Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper
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Aber nun war es anders gekommen, und das Unerwartete geschah durch die Bauern. Seit er Frondienst, Leibeigenschaft und Prügelstrafe von ihnen zu nehmen und sie zu Herren und Erben ihrer Höfe zu machen suchte, war es, als könnten sie sich trotz aller strengen Kontrolle doch nur Gutes vom Bauernkönig versprechen, auch wenn er ihnen jetzt zum ersten Male nur als der Soldatenkönig entgegentrat. Es hob wohl ihren Stolz vor all den hohen Herren, dass sie, ihrer Knechtschaft entronnen, nun auch noch statt der armen Bauernzipfelmütze den hohen, blanken Helm der Grenadiere tragen sollten und dass sie statt zerrissener Kittel des Königs Rock anlegen durften wie die Junkersöhne. Und ihre Welt war nicht mehr nur das Dorf, in dem man vor dem nächsten Lehnsdienst gezittert hatte, sondern sie zogen in die neuen Städte des Königs hinaus und dienten ihm, dem Obersten, selber mit Junkern und einstigen Lehnsherren.
Der König war glücklich. Schon kehrten die ersten mit dem Büschel am Hut vom Wehrdienst in ihr altes Dorf zurück. Schon war die zweite Gruppe in Montur. Schon weigerten sich die Jungen mit dem roten Tüchlein um den Hals, sich von den Schulmeistern schlagen zu lassen; sie unterstünden allein ihrem König. So weit war der Stolz schon gediehen, und tatsächlich musste der König mit einer öffentlichen Erklärung hervortreten, die gewisse Gepflogenheiten in den Schulen vorerst doch noch sanktionierte; denn ein sechsundsechzigjähriger Lehrer hatte sich von einem Offizier erbitten müssen, Soldat werden zu können, um wenigstens als Soldat die „Soldaten“ verprügeln zu dürfen.
Sehr glücklich war der Herr; am glücklichsten in jener Stunde tiefer Ruhe, wenn er am Sonntagmorgen mit seiner Familie, dem Hofe und der Garnison in seiner neuen, lichten Kirche der Kanzel gegenübersaß und droben auf dem Chor die „Kinder der Seligkeit“, die Waisenknaben in den kleinen Soldatenröcken sangen, die Grenadiere ihre Hände über ihrem abgenommenen Helm gefaltet hatten und auf den Kirchenbänken überall die Burschen Hüte mit dem bunten Büschel auf den Knien hielten. In solchen Stunden wollte er am liebsten alle um sich sehen, die mit seinem Lande gediehen. Wenn er aus der Kirche trat, so sollten alle da sein, denen es gut erging im Umkreis seiner neuen Stadt. Mit Pferd und Wagen sollten sie kommen, ihren Herrn zu grüßen und Umfahrt vor ihm zu halten: Umfahrt auf dem einstigen Sumpf, der nun zur schönen Königsstadt geworden war. Denn der Text der heutigen Predigt war gewesen: „Siehe, ich habe auch in diesem Stück dich angesehen, dass ich die Stadt nicht umkehre, von der du geredet hast.“
Die ersten Häuser auf dem zugeschütteten und pfahldurchrammten Grund des Faulen Sees hatte der König noch abreißen lassen müssen; und wie in einem schweren Gerichte, das über ihn verhängt war, blieb ihm auch nicht erspart, den Abbruch der fast vollendeten Soldatenkirche anzuordnen! Dreimal ganz von neuem hatte der Herr das Werk in Angriff genommen; die Kirche hielt vom zweiten Mal an stand.
Aber nun gaben die jungen Bäume zweier breiter Alleen schon sanften Schatten. Reinlich, freundlich, festlich umrahmte ein Viereck von wohlhabenden Häusern mit edlen Giebeln und vornehmen Treppen und blanken Laternen die blühende Plantage; Obelisken mit den Emblemen und Insignien des Königs schmückten den Platz.
In den Kreisen von Monbijou und auch im Landadel, der des Lebens einer Residenz so lange entbehrte, nicht minder im so rasch emporgekommenen Bürgertum der Manufakturisten und Beamten, löste die Aufforderung des Königs zu sonntäglicher Auffahrt vor der Kirche und im neuen Stadtteil die höchsten Hoffnungen, Genugtuung und Beifall aus. Ah, endlich entsannen sich nun Majestät der Verpflichtungen eines Hofes; endlich sollte es in der neuen Residenz ein wenig gesellschaftliches Leben geben. So hatte es also seine Bedeutung, dass der Herr, nachdem er streng verbot, adlige Wappen an den Gutsgrenzen wie obrigkeitliche Insignien anzubringen, ausdrücklich wünschte, dass diese Wappen nun an Häusern, Brücken und Patronatskutschen zu finden wären. Dem Herrn war es das Zeichen eines Friedensschlusses gewesen.
