Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert

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Zeitalter gegeben, meinte der Mann, die auf einen solchen Besitz sehr stolz gewesen seien.

      Ja, aber eben Zeitalter … nun jedoch, nach diesen furchtbaren Jahren, wolle man weder kämpfen noch denken, sondern eben leben, nichts als leben.

      Auch die Tiere wollten das, und zwar das allein.

      Ja, das sei eben das Schöne und Gesunde an ihnen. Sie läsen weder Psalmen noch starrten sie in die Abenddämmerung.

      »Manchmal«, sagte er, indem er auf die beleuchtete Kante des Globus starrte, »verstehe ich nun die ganz einfachen, ganz primitiven Männer, die ab und zu die Lust ankommt, ihre Frauen zu schlagen …«

      Sie lachte, ganz heiter und sorglos, und unter ihrer Hand brach nun doch ohne Warnung das weiße Licht aus der Kuppel unter der Decke heraus. »Das muß ich sehen«, sagte sie, »den Mann, den diese Lust eben angekommen ist.«

      »Ich habe nicht von mir gesprochen«, erwiderte er und sah sie über den Raum hinweg finster an. Ihre Gestalt war schmäler geworden in diesen dumpfen Jahren, ihre Züge schärfer, ihre Augen glänzender. Nur ihr Kindermund war der gleiche geblieben, trotz der leuchtenden Farbe, die sie nun auftrug, klein, mit wehmütig geneigten Winkeln, und niemals wußte er, ob sie im Zorn oder im Weinen erbeben würden.

      Seine Gedanken gingen zurück zu der Zeit ihrer ersten Liebe, und er begriff, wieviel der Krieg ihnen allen geraubt hatte. »Geh nun«, sagte er freundlich, »es führt ja doch zu nichts …«

      Ihre Hand mit den funkelnden Ringen strich an den roten Einbänden neben der Tür herunter. »Es sollte ja auch nur dazu führen«, antwortete sie, »daß du dich rechtzeitig umziehst. Sie kommen in einer halben Stunde, und du weißt, daß auch der Admiral zugesagt hat. Es könnte vielleicht doch nicht ohne Wichtigkeit für dich sein … er hat sehr viel Einfluß.«

      Nun ging er doch quer durch den Raum bis zur Schwelle und löschte das Licht. Dann faßte er sie sanft bei den Armen, drehte sie um und schob sie in den Flur. Ihre kühle Haut war ihm fast so fremd wie die einer Toten. »Setze deinen Nelson auf meinen Globus«, sagte er, »und dann kniet vor ihm nieder und betet ihn an, ihn und seine Einflüsse. Mich aber ekelt vor allen diesen Gespenstern, verstehst du? Wer das Spiel verloren hat, soll es zugeben, wie ich es zugebe, und nicht behaupten, beteuern und beschwören, daß falsch gespielt worden sei.«

      »Ach, Thomas«, sagte sie und lächelte über die Schulter zurück, »was bist du doch für ein unvorstellbarer Narr …«

      Er schloß die Tür, aber der Raum war nun nicht mehr derselbe. Eine Straßenlampe warf ihr unruhiges Licht herein, und der Schatten des Globus lag als ein schwarzer Kreis auf den Bücherwänden. »So ist es«, murmelte er, »eine dunkle Erde, aber sie beleuchten sie mit ihren Eitelkeiten … wer eine Schlacht verloren hat, sollte schweigsam werden, und wir alle haben mehr verloren als eine Schlacht.«

      Er lauschte auf das Klirren von Gläsern und Bestecken in einem fernen Raum. Dann trat er vorsichtig in den Flur, nahm Mantel und Hut und öffnete leise die Tür zum Kinderzimmer.

      Die Schwester saß auf dem Bettrand und versuchte, ein kleines Holzschiff unter der Decke hervorzuziehen. Aber die kleinen Hände des Jungen hielten es am anderen Ende fest.

      Beide Gesichter wendeten sich ihm zu, das errötende der Schwester und das zornige des Kindes. Er blieb stehen und betrachtete es schweigend. Ja, es war sein Gesicht. Noch einmal wiederholt aus einer Unsumme von Möglichkeiten. Leise abgewandelt, fester in der Stirn, härter in den Lippen, aber doch wiederholt. Sein Gesicht und nicht das andere. Die Zukunft, das einzig aus dem Kriege Gerettete.

