Geschichten der Nebelwelt. Inga Kozuruba
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Der Richter spielte mit dem Gedanken, einen eiligen Boten auszusenden im Versuch, den Dämonenjäger einzuholen und zur Rückkehr zu bewegen. Doch er verwarf den Gedanken wieder. Noch nie in seinem Leben hatte er eine Vorahnung gefühlt, die von einer übersinnlichen Natur war. Er hatte zwar ein Gespür für Menschen, insbesondere für die verbrecherischen unter ihnen, und konnte im Verlauf einer Verhandlung oft instinktiv unterscheiden, wer ihn belog und wer nicht - aber übernatürliche Dinge lagen definitiv ganz und gar außerhalb seiner Erfahrung.
Nein, es war eigentlich nur das Gesicht des pfeifenden Mannes aus seinem Traum, das ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte. Er war sich sicher, er hatte ihn schon dutzende Male in der Stadt gesehen. Er war keiner der Pilger und kein sonstiger Reisender gewesen. Er konnte nur beim besten Willen nicht sagen, zu welchem Teil der Stadt er ihn einordnen würde. Vielleicht sollte er sich nach getanem Tagwerk einen Spaziergang gönnen, wenn das Wetter sich ein wenig bessern würde.
Als er zu seinem gewohnten Frühstück hinabstieg - etwas frisches Brot mit Käse und einem gekochten Ei, begleitet von einer dampfenden Tasse Kaffee, eines der wenigen luxuriösen Dinge, die er sich von seinem durchaus nennenswerten Auskommen leistete, - war sein Bediensteter bereits im Haus unterwegs, um seiner üblichen Arbeit nachzugehen. Dann bemerkte der Richter, dass auf dem Tisch noch etwas anderes lag, ein frisches Stück Gebäck mit süßem Quark. Karl rollte mit den Augen, und schob das Gebäckstück zur Seite, damit sein Bediensteter es später finden und für seine Kinder mit nach Hause nehmen konnte. Diese Bäckerwitwe Hella konnte es einfach nicht lassen, ihm diese ungewollten Beweise ihrer Aufmerksamkeit zu schicken. Wie konnte er ihr nur begreiflich machen, dass Frauen wie sie für ihn nicht von Interesse waren? Solle er das klebrige süße Gebäck etwa ansammeln und dann eines Tages vor ihrer Haustür entladen? Nein, das wäre über alle Maßen beleidigend. Also würde er weiterhin nicht auf ihre Geschenke reagieren und hoffen, dass sie es eines Tages verstehen würde. Immerhin gab es für ein paar Kinder regelmäßigen Grund zur Freude.
In seinem gewohnten Tempo machte sich der Richter auf den Weg. Zu dieser Tageszeit waren üblicherweise nur wenige Leute auf der Straße zu sehen, da sie entweder schon mit ihrem Tagwerk beschäftigt waren, oder noch schliefen. Aber an einem so verregneten Tag war auf den Straßen noch weniger los als sonst. Er nickte im Vorbeigehen der Witwe Hella zu, die kein Wetter davon abhalten konnte, vor ihm auf der Straße zu erscheinen. Er war höflich genug, um nicht beleidigend zu sein, aber so zurückhaltend wie möglich, und eilte weiter, bevor sie ihn ansprechen konnte.
"Er ist immer so beschäftigt", hörte er hinter sich ihre hohe, stets etwas schrill wirkende Stimme, als sie vermutlich zu ihrem Lehrling sprach. Was für ein lästiges Frauenzimmer!
Auf dem ganzen verbliebenen Weg zum Rathaus zerbrach sich der Richter den Kopf über den Mann aus seinem Traum. Aber jedes Mal, wenn er einer Erinnerung auf der Spur zu sein glaubte, entglitt ihm die Erkenntnis wie ein schlüpfriger Fisch. Doch sobald er durch die Eingangstür trat und den Weg durch das Gebäude zu seiner Arbeitsstätte nahm, verflogen die Grübeleien und das Tagesgeschäft trat in den Vordergrund. Es gab so viele Dinge zu tun! Vor allem deshalb, da der Titel Richter nur den Bruchteil all seiner Aufgaben umriss. Die Stadt war groß genug für einige Stadtherren, aber nicht groß genug, um das Amt des Richters und des Bürgermeisters auf zwei verschiedene Schultern zu verteilen – wobei die Stadtherren ihm natürlich nur einen Teil dieser Aufgaben zugestanden, insbesondere die weniger wichtigen und langweiligeren Fragen der Verwaltung. Und insbesondere wenn es in der Stadt vergleichsweise wenige Verbrechen zu ahnden und Streitigkeiten zwischen Bürgern zu schlichten gab, dann füllte sich sein Tagwerk wie von Zauberhand mit eben solchen Tätigkeiten. Nun, zumindest war er niemals in Gefahr, dem Laster des Müßiggangs zu erliegen.
