Der Junge mit dem Feueramulett. Frank Pfeifer

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Der Junge mit dem Feueramulett - Frank Pfeifer Der Junge mit dem Feueramulett

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unliebsamer Bürger dienten. Manche der Unglücklichen, die die Schergen oder Wachen durch das schwere Holztor führten, fristeten eine Weile ihres Daseins erst einmal in den Verliesen, die unter der Aufsicht der Obersten Wache Makral und seiner Männer standen. Auch bis hierhin war die Nervosität gedrungen, die Tsarr seit den ersten Anzeichen der Sonnenfinsternis verspürt hatte. Das merkte R’lan, Wache in der dritten Generation und diensthabender Türschließer, ganz deutlich. Würde man wieder einmal einen der Verräter, der Folter und Ratten bisher überlebt hatte, als Opfer für Goiba auswählen? Denn ein wenig Blut war der Göttin doch immer willkommen, sagte sich der Soldat. Etwa der jungen Embi, bei dem die Schergen einen Anhänger mit dem fast unkenntlichen Antlitz von Aidan, dem letzten Drachenkönig, gefunden hatten? Anfangs hatte Embi noch versichert, dass er noch nicht einmal gewusst hatte, dass das abgeschliffene Relief Aidan darstellen sollte. Er hatte den Anhänger in einer Truhe, die er als einziger Erbe seines Großvaters von diesem vermacht bekommen hatte, gefunden. Letztendlich aber hatte er unter den Zangen und Eisen der Folterknechte seinen Verrat zugegeben.

      Oder Nanda, diese kleine Hexe? Sie mochte sechzehn Jahre alt sein. Bei diesen Hexen wusste man allerdings nie, wie alt sie tatsächlich waren. Sie waren meisterhaft in der Kunst der Täuschung. Eine Gova von Credna war sie außerdem, also eine Liebespriesterin! Einst im Dienste Flanakans hatte sie sich den Zorn Tsarrs zugezogen. Ein Wunder, dass sie nicht gleich zum Galgen kutschiert worden war.

      Oder N’ganak, der schon so lange im Kerker saß, dass niemand mehr genau wusste, wieso er überhaupt hier war, sogar er selbst nicht. Obwohl er manchmal in lichten Momenten behauptete, er habe einst als Flanakans Knappe gedient, was unmöglich war, denn Flanakan war Dank des Zaubers seiner Gova über 100 Jahre alt und welcher Mensch, denn alle Kerkerinsassen waren Menschen, hätte so lange hier unten überleben können?

      Auf jeden Fall unterließ es R’lan diesmal lieber, einige der Essensreste, die heute mal wieder in der Hofküche angefallen waren, an die Gefangenen zu verteilen, wie er es sonst ab und zu tat. Makral, sein Chef, würde angesichts der angespannten Lage in der Festung sicherlich genau darauf achten, dass alles korrekt ablief. Makral, der Oberste der Wache, war ein treuer Diener seines Herrn und funktionierte dabei wie eine Maschine, die sorgfältig und genau ihren Dienst verrichtete.

      Unter den derzeitigen Umständen begnügte sich R’lan diesmal, die Zellen abzulaufen und nachzusehen, ob hinter den metallbeschlagenen Eichentüren noch geatmet wurde. Oder geröchelt. Gestöhnt. Er wunderte sich, als er sich dem Verlies der hübschen Hexe näherte. Was war bei Nanda los? Die junge Frau sang! Ein trauriges Lied über das Ende des Sommers, R’lan kannte es noch aus seiner Kindheit. Er lächelte, das Lied erfreute ihn. Nanda war erst seit ein paar Tagen hier unten. Noch sang sie. In ein paar Wochen würde sie anfangen zu weinen. Oder zu schreien. Und irgendwann würde sie still sein. Oder mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Dass es so laufen würde, hatte er selbst schon erlebt und wusste es auch von den Erzählungen seines Vaters. Da nützte ihr die ganze Hexenmagie nichts, dafür hatte Tsarr gesorgt, als sie das gesamte Verlies mit einem Fluch belegt hatte. Aber irgendwie berührte Nandas unschuldiger Gesang das Herz des Soldaten, das durch den langen Dienst in der Schwarzen Burg ziemlich erkaltete war. Die klobigen Stiefel schienen plötzlich ein wenig leichter als sonst, als R’lan die Treppen wieder hochging, zurück ans Tageslicht, den Gesang Nandas im Ohr.

