Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski. Ricarda Huch

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Ricarda Huch: Im alten Reich – Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 2 - Band 181 in der gelben Buchreihe bei Ruszkowski - Ricarda Huch gelbe Buchreihe

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Prälatenkrieg. Misserfolge in der äußeren Politik und Geldmangel sind es gewöhnlich, die den in einem Gemeinwesen Zurückgesetzten und Unzufriedenen den Mut geben, sich hervorzuwagen. Die Rolle, die Lüneburg namentlich in der Hanse spielte, vielleicht auch zunehmende Verschwendung der regierenden Kreise hatte eine solche Schuldenlast aufgehäuft, dass sie abzutragen geboten schien. Der Rat wendete sich in seiner Verlegenheit an die Sülzprälaten, die an einer guten wirtschaftlichen Lage der Stadt interessiert waren und auch früher schon geholfen hatten. Sie waren auch jetzt nicht abgeneigt, etwas Außergewöhnliches zu leisten, aber ihre Bereitwilligkeit wurde hintertrieben durch eine dem Rat übelgesinnte Person, Dietrich Schaper, den Propst des alten Klosters Lüne. Im raschen Ärger über den unvorhergesehenen Widerstand veranlasste der Rat die Absetzung des Propstes, der nun es seinerseits dahin brachte, dass der Papst, der wegen der geistlichen Aktienbesitzer in diesem Streit die höchste Instanz war, Lüneburg in den Bann tat. Der Rat erwiderte den Schlag dadurch, dass er das Sülzgut der Prälaten einzog, worauf nicht nur der Papst den Bann erneuerte, sondern der Kaiser noch die Acht dazuwarf. Die Mittel waren noch wirkungsvoll genug, um auf Handel und Wandel zu drücken und dadurch die Bürgerschaft kleinmütig zu machen; in die Enge getrieben, dankte der Rat ab, nachdem die Bürger versprochen hatten, Gut und Leben der bisherigen Regenten nicht anzutasten. Die Untersuchung des Finanzwesens hatte den Bruch des Versprechens im Gefolge; denn man war mit der Rechnungsablage, die gegen das Herkommen erzwungen wurde, nicht zufrieden und gründete darauf ein strenges Vorgehen. Mehrere Ratsmänner mussten Geld und Waffen abliefern, andere wurden in die für Gefangene niederen Standes bestimmten Türme geworfen. Bürgermeister Springintgut, der sich dem Verfahren widersetzte, kam in den Turm am Grahlwall, erkrankte dort und starb. Der Sturz des Bürgermeisters soll weniger durch die Handwerker als durch einen persönlichen Feind aus dem Patriziat, Johann van der Molen, herbeigeführt worden sein; aber in ihrem Verlauf stützte sich die Bewegung auf die durch die ganze verfahrene Angelegenheit gereizte und benachteiligte Bürgerschaft und nahm eine demokratische Färbung an. Da nun aber der neue Rat die verzweifelte Lage, in die er hineingeraten war, nicht bessern konnte, zuletzt sich sogar hilfesuchend an die welfischen Fürsten wendete, wurde man seiner überdrüssig und rief den alten Rat zurück. Ein kaiserlicher Spruch verhängte Geldbußen und Verbannungen über die Aufrührer und der Tod des Bürgermeisters Springintgut wurde durch Enthauptung zweier Führer der Umwälzung gerächt. Mehrere Jahre vergingen noch, bevor die Sülzprälaten, namentlich durch Lübecks Vermittlung, dazu vermocht wurden, dem Rat zur Schuldentilgung die Hälfte ihrer Salineneinkünfte auf 10 Jahre abzutreten, woraus eine dauernde Abgabe wurde; ein Entschluss, der, rechtzeitig gefasst, den ganzen Jammer verhütet hätte.

      Aus diesem Sturm ging das Patriziat gekräftigt hervor und schloss sich mehr als früher von der übrigen Bürgerschaft ab. Auch kirchlich war man unabhängig geworden; denn der Rat setzte es durch, dass das alte Archidiakonat von St. Johannes, das die geistliche Gerichtsbarkeit ausübte, und das vom Bischof von Verden abhing, beseitigt wurde und die betreffenden Befugnisse auf den Pfarrer der Johanniskirche übertragen wurden. Der Handel kostete den Magistrat 1.000 Dukaten, die an Rom, und 2.000 Mark Silber, die an Verden gezahlt wurden. Umso fester hielt er sich im Beginn der Reformation zur Kirche, jede Änderung, jede Umwälzung fürchtend, die zu einem Eingreifen der Herzöge hätte Anlass geben können. Aber der Bewegung war kein Einhalt zu gebieten, sie ergriff die Bürgerschaft unwiderstehlich, und selbst der Abt des Michaelisklosters, Baldwin von Mahrenholz, musste mit ansehen, dass, bald nachdem er eine große Messe an der goldenen Tafel zelebriert hatte, der Prior mit mehreren Mönchen in der Kirche das Abendmahl auf lutherische Weise feierte, und starb, im Innersten von diesem Anblick erschüttert, nach wenigen Tagen.

