Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper
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Um den Anbruch der neunten Stunde wurde an einer sehr langen Tafel gespeist. Außer den Prinzessinnen und Prinzen waren an ihr auch die vornehmsten Personen der beiden Höfe zugegen. Prinzessin Philippine Charlotte, die dritte Tochter, nach dem Nordischen Winterfeldzug geboren, hantierte mit all den Gläsern und Bestecken wie zehn Oberhofmeisterinnen zusammen, derart kundig und elegant; alles Neue, Ungewohnte bereitete ihr unsägliches Vergnügen. Sie hätte die älteste Schwester am liebsten mit „Mylady“ angeredet, so völlig ging sie in der großen Stunde auf. Aber die Blicke des Großvaters suchte sie vergeblich auf sich zu ziehen, während wiederum die raue Friederike Luise, die nur sehr äußerlich der Mutter so ähnelte, von der Gegenwart des hohen Verwandten völlig unberührt blieb; fast war es, als wolle sie die Mutter damit treffen.
Die Tafel war mit langen Reihen hoher Leuchter bestellt. König Friedrich Wilhelm waren sie wie eine goldene Bahn zu seinem Herzen und wie ein Strom des Glanzes von seinem Herzen her. Ihm war feierlich zumute. Er hatte noch kaum einmal höfische Feste gegeben. Nun war ein Anlass, war ein Grund gegeben und ein Sinn gefunden, und das Fest geschah von selbst. Den anderen war es nur eine Abendtafel. Vergessen war aller frühere Hochmut des Oheims. Der Vater seiner Frau, der mächtigste König Europas, war an Friedrich Wilhelms Tisch erschienen, einen Bund zu schließen, der tiefer, enger und weiser war, als Herrscher und Räte und Heerführer in grüblerischen Abmachungen und wägenden Berechnungen ihn erdenken konnten. Er war den geheimen Traktaten enthoben! Die Liebe der Frauen, der Mütter schuf herrliche Zukunft! Noch einmal war dem Herrn die Frau wie in der früheren Zeit. Der König sah sehr oft zur Königin hinüber. Er dachte auch an die Fürstin über dem Meer. Es war gut um ihn und die Frauen bestellt! Er hob sein Glas; er blickte auf den Vater der Gemahlin, auf sie selbst, die Kinder, die Gäste, die Diener. Schweigend trank er ihnen allen sein Glas. Seinen Kindern winkte König Friedrich Wilhelm lächelnd zu.
Das war der erste Verstoß, den er sich noch am Abend der Ankunft vor dem hohen Gast zuschulden kommen ließ.
Gegen das Ende der Mahlzeit befand sich der König von England nicht recht wohl. Der Staatssekretär Mylord Thunsen bemerkte es zuerst. Er teilte es der Königin mit, die ihrem Vater nun sogleich den Vorschlag machte, aufzustehen. Allein er wollte es durchaus nicht tun und blieb noch einige Zeit sitzen. Als er sich endlich erhob, fiel er in Ohnmacht. Trotz der Bemühungen der Ärzte blieb er eine gute Stunde ohne Besinnung. Die Königin von Preußen war sehr blass. So rasch also konnte es geschehen, dass ihr Bruder König von Britannien wurde und ihr Neffe, Wilhelmines künftiger Gatte, Prinz von Wales! So rasch also schritt das Leben voran! Wahrhaftig, es war nicht zu früh, dass sie die Ehen der Kinder bedachte.
Das Wort Schlaganfall wurde nicht ausgesprochen. Aber deswegen war die Königin nicht erblasst.
* * *
Am nächsten Tage schon erklärte der König von England seinen Schwächezustand für völlig überwunden. Ja, er nahm seinen Anfall nicht einmal zum höflichen Vorwand, um seine völlige Gleichgültigkeit bei der Besichtigung Berlins und gegenüber den Artigkeiten seiner Enkelkinder dahinter zu verbergen. Er hatte in diesen Tagen große Verluste bei seinen privaten Spekulationen erlitten; die beschäftigten ihn sehr. Der üble Ruf der „bubbles“ verfolgte ihn ins alte Vaterland.