Man war nun geradezu darauf bedacht, dem einsichtig gewordenen Herrn etwas wie eine Freude zu bereiten, und die Stoffe für die neuen Toiletten zu dem Korso – so nannte man die Auffahrt von vornherein – wurden überwiegend in den Königlichen Manufakturen bestellt. Der Adel hatte sich auch durchaus abgefunden, dass er die Anwesenheit der neuen bürgerlichen Stände würde dulden müssen. Gewiss, es war ein Schatten; aber Glanz blieb Glanz; zum ersten Male unter der Herrschaft dieses Königs brach er in Preußen ein.
Die Auffahrt selbst überstieg dann alle Erwartungen. Der König hatte die kostbarsten Pferde des Marstalls und die besten Wagen seiner Remisen für Familie und Gefolge herausgegeben; die Grenadiere bildeten ein schimmerndes und blitzendes Spalier; die Völker Potsdams, jauchzend und in allen Sprachen rufend, drängten heran; Kinder liefen vor dem Korso her, grüne Zweige schwenkend und Lieder anstimmend, als sei er ein Festzug. Die Karosse der Königin gab die Richtung an. Es schien tatsächlich etwas wie ein Zeremoniell entworfen zu sein.
König Friedrich Wilhelm hatte vor dem Kirchportal seinen Schimmel bestiegen. Am Turme nahm die Fahrt ihren Anfang. Langsam rückten die offenen Kaleschen und die reichgezierten geschlossenen Kutschen um den Kirchplatz an, dann rollten sie die breite, neue Straße am schattigen Kanal entlang. Aus Hollands Backsteinhäusern winkten alle die, denen Pferd und Kutsche noch nicht zu Gebote standen. Auf den Treppen zu den Kähnen, selbst in den Wipfeln einiger alter Linden am Ufer, hockten kleine Jungen und große Burschen und hielten das dichte Laub mit allen Kräften auseinander. Vom Kanal her führte die Umfahrt um den neuen Wilhelmsplatz, über den vergessenen Grund des Faulen Sees, und wieder die Allee an dem Kanal zurück noch einmal am König vorüber. Der saß noch immer am Kirchtor zu Pferde und winkte und grüßte jeder Karosse und jeder Equipage, Kalesche und Kutsche zu. Der König hatte auch eine Feldmusik bestellt und nahm sich gar das Recht des Kaisers, zu den Trommeln und Pfeifen noch mit Trompeten blasen zu lassen. Man fand ganz allgemein, dass Rex auch liebenswürdig sein könne.
Dann freilich schlug die gute Meinung unverhältnismäßig rasch um; denn bei der zweiten Runde schloss sich in straußenfederbedeckter Equipage, in überladener Kammerherrnrobe der Freiherr Präsident von Gundling an, schon am Morgen trunken – vom König geduldet, damit er aller Hoffart eine Warnung sei.
Und das Allerunbegreiflichste stellte sich jetzt erst heraus: Bäuerliche Kastenwagen, Gemüsekarren und Leiterwagen mit schweren Ackergäulen davor, alle, denen es im Umkreis seiner neuen Stadt nur irgend gut ging, hatte der König zur Sonntagsauffahrt gerufen. Da ließ sich nun der Bauer und Gärtner und Kärrner nicht mehr vertreiben; da polterten nun die Karren der Landleute hinter den Staatskarossen all der Herren und Damen von Stand hinterdrein, und der Korso war diesen zum Fastnachtszug entwürdigt. Ein großes Glück, dass Ihre Majestät an der Spitze des Zuges noch nichts davon erfuhr und begriff!
Kein Bauer, kein Fischer, kein Müller, der nicht vom König am Kirchtor gegrüßt worden wäre und das Lächeln des Königs sich nicht zugewandt wusste.
Nun kamen sie auch von den anderen Kirchen her, denn es war der Wunsch und das Gebet des Königs, dass Gott in Potsdam in allen Zungen und jedem Glauben der Erde zu der gleichen Stunde angebetet werde. Auch in den anderen Kirchen war die Feier des Sonntagsgottesdienstes vorüber. Der Dominikanerpater, welcher für die katholischen Grenadiere des Königs Italienisch und Madjarisch, Französisch und Spanisch, Portugiesisch und Polnisch hatte lernen müssen, führte aus der neuen Kirche Marienkinder und Musketiere heran, die ihre Rosenkränze in den Händen hielten. Die französisch-reformierte Gemeinde der Refugies und Hugenotten, würdig in ihren langen, dunklen Röcken, den schönen Pelzmützen und Hauben und reichen Spitzenkragen, schritt gemessen einher; und jeder hatte noch die frommen und fleißigen Hände gefaltet. Der Pope, dem für die Moskowiter, dem Geschenk der Zarin Katharina an den Preußenkönig, eine griechisch-orthodoxe Kapelle am Langen Stall erbaut worden war, wies mit Stolz auf seinen frommen Chor. Den hatte ihm der König erst ganz kürzlich aus Moskau bestellt. Die zwanzig türkischen Riesen des Herzogs von Kurland beteten und sangen indes noch in einem Saal, der nahe bei dem Gotteshause der Soldaten