IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

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IM ANFANG WAR DER TOD - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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der heutige Kopfschmerz war anders. Ebenso wie der ekelhafte Geschmack und die staubige Trockenheit in ihrem Mund und der quälende Durst erinnerte er sie an längst vergangene Zeiten, in denen sie fast regelmäßig mit einem Kater aufgewacht war.

      Aber das kann nicht sein! Oder etwa doch?

      Die Angst des trockenen Alkoholikers vor einem Rückfall griff nach Anjas Herz und ließ sie erschaudern.

      Sie stand rasch auf. Zu rasch, denn augenblicklich wurde ihr schwindelig und gleichzeitig schwarz vor Augen. Sie schwankte hin und her. Halt suchend griff sie nach dem Couchtisch, um nicht nach vorn zu kippen und auf der Tischplatte zu landen. Ihre Finger stießen gegen einen Gegenstand, der klirrend umfiel. Dann gelang es ihr endlich, sich an der Tischplatte abzustützen und dadurch einen Sturz zu verhindern. Sie wartete darauf, dass sich die Schwärze vor ihren Augen lichtete und das Schwindelgefühl, das sie erfüllte, verschwand.

      Zum Glück kehrte ihre Sehkraft schon nach wenigen Augenblicken zurück. Und auch der Schwindel legte sich allmählich. Anja richtete sich wieder auf und ging mit langsamen, vorsichtigen Schritten zur Tür, um das Licht anzumachen.

      Als es hell wurde, schloss sie geblendet die Lider; die Helligkeit intensivierte den Schmerz in ihrem Schädel. Dann öffnete sie die Augen behutsam, um sie an das Licht zu gewöhnen. Blinzelnd sah sie sich um.

      Es war tatsächlich ihr Wohnzimmer, in dem sie sich befand. Es sah im Wesentlichen auch so aus wie immer. Das einzig Ungewöhnliche und Unerwartete war die Wodkaflasche, die auf dem Couchtisch lag, weil Anja sie umgestoßen hatte. Allerdings war kein Alkohol verschüttet worden, denn die Flasche war leer!

      III

      Als sie die umgekippte Flasche sah, hatte sie das unangenehme Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und in einen Abgrund zu stürzen.

      Sie hatte mittlerweile neun Monate lang keinen Tropfen Alkohol angerührt. Ein halbes Jahr davon hatte sie sogar eine volle Wodkaflasche in der Küche aufbewahrt, um ihre Willensstärke auf die Probe zu stellen. Doch selbst in dieser Zeit hatte sie der Versuchung nie nachgegeben. Und nach den schrecklichen Ereignissen im Rahmen der Ermittlungen im Fall des Apokalypse-Killers hatte sie den Alkohol ohnehin in den Abfluss geschüttet und die leere Flasche entsorgt.

      Woher kam also jetzt diese Wodkaflasche? Und was eigentlich noch viel wichtiger war, hatte Anja sie ganz allein ausgetrunken? Es erweckte zumindest den Eindruck, als wäre es so gewesen, denn auf dem Couchtisch stand nur ein einziges halbvolles Glas. Und auch der bohrende Schmerz in ihrem Kopf, der mit jedem Atemzug intensiver wurde, und all die anderen Begleiterscheinungen sprachen dafür, dass sie eine Menge Alkohol getrunken hatte. Aber doch keine ganze Flasche!

      Oder etwa doch?

      Anja wandte sich rasch ab und eilte ins Badezimmer. Ihr war plötzlich schlecht geworden. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, Klodeckel und -brille nach oben zu klappen, bevor sie sich übergeben musste.

      Als der Würgereiz endlich nachließ, spülte sie das stinkende Ergebnis ihres Übelkeitsanfalls rasch hinunter. Allerdings war der Geschmack in ihrem Mund um keinen Deut besser.

      Während sie sich aufrichtete, wurde ihr erneut schwarz vor Augen. Doch dieses Mal lichtete sich die Schwärze sofort wieder, ohne dass ihr schwindelig wurde und sie umzufallen drohte. Sie ging auf wackligen Beinen zum Waschbecken und wurde dort mit ihrem Ebenbild im Spiegelschrank konfrontiert.

      »Na prima!«, sagte sie mit krächzender Stimme, denn sie sah exakt so aus, wie sie sich fühlte.

      Die verschwitzte Haut ihres herzförmigen Gesichts mit den markanten Wangenknochen war bleich und sah ungesund aus. Die grünen Augen waren blutunterlaufen und glänzten fiebrig. Und ihre kurzen, dunkelblonden Haare standen auf der linken Seite wie beim Struwwelpeter ab, während sie auf der anderen Seite angeklatscht waren und schweißfeucht glänzten.

