, einen Becher Kaffee an ihre Lippen zu führen, doch sobald der bittere Geruch in ihre Nase stieg, kam gleichzeitig Ekel in ihr auf. Sie liebte Kaffee in allen Varianten, doch jetzt löste er beinahe Brechreiz aus. Sie stellte den Becher auf den Schreibtisch neben ihr und starrte weiterhin die Wand gegenüber an. Das Plakat, das vor Taschendieben warnte, prangte in deren Mitte wie ein Blutfleck auf einem weißen T-Shirt, doch sie sah es nicht. Mittlerweile kauerte sie auch schon nur noch auf dem Stuhl, denn zum Sitzen fehlte ihr die Kraft.

      Sie, die Frau, die immer energiegeladen durch den Tag tanzte, die stets anpackte und nichts liegen ließ und die schlagfertig auf jede Aussage reagierte, wenn es nötig war. Alexa sprühte normalerweise vor Herzensgüte und sie lebte nach dem Motto ‚immer nur her mit den Problemen, ich mache ihnen den Garaus’. Doch im Moment würde sie niemand erkennen, nicht einmal ihre Mutter. Alexa hing mehr am Stuhl als sie saß, denn ihrem Körper fehlte es an jeglicher Spannung. Selbst ihre sonst so fröhlichen, von der Natur gelockten Haare hingen kraftlos auf ihre Schultern hinab.

      „Ja“, hauchte sie mit geschlossenen Augen. Der junge Beamte tippte etwas in seinen Computer. „Haben Sie den Mann erkannt?“

      „Nein.“ Sie flüstere nur noch und gab dabei aber schon ihr Bestes. „Lassen Sie mich zwei Stunden in einer Ausnüchterungszelle schlafen, dann geht’s wieder“, flehte sie und kippte beinahe vom Stuhl. Die beiden Beamten griffen rasch zu und hielten sie an den Schultern fest. Dann nickten sie einander zu und der Jüngere fuhr sie mit dem Drehstuhl in eine der beiden freien Zellen am Revier. Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und sah Rodrigo Gonzales, den Ermittler der Sondereinheit für Entführung, fragend an.

      „Sie

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