Todesvoting. Karin Szivatz

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Todesvoting - Karin Szivatz

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aber das ist völlig normal. Unsere Leute haben jedenfalls vierundzwanzig Fahrzeuge im abgesteckten Abschnitt überprüft. Ohne Ergebnis. Aber ich glaube ihr. Was haben die Anrufe aus der Umgebung bis jetzt ergeben? Die Entführung, so sie tatsächlich stattgefunden hat, muss doch auch noch von anderen Personen beobachtet worden sein.“

      Der Polizist tippte ein paar Befehle in seinen Computer und wartete, bis ein Menü auf dem Bildschirm erschien. Dort klickte er ein paar Punkte an und wartete wieder.

      Die Beamtin des Notrufs hatte sofort alle diesbezüglich eingegangen Anrufe an die zuständige Dienststelle weitergeleitet. Er sah angestrengt auf den Bildschirm. „Es sind lediglich vier Anrufe eingegangen. Drei wegen der Entführung und eine, weil Frau Alexa Miller Radau gemacht und einen Blumentopf aus dem Fenster auf den Gehsteig geworfen hatte.“

      Der Beamte sah Gonzales ungläubig an, verdrehte dann die Augen und schüttelte den Kopf. Der Ermittler lachte. „Das war wahrscheinlich wieder mal so eine alte Schachtel, der nur ihr eigenes Wohlergehen wichtig ist. Das kenne ich zur Genüge.“

      Dann drehte der Polizist den Bildschirm zu Gonzales.

      „Das sind alle diesbezüglich eingegangenen Anrufe“, erklärte er und grenzte sie mit dem Finger ab. Respektvoll ließ er Rodrigo Zeit um sie zu überfliegen. Insgesamt waren wirklich nur vier Anrufe verzeichnet und drei davon sagten im Prinzip das gleiche aus. Die Geschichte der Lady in der Zelle stimmte also vermutlich.

      Rodrigo lehnte sich in seinem Stuhl zurück und wollte um die Weiterleitung der Gesprächsprotokolle bitten, doch der Beamte kam ihm zuvor. „Ich leite alles Nötige weiter an Ihre Dienststelle. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

      Rodrigo dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. Dann stand er auf, bedankte sich für die reibungslose Zusammenarbeit, nahm die Akte vom Tisch und machte sich auf den Weg ins Dezernat um eine fähige Gruppe zur Auffindung von Natalie Isabell, ‚Bell’ Springer zusammen zu stellen. Die Zeit drängte, denn das Opfer war womöglich in Lebensgefahr. Im Moment zählte nicht nur jede Stunde, sondern jede Minute. Je frischer die Spur war, desto größer war die Chance, das Opfer zu finden. Rodrigo holte sich die Liste der Mitarbeiter und überprüfte, wer von ihnen an keinem anderen Fall arbeitete. Sorgfältig studierte er jeden einzelnen Namen, notierte immer wieder einen davon und filterte somit all jene heraus, die gut zusammenarbeiten konnten und sich auch so richtig engagierten.

      Bereits zwei Stunden später stürmte die vierzehnköpfige Truppe aus dem Besprechungsraum und verteilte sich in drei Gruppen in alle Himmelsrichtungen und dazwischen. Team Alpha sollte mögliche Zeugen der Entführung finden. Sie mussten sich Wohnung für Wohnung vorarbeiten, an jede einzelne Tür klopfen um mit den Bewohnern zu sprechen. Das waren geschätzte neunhundert Befragungen, wenn man für jeden Haushalt drei Personen rechnete. „Guten Tag, Lisa Willinger mein Name, wir untersuchen eine vermeintliche Entführung, die heute um dreizehn Uhr drei vor Ihrem Haus stattgefunden hat. Haben Sie etwas gesehen oder…. Bla bla bla.“ So uninteressant konnten Ermittlungsarbeiten sein, aber sie waren nötig. Lisa Willinger und ihre Kollegen ließen sich davon jedoch nicht entmutigen. Ihnen war durchaus bewusst, dass sie durch diesen zähen Anfang hindurch mussten um irgendwann direkt an den wirklich interessanten Ermittlungen teilnehmen zu dürfen. Aber sie alle waren noch jung und neu in der Abteilung. Somit fiel ihnen die langweilige Knochenarbeit ohne Lohn, Ruhm und Ehre zu.

      Team Beta sprach mit Passanten und den Verkäuferinnen der umliegenden Geschäfte. Sie kümmerten sich auch darum, Kassetten von Überwachungskameras mitzunehmen, beziehungsweise digital gespeicherte Aufzeichnungen ans Dezernat zu übermitteln. Team Gamma war bereits in der nächsten Liga und durfte sich mit dem Ehemann, den Eltern, den Freunden, Verwandten und Arbeitskollegen des Opfers über mögliche Motive der Entführung unterhalten. Auch die Vermögensverhältnisse der Entführten wurden dabei im Groben überprüft. Dieses Team wurde vom Kriminalpsychologen Dr. Hans Gruber geleitet. Bei Freunden und Verwandten von Entführungsopfern musste man mitunter sehr vorsichtig und sensibel vorgehen und sehr viel psychologisches Wissen sowie Einfühlungsvermögen besitzen.