      Gut, dass Konstantin heute Nacht nicht bei mir übernachtet hat, dachte sie. Ein solcher Anblick hätte ihn ansonsten vielleicht dazu bringen können, sein Heil in der Flucht zu suchen.

      Anjas Mund, der, wenn sie ein Mitspracherecht gehabt hätte, gern etwas schmaler hätte sein können, verzog sich zur Andeutung eines Grinsens. Es verschwand allerdings augenblicklich wieder, als sie sich an die leere Wodkaflasche im Wohnzimmer erinnerte.

      Ich dachte, der Traum, den ich hatte und in dem der Pfarrer ermordet wurde, wäre der Albtraum, dachte sie. Aber ich habe mich getäuscht. In Wahrheit ist das hier der echte Albtraum!

      Als sie den Blick vom Spiegel abwandte und an sich heruntersah, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass sie nicht wie sonst in T-Shirt und Schlüpfer geschlafen hatte, sondern eine schwarze Jeans und einen schwarzen Kapuzenpulli trug. Kein Wunder also, dass sie so stark geschwitzt hatte. Die Sachen waren feucht und klebten teilweise auf ihrer Haut.

      Sie zog den Pulli über den Kopf. Darunter hatte sie ein dunkelgraues T-Shirt an. Es war völlig durchgeschwitzt. Sie fröstelte, als der Schweiß auf ihrer Haut trocknete und ihr dadurch kalt wurde.

      Rasch entledigte sich Anja der übrigen Kleidungsstücke einschließlich ihres verschwitzten Schlüpfers und der Socken, bis sie nackt und frierend vor dem Waschbecken stand.

      Aus Gewohnheit öffnete sie den Teil des Spiegelschranks, in dem sich ihre karge Hausapotheke befand.

      Bis zum Fall des Apokalypse-Killers, der damit geendet hatte, dass sie ihn auf dem Waldfriedhof in Notwehr getötet hatte, hatte sie nach ihren regelmäßig wiederkehrenden Albträumen stets wie unter Zwang nach einer Schachtel Schlaftabletten gegriffen. Sie waren ihr wegen ihrer zeitweiligen Schlaflosigkeit aufgrund ihrer damaligen Eheprobleme verschrieben worden; doch Anja hatte sie nie eingenommen. Stattdessen hatte sie die Pillen für den Fall aufbewahrt, dass ihr irgendwann einmal alles zu viel werden und sie nach einem leichten Ausweg suchen sollte. Beim Anblick der Tabletten hatte sie stets den Lockruf des Abgrunds vernommen, der jenseits der Schwelle lag, die der Tod für die Lebenden darstellte. Doch zum Glück hatte sie dem Sirenengesang nie nachgegeben, sondern das Rendezvous mit dem Sensenmann, das allen Menschen früher oder später bevorstand, ein ums andere Mal aufgeschoben. Nach den Erlebnissen mit dem Serienkiller Johannes war der Lockruf dann endlich verstummt. Anja hatte die Tabletten am Grab ihres Vaters ins regennasse Gras fallen lassen. Und den Wodka, mit dem sie die Tabletten im Fall des Falles hatte hinunterspülen wollen, hatte sie weggeschüttet.

      Fast erwartete sie nun, die Schlaftabletten wären ebenso wie die Wodkaflasche in ihr Leben zurückgekehrt. Doch das war zum Glück nicht der Fall. Die Stelle, an der sie früher immer gelegen hatten, war noch immer verwaist. Und auch der Lockruf des Abgrunds jenseits des Todes, den sie früher beim Anblick des Einschlafmittels verspürt hatte, blieb ihr erspart. Sie hatte nicht länger das Gefühl, der Tod wäre eine einfache und praktikable Möglichkeit, all ihre Probleme auf einen Schlag zu lösen. Die Begegnung mit dem Apokalypse-Killer, so schrecklich sie auch gewesen war und so vielen Leuten er den Tod gebracht hatte, hatte ihr zumindest den unbedingten Willen zum Weiterleben zurückgegeben. Und dafür war sie zutiefst dankbar.

      Dennoch fragte sie sich, als sie den Spiegelschrank wieder schloss, was hier eigentlich los war. Woher kam die Wodkaflasche? Hatte sie selbst sie besorgt, ohne dass sie sich daran erinnern konnte? Und hatte sie dann die Flasche ausgetrunken und auf der Couch das Bewusstsein verloren, um in einem der fürchterlichsten Albträume mitzuerleben, wie ein Geistlicher, den sie vor vielen Jahren gekannt hatte, ermordet wurde?

      Das kann doch alles nicht wahr sein!, dachte Anja. Wie an einen Strohhalm klammerte sie sich verzweifelt an den plötzlich in ihr aufkeimenden Einfall, dass sie noch immer träumte. Dass sie

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