      »Was ist, Joachim?« fragte er, noch immer ernst.

      Die Schwester öffnete die Lippen, aber schon hatte eine kleine, braune, zerschrammte Hand sich über sie gelegt. »Schwester Beate sagt«, rief die helle Stimme, »daß man mit einem Kriegsschiff nicht schlafen geht, und ich habe gesagt, daß der Sohn eines Kapitäns mit zwanzig Kriegsschiffen schlafen gehen kann. Sag ihr, daß das recht ist, Vater!«

      Thomas trat ans Bett und griff nach dem plumpen Spielzeug. Die feindlichen Hände ließen gehorsam los, und er hob es vor die Augen wie vorher das alte Buch. »Der Sohn eines Kapitäns kann in einem Kriegsschiff schlafen, Joachim, oder auch unter einem Kriegsschiff, aber mit einem Kriegsschiff schlafen, glaube ich, nur kleine Mädchen, die es für eine Puppe halten. Ein Junge stellt sein Schiff auf den Schrank, dort, wo die Morgensonne es trifft, und wenn er aufwacht, dann steht es da und ruft ihn zu seinem Dienst, nicht wahr?«

      Er sah, wie die Haut über der jungen Stirn sich faltete in der Anstrengung, jedes Wort zu verstehen, und er wendete sich mit dem kleinen Schiff in der Hand zum Spielzeugschrank, um seine Bewegung zu verbergen. Man hatte im Kriege selten Kinder gesehen.

      »Du bist der klügste Mann auf dieser Erde, Vater«, sagte Joachim tief aufatmend, mit zweifelloser Sicherheit.

      »Nicht ganz, Joachim, aber wenigstens nicht der dümmste … und jetzt wird geschlafen, nicht wahr?«

      » Allright, Vater. Luken dicht und gepennt … sagt man so?«

      »Ja, so sagt man.«

      »Und wohin gehst du jetzt, Vater? Bleibst du nicht, wenn der Admiral kommt?«

      »Nein, ich habe viele Admirale in meinem Leben gesehen. Ich muß jetzt etwas suchen gehen.«

      »Was willst du suchen?«

      »Das wirst du später sehen. Erst wenn man gefunden hat, soll man sagen, was man gesucht hat. Gebetet?«

      »Ja, Herr Kapitän«, sagte die Schwester und zog die Decke zurecht.

      Seine Gedanken gingen schon wieder fort. »Später, Schwester«, sagte er, »können Sie den Psalm mit ihm beten, in dem der Vers steht: ›Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz.‹ Das ist ein gutes Gebet … ich habe es erst heute gefunden …«

      Ihre Augen, die ihn ansahen, füllten sich langsam mit Tränen, aber er stand schon an der Tür und winkte mit der Hand. »Wissen Sie, daß es eine Grabschrift auf Ihren Namen gibt, Schwester Beate?« fragte er. »Hören Sie zu:

      ›Hier ruhet, die Beate heißen sollte,

       und lieber sein als heißen wollte.‹

      Ja, von Lessing sogar. Ich habe es neulich gefunden … ›und lieber sein als heißen wollte …‹ Nun gute Nacht und schlaft wohl!«

      Er lächelte sein zerstreutes Lächeln und schloß leise die Tür hinter sich.

      Draußen blieb er eine Weile unter den Kiefern des Vorgartens stehen und sah zu den ersten Sternen auf. Immer noch war er auf dem Meer und suchte die leitenden Bilder über dem Horizont. Ein Unglück, daß sie schon zu Anfang des Krieges in diese Stadt gezogen war, aber der Hafen war ihr verhaßt gewesen, von Anfang an. Sie hatte das Meer niemals geliebt, die großen Winde, das streng in den Rahmen des Dienstes gespannte Leben. Sie hatte seine Uniform geliebt und ihren Traum, daß er in jungen Jahren Flottenchef werden würde.

      Er ging nun schon die Straße zur Untergrundbahn entlang. Nein, so war es doch wohl nicht gerecht … Liebe war gewesen, aber ohne Prüfung und Leid, das war es. Sie alle hatten das Leben ja genommen wie Früchte von einem guten Baum. Der liebe Gott hatte ihn in ihren Garten gestellt, und sie pflückten und aßen. Wehe dem, der zu sagen wagte, daß sie es nicht verdienten! Und

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