      »So fröhlich, mein Bester?«

      R’lan, der gerade das Tor zu den Verliesen hinter sich geschlossen hatte, sah Laoch erschrocken an. Alle schauten erschrocken, wenn Laoch ihnen überraschend gegenüberstand. Dabei war der Mann keine besonders imposante Erscheinung. Schütteres blondes Haar, recht mager, nur ein wenig größer als der Durchschnitt. Fast unscheinbar. Wenn da nicht dieses diabolische Grinsen unter der Hakennase gewesen wäre. Kein lautes, marktschreierisches, offenes Grinsen. Nur die Mundwinkel waren ganz leicht verzogen. Aber irgendwie so, als ob das Böse selbst die Gesichtsmuskeln steuern würde. Und dazu diese graugrünen Augen. Augen, die nie zu blinzeln schienen. Die einen durchdrangen und einem die Gedanken aus den Nasenlöchern zogen. Wenn man Laoch gegenüberstand, hatte man unweigerlich das Gefühl zu lügen. Und Laoch schien genau zu wissen, dass alles, was man sagte, eine Lüge war. Und man selbst glaubte das dann schlussendlich auch. Ich bin Lüge. Und Laoch lächelte.

      »Äh, schöne Arbeit, tolles Wetter…«, R’lan stotterte vor sich hin.

      »Und, was machen die Gefangenen? Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?«

      »Äh, nein, alles wie immer.«

      »Neuzugänge?«

      »Ein Junge kam vorgestern. Embi. War schon bei Sorb.« R’lan fing unter seiner Uniform an zu schwitzen. Bei Laoch hatte man irgendwie das Gefühl, die Verbrechen selbst begangen zu haben, über die man ihm berichten sollte. Dabei war es keine Seltenheit, dass er hier vorbeischaute. Einerseits besprach er sich ab und zu mit Makral, dem Obersten der Wache, andererseits spazierte er öfters durch die Gänge und ließ sich von der Stimmung dort unten inspirieren.

      »Aha, ich weiß schon, der mit dem Amulett von Aidan.«

      R’lan schluckte. Dass einer den Namen des alten Widersachers von Flanakan so freimütig aussprach, gab es auf der Schwarzen Burg selten. Aber immerhin war das hier ja auch Laoch, der konnte sich das wohl erlauben.

      »Alles fügt sich«, sagte Laoch und schaute in Richtung der Verliese.

      »Wie meinen?«

      »Vergiss es. Wo ist Makral?«

      R’lan deutete auf den Wachturm, woraufhin Laoch mit beschwingtem Schritt in diese Richtung verschwand.

      *

      Nanda sang. Irgendwie klang es noch nicht richtig. Sie erinnerte sich genau wie ihre Mutter die magischen Lieder gesungen hatte. »Kind«, hatte sie zu ihr gesagt »schließ die Augen und lass dich erfüllen vom Geist Crednas, unserer Schutzpatronin. Hör zu und lass dich forttragen. Wir Frauen, selbst wir Govas, haben in dieser Welt nur wenige Waffen. Aber mit unseren Liedern können wir uns direkt in die Herzen der Männer singen, unserer Lieder sind unsere Schwerter!« Vor nicht allzu langer Zeit war ihr die Bedeutung dieser Worte noch völlig schleierhaft gewesen. Sie hatte sich nicht gefragt, wieso ihre Mutter immer leise vor sich hin gesungen hatte, während sie über den Marktplatz gegangen waren. Das freundliche Lächeln des Mannes, der ihnen ab und zu ein Laib Brot schenkte, war ihr immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Erst als ihre Mutter gestorben war und sie allein über den Markt gehen musste, verstand sie langsam, was ihre Mutter damals bewirkt hatte. Ihre Mutter, Gova von Credna, Göttin der Liebe, hatte den Menschen die Gabe ihrer Schutzpatronin geschenkt. Liebe, Hoffnung, Sehnsucht. Eine Weile hielt dieser Zauber auch noch nach dem Tod ihrer Mutter an und begleitete Nanda beim Gang über den Markt. Aber nichts hält ewig in dieser Welt, das wusste Nanda inzwischen. Die Menschen vergaßen die Lieder, sie vergaßen die Hoffnung und die Liebe und Nanda lernte, was es hieß, eine Waise zu sein. Hunger war bald ihr ständiger Begleiter gewesen.

      Sie betrachtete das Pentagramm, das sie in den Staub des Fußbodens mit ihren Fingern gezeichnet hatte. In der Mitte lag ein Haar, festgeklebt mit dem Blut einer Schabe. Sie stellte sich vor, dass R’lans Schritte die Stufen herabkommen würden, und begann erneut zu singen. »Das klingt doch jetzt schon ganz gut«, dachte sie.

      *

      Makral stand auf dem Wachturm neben dem Haupttor der Schwarzen Burg und betrachtete mit dem Fernrohr nicht etwa die weiten Ebenen vor Conchar, seine Aufmerksamkeit galt vielmehr der einfachen Wache R’lan. Als Oberste Wache hatte er nicht nur für Ruhe und Ordnung im Reich zu sorgen, und dafür benötigte er zuverlässige Männer. Zuverlässige Männer mit Pflichtgefühl und Beständigkeit.

      Der Kerkerdienst stimmte R’lan offensichtlich recht fröhlich. Und

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