Halt oder ich scheisse!. Hans Herrmann
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Rekrut: Verstanden. Injektionsstift.
Korporal: Erfüllt. Jedenfalls fast. Eigentlich ist das nur ein Übungs-Injektionsstift. Also los, dann suchen Sie ihn. Ausführen.
Rekrut: Verstanden. (Sucht. Ein paar Minuten verstreichen.)
Korporal: Rekrut Jaun!
Rekrut (sieht auf): Ja?
Korporal: Wie heisst's?
Rekrut: Bitte?
Korporal (lauter): Wie heisst's?
Rekrut (besinnt sich): Hier!
Korporal: Gut. Denken Sie daran: Auf Anruf eines Vorgesetzten laut und deutlich mit "Hier!" antworten. Haben Sie den Übungs-Injektionsstift gefunden?
Rekrut: Verstanden. Nein.
Korporal: Sie sprechen mit mir nicht über Funk. "Verstanden" müssen Sie nur sagen, wenn ich Ihnen einen Befehl erteile, wenn ich Sie in Befehlsform zu einer Antwort auffordere oder wenn ich etwas erkläre. Ich habe Ihnen aber nur eine Frage gestellt. Nicht in Befehls-, sondern in Frageform.
Rekrut: Ach so.
Korporal: Wie heisst's?
Rekrut (zögernd): Verstanden…
Korporal: Richtig. Schliesslich habe ich Ihnen eben etwas erklärt. Also, Rekrut Jaun, suchen Sie weiter. Sie suchen, bis Sie den Übungs-Injektionsstift gefunden haben. Und wenn es dabei Mitternacht wird. Wir haben Zeit. Viel Zeit. Die Rekrutenschule dauert noch ziemlich genau siebzehn Wochen.
Rekrut: Verstanden. (Sucht weiter. Wird nach fünf Minuten fündig.) Korporal, Rekrut Jaun.
Korporal: Hier. Lauter.
Rekrut: Korporal, Rekrut Jaun.
Korporal: Lauter. Ich muss Sie auch im Gefechtslärm verstehen können.
Rekrut (brüllt): Korporal, Rekrut Jaun!
Korporal: Hier. Was ist?
Rekrut: Ich habe den Übungs-Injektionsstift gefunden.
Korporal: Erfüllt. Liefern Sie ihn im MatMag ab.
Rekrut: Nicht verstanden.
Korporal: "Nicht verstanden" gibt's nicht. Sie müssen sagen: "Verstanden, erklären Sie den Befehl."
Rekrut: Verstanden. Erklären Sie den Befehl.
Korporal: Jawohl. MatMag ist die Abkürzung für Materialmagazin.
Rekrut: Verstanden. (Wendet sich zum Gehen.)
Korporal: Halt, halt, Rekrut Jaun.
Rekrut (hält an, dreht sich um): Hier! Verstanden!
Korporal: Sie müssen sich zuerst bei mir abmelden. Korrekt, wenn ich bitten darf.
Rekrut: Verstanden. (Nimmt Haltung an, salutiert:) Melde mich ab.
Korporal: Falsch. Beim Anmelden zuerst salutieren, dann reden; beim Abmelden zuerst reden, dann salutieren.
Rekrut: Verstanden. (Nimmt Haltung an:) Melde mich ab. (Salutiert.)
Korporal: Das Ganze nochmal. Beachten Sie den 60-Grad-Winkel.
Rekrut: Verstanden. Erklären Sie den Befehl.
Korporal: In der Achtungstellung müssen Sie die Füsse in den Fersen zusammenhalten, vorn aber in einem 60-Grad-Winkel abspreizen. So. (Macht es vor.) Ausführen!
Rekrut: Verstanden. (Nimmt Haltung an, winkelt die Füsse korrekt ab.) Melde mich ab! (Salutiert.)
Korporal (nimmt den Gruss ab): Jawohl, danke, ruhn, im Laufschritt ab ins MatMag marsch!
Rekrut (dreht plötzlich durch): Hier! Korporal, Rekrut Jaun! Verstanden! Hier! Erklären Sie den Befehl! Ausführen! Hier! Verstanden! Nicht hier! Ausführen! Befehl erklärt! Das Ausführen meldet sich ab! Jaun, Rekrut Korporal, erklären! (Er zuckt an allen Gliedern, und um seinen Mund beginnt es zu schäumen.)
Korporal: Rekrut Jaun! Hallo! Nicht erfüllt! Ins MatMag marsch! Ausführen!
(Jaun windet sich am Boden.)
Korporal: Wie heisst's? Nehmen Sie sich zusammen! He! Hallo! (Kratzt sich am Kopf.) Was hat er nur? Wie verhalte ich mich in dieser Situation korrekt? Ich muss im Dienstreglement nachsehen. (Ab. Jaun liegt flach ausgestreckt am Boden, wie tot.)
5. Zugschule
Nach dem Antrittsverlesen steht jeden Morgen unfehlbar Zugschule auf dem Programm, das heisst, wir lernen unter dem Kommando unseres kernigen Leutnants, uns der Grösse nach auf ein Glied zu besammeln (auf ein "Glied", das gibt immer wieder zu Witzeleien Anlass), oder in Zweierkolonne, in Viererkolonne, in Kolonnenlinie und im Halbkreis, der sogenannten "Daher-Formation".
Nach den Besammlungsübungen kommt Marschieren im Gleichschritt an die Reihe, mit Richtungsänderungen und Anschritten. "Einmal – Richtung – links!", dröhnt der Leutnant zum Beispiel, wenn er einen rechtwinkligen Richtungswechsel sehen will, oder aber "Zwomal – Richtung – rechts!", wenn wir um 180 Grad wenden sollen. Er bellt im Takt des Gleichschritts, und unsere sogenannten Anschritte, die in Form von Stechschritten jeden vollzogenen Richtungswechsel sowohl optisch als auch akustisch markieren, müssen knallen, die Glieder stets sauber ausgerichtet bleiben. Manchmal verstehen wir, obwohl – oder vielleicht gerade – weil er brüllt, unseren Leutnant schlecht; so kann es vorkommen, dass die Hälfte der Rekruten das Kommando "röchts" als "lönks" interpretiert, worauf sich der Zug zu einem marschierenden Chaos zergliedert.
Das Beste aber sind die Reaktionsübungen, die den Besammlungsübungen und dem Marschieren vorangehen. Diese Übungen stammen zweifellos aus der Zeit, als die Schweizer Armee noch vom preussischen Vorbild geprägt war; sie zielen darauf ab, den Mann durch pausen- und sinnloses Umherhetzen auf dem Kasernenplatz zu "schleifen", das heisst, der Armee gefügig zu machen. Unsere Vorgesetzten drücken sich allerdings anders aus. "Es geht darum, euch frisch und munter zu machen, und ihr könnt dabei zeigen, dass ihr spritzige Kerls seid."
Wenn der Leutnant kommandiert: "Zurücktreten – marsch!", müssen wir synchron in den Knien zusammenzucken, eine halbe Drehung vollführen und nach hinten rennen, was das Zeug hält, bis der Leutnant schreit: "Halt!" Worauf wir