Von der Königin von Preußen gedrängt, ließ er die englischen und hannövrischen Herren, unter sich und mit ihm selber uneins, ein wenig mit den Preußen verhandeln. König Georg, der weder fertig Englisch noch Französisch sprach und gegenüber seinen Londoner Ministern sich mit schlechtem Latein behelfen musste, ließ übermitteln, er gebe sein Versprechen für die Doppelheirat. Er setzte aber noch hinzu, dass er vor Abschließung der frühzeitigen Verlobung die Meinung seines Parlamentes darüber vernehmen müsse; er wolle es sogleich nach seiner Rückkehr zusammenberufen. Die Zustimmung des Parlamentes noch leichter zu gewinnen, möchte man wohl vorerst alle zwischen England und Preußen geschlossenen Verträge erneuern und verschiedene Maßregeln ergreifen, um den ehrgeizigen Plänen der Beherrscher der Zarinwitwe Katharina Alexejewna Grenzen zu setzen.
Heute ließ Georg I. vorerst nur von Russland sprechen. Das Wort Österreich, für die Kurfürsten von Hannover und Brandenburg ein ungleich schwierigerer Fall, mochte besser erst nach diesen Vorverhandlungen erwähnt sein. Der Kurfürst von Brandenburg hatte sich da in eine für die anderen lästige Deutschtümelei hineingeredet, die reichlich erschwerend und ziemlich altmodisch wirkte. Schon von seinen alten Russenpakten war er nicht abzubringen gewesen, als wäre ein toter Freund noch ein politischer Faktor. Er zeigte einen leidigen Hang, die politischen Fragen ins Menschliche zu verkehren. Über diese Neigung Friedrich Wilhelms zum Privaten sprach der König von England zur Königin von Preußen voller Sorge. Angesichts solcher Unberechenbarkeit des Gatten – denn dieses Signum erhielt die Zuverlässigkeit des Preußenkönigs in der diplomatischen Sprache – laste schwere Verantwortung auf ihr selbst.
Sophie Dorothea war daran, dem vergötterten Vater in die Arme zu sinken, vor allem, als er auch noch hinzufügte, dass seine Mätressen mit ihm ganz einer Meinung wären, namentlich die entzückende Herzogin von Kendal. Die preußische Königin, eine harte Richterin über Liebe, Schuld und Schmerz im Leben ihrer verstoßenen Mutter, kannte wohl keine schönere Kunde! Und es wären für die Welfentochter selige Augenblicke gewesen, hätte sich die Angst abwehren lassen, dass der unberechenbare und politisch wenig fähige Gatte etwas verderben könne. Vater und Tochter aus dem Welfenhause hatten sich eine etwas hochfahrende Art zurechtgelegt, von dem Brandenburger zu reden.
König Friedrich Wilhelm aber verzieh seinem Oheim und Schwiegervater viel von seinem Hochmut und seiner überdeutlich zur Schau getragenen Gleichgültigkeit. Denn wenn er auch Fritzens Knabenregiment unter seinem jugendlichen Major übersah – an der großen Parade dieses Morgens hatte Georg I. eine Anteilnahme bewiesen, die Friedrich Wilhelm geradezu überwältigte. Der König von England hatte keinen Blick von den strahlenden Reihen der Sechzigtausend gewendet.
Dies Heer war Rückhalt gegen Thronprätendenten und Kaiser! Mit diesem Heere war der Kampf mit Österreich um die Silberflotten auf den Weltmeeren – an Brandenburgs Grenzen auszutragen! Mit diesem Heere konnte man sich wohl über das ganze alte Europa erheben!
Im geheimen, ganz für sich, nannte der Welfe den Hohenzollern nicht mehr Bettelkönig.
Soldatenkönig – dieses Wort erschien ihm als der richtige Ausdruck und als geistvolle Wendung. In England konnte man ja dann „roi sergeant“ oder gut preußisch „Korporal“ dafür sagen. Manchmal sprühte er vor Geist, der alte Herr; und dabei war er doch eigentlich immer ein wenig rau und träge gewesen.
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Der König von Preußen hatte es in den Tagen des hohen Besuches nicht ungern gesehen, wie gewandt seine beiden ältesten Kinder schon aufzutreten verstanden, wie sie in allen Dingen des modernen Geschmacks Bescheid wussten und auf jede Frage aus der Suite König Georgs I. nach Oper und Komödie und Literatur Antwort zu geben vermochten. Der Preußenkönig fand es aller Ehren wert. Er selbst konnte damit nicht aufwarten. Auf den hohen Gast machte es aber leider, ganz im Gegensatz zu den Voraussagen der Königin, nur sehr geringen Eindruck. Er erschien stumpfer denn je.
Die Kleinen waren auf das Ende des Besuches zu beständig von dem Großvater ferngehalten worden. Sie schienen ihn zu stören. Er konnte sich ihre Namen nicht merken. Er vermochte nicht, sie auseinanderzuhalten. Sie waren bereits heute für ihn die späteren