Das erste, das dem Richter beim Betreten seiner Räumlichkeiten auffiel war das Behältnis für Pergamente, das auf seinem Schreibtisch lag. Der Dämonenjäger war offensichtlich vom Fach und hatte sich ihren Inhalt eingeprägt, bevor er aufbrach. Der Richter holte die Schriften sorgfältig und mit gegebenem Respekt heraus, um ihren Zustand zu prüfen, konnte nichts beanstanden und veranlasste, dass die Dokumente wieder an ihren üblichen Platz zurückgebracht werden. Er fing gar nicht erst wieder damit an darüber nachzudenken, ob sein Traum möglicherweise ein schreckliches Schicksal vorwegnahm. Dafür hatte er keine Zeit, denn nur wenig später klopfte es an seiner Tür. Noch bevor er einen Laut äußern konnte, wurde sie gleich daraufhin geöffnet. Karl kannte nur eine Person, die eine solche Dreistigkeit besaß, und nach eben dieser hatte er gestern geschickt. Also lehnte er sich in seinen Sitz zurück, verschränkte die Finger auf dem Tisch vor sich, und gab sich alle Mühe, möglichst ernst zu wirken und nichts von seinem Innenleben preiszugeben.
Der Grund dafür war, dass die Person, die nun den Raum betrat, eher eine Frau nach seinem Geschmack war. Allerdings war ihm wohl bewusst, dass die Waldläuferin von ihm nur in seiner Eigenschaft als Richter und als Auftraggeber von hohem Rang Notiz nahm. Er war ihr mit Sicherheit ein paar Jahre zu alt. Allerdings konnte er nicht ausschließen, dass ihr womöglich doch bereits aufgefallen war, dass er eine Schwäche für sie hatte, und dass das der eigentliche Grund für ihr unverfrorenes Verhalten ihm gegenüber war. Vielleicht war aber auch ihr hervorragender Ruf im Hinblick auf das Erledigen der ihr zugetragenen Aufgaben die Ursache für eine gewisse Arroganz. Karl störte sich nicht daran. Wenn es nach ihm ging, konnte sie sich ein gewisses Recht auf Eigensinnigkeit herausnehmen.
Die Waldläuferin, die alle unter dem Namen Feli kannten, war eine drahtige Frau durchschnittlicher Größe und Karl schätzte sie auf etwa zehn Jahre jünger als sich selbst. Das lag zu einem gewissen Grad an ihrer leicht gebräunten Haut, den lebendigen grünen Augen und dem forschen Auftreten – aber auch daran, dass sie die Energie einer jungen Frau besaß. Nur ihre Selbstsicherheit widersprach diesem Muster. Diese kannte Karl eher von älteren, erfolgreichen Frauen, wie etwa der Oberin der Schwesternschaft in Starogrâd. Doch das konnte schlicht und einfach damit begründet sein, dass die Waldläuferin stets den Erfolg für sich gepachtet zu haben schien. Feli hatte ihre nussbraunen Haare an diesem Tag wie gewohnt zum Zopf geflochten, aber einzelne widerspenstige Strähnen hatten bereits ihren Weg in die Freiheit gefunden und fielen gelockt am Rand ihres Gesichts mit den ausgeprägten Wangenknochen entlang herab. Die meisten Männer würden sie nicht als übermäßig attraktiv erachten, weil ihr Auftreten nicht allzu weiblich war und ihre Erscheinung etwas spröde Züge hatte, aber Karl fand sie gerade deshalb sehr erfrischend.
"Ihr wolltet mich sprechen, Richter? Ich hoffe, es ist dringend. Mir entgeht womöglich ein sehr lukrativer Auftrag eines besorgen, wohlbetuchten Ehemannes, der seine hübsche, junge Frau ungern in Begleitung männlicher Wachen zum Besuch ihrer Mutter reisen lässt", raunte sie mit ihrer herben Stimme.
Der Richter schmunzelte: "Das ist bedauerlich, werte Feli, aber ich fürchte, wir haben größere Probleme als das."
Dann nahm sein Gesicht einen ernsten Ausdruck an: "Außerdem wird die Angelegenheit vermutlich nicht allzu lange dauern. Das sollte sie besser gesagt nicht. Es ist dringend und wichtig, und ich bin gerne bereit, Euch den doppelten Sold zu zahlen für eine möglichst rasche Erfüllung."
Feli zog eine Augenbraue hoch und stützte sich mit den Unterarmen auf der Stuhllehne ab, dem Richter gegenüber, so dass er nicht umhin kam, einen flüchtigen Blick in Richtung ihres nicht vollständig geschlossenen Hemdes zu werfen, bevor er ihr erneut ins Gesicht sah.
"Ich benötige dringend die Information, wo sich gegenwärtig die anrückende Mannschaft der Ordensritter befindet, wie lange sie schätzungsweise noch brauchen, bis sie die Stadt erreichen, wie viele Fußtruppen und Ritter wir erwarten müssen, ob sie eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Paladinen und Ermittlern in ihren Reihen haben - alles über fünf ist ungewöhnlich, und ich freue mich über einen sehr genauen Bericht - und ob Euren Sinnen noch weitere, ungewöhnliche Dinge auffallen."
Sie zog eine Augenbraue hoch und richtete sich auf, um zu