       Die goldene Tafel war ein Altar, dessen Herkunft auf Heinrich den Löwen, der ihn aus Palästina mitgebracht habe, auf Karl den Großen, auf Hermann Billung, auf Kaiser Otto II. zurückgeführt worden ist, der ihn aus arabischer Beute habe anfertigen lassen. Seine Rückwand bildete eine große, in Goldblech getriebene figürliche Darstellung der heiligen Geschichte und war überreich mit Rubinen und Smaragden bedeckt. Dazu gehörten einige mit Reliquien und Kostbarkeiten gefüllte Fächer, worunter sich ein silbernes Fläschchen mit Milch der heiligen Jungfrau, der Beutel Judae mir den Silberlingen und ein Nadelkissen der Maria befand, ferner prächtige Kreuze, edelsteinbesetzte Bücher und Monstranzen. Im Jahr 1698 wurde diese Kostbarkeit durch eine Diebesbande gestohlen. Führer der Bande war ein kluger, begabter Mann, Nikolaus List, Sohn eines sächsischen Tagelöhners. Er hatte im Dienst des Kurfürsten von Brandenburg die Schlacht bei Fehrbellin mitgemacht und in Ungarn gegen die Türken gekämpft; heimgekehrt ließ er sich als Gastwirt nieder, studierte nebenbei den Parazelsus und kurierte Kranke, weshalb er der Doktor genannt wurde. Spitzbuben, die in seiner Wirtschaft verkehrten, verleiteten ihn zur Teilnahme an einem großen Diebstahl, der gut gelang, worauf er den Plan fasste, es in diesem Geschäft zu möglichst großer Vollkommenheit zu bringen. Er lernte vorzüglich gute Wachsabdrücke von Schlössern und Schlüsseln zu machen und schwang sich durch diese Kunst und ein gewiegtes Auftreten zum Haupt einer geübten Gaunergesellschaft auf. Er pflegte als Herr Heinrich Rudolf von der Mosel mit Allongeperücke, Samtmantel und Reitstiefeln aufzutreten, ohne dass er jemals Verdacht erregt hätte; seine verkleideten Spießgesellen bildeten seine Dienerschaft. Nachdem sie in der Katharinenkirche in Braunschweig einen schwierigen Diebstahl glücklich ausgeführt harren, begaben sie sich, um die goldene Tafel zu rauben, nach Lüneburg, wo einer von der Bande, ein Hamburger Schiffer, beheimatet war. Zwar glückte das Unternehmen; aber es gelang auch ziemlich rasch, der durch ihre Erfolge sichergewordenen Diebe habhaft zu werden, worauf sie teils gerädert, teils geköpft und gehängt wurden.

       Der Riss zwischen den Regierenden und der Bürgerschaft, die einst eine starke Einheit gebildet hatten, schloss sich nicht mehr. Was schon einmal zum Unheil geführt hatte, dass einer aus den Geschlechtern sich an die Spitze der Unzufriedenen stellte, wiederholte sich im 17. Jahrhundert einmal durch Franz Töbing, ein anderes Mal durch einen aus der Buchdruckerfamilie Stern. Die Gegner des Rats pflegten mit den Herzögen gemeinsame Sache zu machen; diese beiden, die unteren Volksklassen und das Fürstentum lösten miteinander das patrizische Regiment auf. Hat einmal der Abstieg begonnen, drängt alles in die abschüssige Richtung. Verschiedene äußere Umstände verdarben den Wohlstand. Im Jahr 1569 wurde die Elbschifffahrt dem Handel freigegeben, wodurch die Ilmenau entwertet wurde; neue Salinen traten in Wettbewerb mit dem Lüneburger Salz, die Hanse sank durch den Aufschwung der Holländer, der Verkehr ging durch andere Straßen. Während sich die Einkünfte verringerten, musste man von den Herzögen, deren zentralistische Neigung stetig zunahm, die Erneuerung der alten Freiheiten teuer erkaufen. Herzog Georg benutzte die Verwirrung und Verarmung des Dreißigjährigen Krieges, um im Bund mit der Bürgerschaft die Patrizier aus dem lange so rühmlich geführten Regiment zu verdrängen. Die alten Familien jedoch erlebten den Untergang der Republik nicht: die stolzen und ehrliebenden Geschlechter, die sich zwischen Fürst und Gemeinheit zu behaupten gewusst hatten, neigten sich, da sie eben ihre Blüte und die Blüte der Stadt erreicht hatten, dem Ende zu. Im 16. Jahrhundert starben die Garlop, die van der Molen, die Schellepeper, die Schneverdinge und Viskule aus, im 17. die Düsterhop, Schomaker und endlich die v. Tzerstede, die Stöterogge, die v. Töbing und v. Laffert. Das Schwinden der persönlichen Kraft, die ein Staatswesen aufgebaut und lange erhalten hatte, bedeutete hier wie anderswo das Schwinden einer Epoche.

Grafik 286

      Lüneburg um 1598

       Die äußere Erscheinung der Stadt überdauerte das innere Leben bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Nach dem Siebenjährigen Krieg, der das Ungenügende der alten Befestigung dargetan hatte, wurde sie niedergelegt. Zuerst wurde das Altenbrücker Tor abgerissen, durch welches die armen Sünder entweder auf den Köppelberg, wo mit dem Schwert gerichtet wurde, oder auf den Galgenberg, wo der steinerne Galgen stand, geführt wurden. Dann fiel das Lüner Tor, die Löwenkuhle, das Bardowiker Tor, die starke Papenmütze; der Grahlturm, wo der Bürgermeister Springintgut gefangen gelegen hatte, war schon im Dreißigjährigen Krieg abgetragen. Im 19. Jahrhundert verschwanden die Marienkirche, die Lambertikirche und das 1506 gestiftete Haus der Barmherzigkeit im Grahl. Und doch hat die trotzige, phantastische Stadt in der Heide viel von ihrer fremdartigen Schönheit bewahrt. Ihrer Mauern beraubt, gleicht sie

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