      Ein internes Team übernahm die Auswertung der Überwachungsbänder, ein anderes machte sich im Register für KFZ-Anmeldungen auf die Suche nach allen weißen Lieferwagen. Aber ohne auch nur einen Teil des Kennzeichens zu kennen, führte diese Spur praktisch ins Nichts. Es war völlig aussichtslos, aber dennoch mussten sie ihr nachgehen.

      Kurz vor zwanzig Uhr versammelte sich das gesamte Team im Besprechungsraum. Auf dem Flipchart stand in roten Lettern ‚Natalie ‚Bell’ Springer’, darunter ‚32 Jahre’, ‚verheiratet mit Toby Springer’.

      Hans Gruber, der Psychologe, meldete sich als Erster mit den Ergebnissen seiner Befragung. „Im Großen und Ganzen hat sie bis jetzt ein normales Leben geführt. Sie hat einen Ehemann, einen normalen Job, keine besonderen Hobbys, etliche Freunde. Aber in einem Punkt war oder ist sie alles andere als gesellschaftsangepasst.“

      Er legte eine kurze Pause ein, um sich der Aufmerksamkeit des gesamten Teams sicher sein zu können. „Sie hatte in den letzten vier Jahren ein reges Sexualleben – und zwar außerhalb ihrer Ehe!“

      Erneut arbeitete er mit dem Stilmittel einer Pause. Er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und von allen angesehen zu werden. Dabei verspürte er ein Ziehen und Kribbeln in seinem Schritt, auf das er unheimlich stand. Es war keine Erektion, aber so etwas Ähnliches und er konnte davon nicht genug bekommen. Manchmal war dieser Erfolgsorgasmus für ihn weitaus erfüllender als ein sexueller Orgasmus. Er schloss kurz die Augen, genoss das Ziehen, atmete schwer aus und fuhr dann fort.

      „Diese sehr vertrauliche und äußerst delikate Information kommt von ihrer besten Freundin Alexa Miller. Toby Springer, ihr Ehemann, wusste von einem Liebhaber, vielleicht auch noch von einem zweiten. Laut Aussage von Frau Miller hatte Natalie im Lauf der Zeit jedoch sechs Liebhaber, einer davon war ein katholischer Priester. Mit letzterem hatte Bell zwar keinen Geschlechtsverkehr, aber sie umgarnte den Ordensmann und versuchte, ihn auf die Abwege der Sünde zu locken. Vermutlich ging es ihr hierbei um den Sieg über Gott und den Glauben und weniger um das Ausleben ihrer Sexualität.“

      Er setzte erneut eine Pause ein und hoffte, es würden gleich mehrere Beamte eine bestimmte Frage stellen. „Wieso ein Sieg über Gott?“, fragte Lisa Willinger und noch drei ihrer Kollegen. Da war er, der Weg zum Erfolgsorgasmus! Sie hatten ihn ihm nicht verwehrt. Ganze drei Sekunden lang genoss er diese Frage, dann fühlte er sich bemüßigt, die Lösung zu präsentieren.

      „Der Priester hat sein Leben Gott gewidmet und dafür strenge Auflagen erhalten. Wenn sie, das Menschenkind, nun fähig war, den Priester zum Sex zu verführen, würde er seine Ehe mit Gott brechen und sie an die erste Stelle seines Lebens setzen. Somit hätte sie einen Sieg über Gott errungen.“

      Die meisten nickten zustimmend und bewundernd. Sein Innerstes entflammte und der Psychologe genoss seine kleine Perversion in vollen Zügen, deren er sich vollends bewusst war.

      Rodrigo Gonzales sah ihn nachdenklich an. „Und? Hat sie es geschafft, ihn zu verführen? Hätte er deshalb ein Motiv, sie zu entführen? Wenn er schon Sex hatte, so kann er doch auch jemanden entführen… wenn mal eine Sünde begangen ist, dann kann man doch gleich weitermachen, oder?“

      Philipp aus der letzten Reihe rieb sich schmunzelnd die Hände. „Er hat sie entführt und hält sie jetzt in einem Keller als seine Sexsklavin gefangen. Er ist auf den Geschmack gekommen und holt nun alles nach, was er sich jahrelang verboten und vorenthalten hat. Im Keller feiert er jetzt Sexorgien, bis er wundgescheuert ist!“ Das gesamte Team drehte sich zu ihm um und lachte.

      „Willst du dich dem ehrenwerten Pater vielleicht anschließen? Gegen einen flotten Dreier hast du doch nichts einzuwenden, oder?“, warf Henrik ein und zog damit die Aufmerksamkeit des Teams auf sich.

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