Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen. Paul Natorp
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Buchsee und Iferten – Die Glanzzeit
Buchsee und Iferten – Die Glanzzeit
Die Tage von Burgdorf – wohl die glücklichsten seines Lebens – näherten sich indessen schon ihrem Ende. Im Winter 1802/03 war Pestalozzi als Abgeordneter in Paris, um über die Verfassung Helvetiens mit zu beraten. Aber bereits im März 1803 zerfiel die Helvetische Republik; an die Stelle der Zentralregierung, die für Pestalozzi stets mit Wärme eingetreten war, trat wieder die alte Kantonalverfassung; und da Pestalozzis Anstalt auf Berner Gebiet lag, war er auf das Wohlwollen der dortigen Regierung nunmehr angewiesen. Sie räumte ihm, da das Schloss Burgdorf anderweitig gebraucht wurde, stattdessen das Schloss Münchenbuchsee für seine Anstalt ein, die im Sommer 1804 dorthin übersiedelte. Sie kam dadurch in nächste Nähe des von Fellenberg in Hofwyl soeben neu gegründeten, hochangesehenen Instituts.
Philipp Emanuel von Fellenberg – 1771 – 1844
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Emanuel_von_Fellenberg
Fellenberg war von Pestalozzis Ideen ursprünglich ausgegangen und verfolgte mit seiner Anstalt zum Teil ähnliche Absichten wie dieser; daher entstand in einigen der Mitarbeiter Pestalozzis (besonders Tobler und v. Muralt, der Pestalozzi in Paris kennen gelernt und sich mit Begeisterung ihm angeschlossen hatte) begreiflich der Gedanke, durch eine äußere Vereinigung beider Anstalten, wobei der dafür ausgezeichnet begabte Fellenberg die Verwaltungssorgen ganz auf sich nehmen sollte, Pestalozzi von den beständig auf ihm lastenden wirtschaftlichen Nöten des Instituts ein für alle Mal zu befreien, damit er sich ungestört seiner eigentlichen Aufgabe der weiteren Erforschung der Methode und des erhebenden persönlichen Einflusses auf Lehrer und Zöglinge widmen könne. Es wurde darüber während Pestalozzis Abwesenheit ein vorläufiges Abkommen mit Fellenberg getroffen, welchem dann Pestalozzi nach seiner Rückkunft beitrat. Indessen fühlte er sich durch diese nicht ganz freiwillige Änderung einigermaßen auf die Seite geschoben; denn Fellenbergs Einfluss auf seine Anstalt blieb in der Tat keineswegs auf die äußere Verwaltung beschränkt. So konnte Pestalozzi in Buchsee nicht warm werden; er verreiste viel und überließ Fellenberg bald alles. Auch seine alten Mitarbeiter vertrugen sich mit diesem auf die Länge nicht, und so konnte die Vereinigung nicht von Bestand sein. Inzwischen war aber schon, als bekannt wurde, dass Pestalozzi Burgdorf werde räumen müssen, in verschiedenen Städten des Waadtlandes der Wunsch entstanden, die Anstalt dorthin zu ziehen; und da besonders in Iferten (Yverdon) die Behörden sich entgegenkommend zeigten, entschloss sich Pestalozzi, dort eine Anstalt zunächst neben der alten, in Buchsee noch fortbestehenden zu errichten. Begreiflich zogen dann aber seine Mitarbeiter, nachdem sie mit Fellenberg mehr und mehr uneins geworden waren, es vor, sich mit Pestalozzi wieder zu vereinigen. So wurde 1805 die Anstalt in Münchenbuchsee aufgelöst, und fortan blieb der alleinige Sitz der Pestalozzischen Anstalt in Iferten, wo das alte Schloss Karls des Kühnen ihm von der Stadt zur Verfügung gestellt wurde.
Pestalozzi stand jetzt auf der Höhe seines Ruhmes. In seiner Anstalt wurde eifrig und begeistert gearbeitet. In schönem Wetteifer spannte jeder seine Kräfte aufs höchste an. Unter den Mitarbeitern treten seit dieser Zeit die zwei Männer mehr und mehr hervor, die auf die weiteren Schicksale der Anstalt den größten – leider nicht dauernd heilsamen Einfluss üben sollten: Schmid und Niederer. Der Vorarlberger Joseph Schmid war 1801 mit 14 Jahren als Zögling in die Burgdorfer Anstalt eingetreten. Er bewies besondere Anlagen namentlich für die methodische Bearbeitung der Mathematik und wurde bereits nach zwei Jahren als Unterlehrer in diesem Fach beschäftigt.
Johannes Niederer – 1779 – 1843
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Niederer_(Geistlicher)
Johannes Niederer aus Bretten im Kanton Appenzell (geboren 1779) hatte ernste theologische und philosophische Studien gemacht und bekleidete bereits seine zweite Pfarrstelle, als er 1800 durch seinen Freund Tobler mit Pestalozzi bekannt wurde; im Jahre 1803 trat er unter Verzicht auf sein Amt in das Institut ein. Ihm fielen hauptsachlich der theoretische Ausbau der „Methode“ und die schriftstellerische Vertretung der Anstalt als Aufgabe zu, während Schmid der besonderen Anwendung der Methode auf die Mathematik eine neue, geschicktere Form gab. Dass beide Männer hierbei sehr selbständig zu Werke gingen, war nur in der Ordnung; bedenklicher schon, dass ihre Arbeiten durch Pestalozzis Namen gedeckt wurden. Aber Niederer hat dann vielfach auch eigene Schriften Pestalozzis nicht bloß stilistisch überarbeitet, sondern mehr und mehr auch inhaltlich von seinem Eigenen hinzugetan und dadurch Pestalozzis Lehre mehr oder minder verschoben oder wenigstens verdunkelt, namentlich ihr eine eigentümliche philosophische Wendung gegeben, die Pestalozzis eigner Denk- und Ausdrucksweise fremd war und später von ihm gänzlich verworfen wurde; eine Wendung, die überdies nicht mehr dem schlichten, rein methodischen Kritizismus Kants, sondern der absolutistischen Umdeutung entsprach, welche inzwischen Fichte und Schelling dem Kantischen „Idealismus“ gegeben hatten. Es gilt dies noch nicht von den im einzigen erschienenen Heft des „Journals für Erziehung“ oder „ Ansichten und Erfahrungen die Idee der Elementarbildung betreffend“ (1807) unter dem Titel „Ein Blick auf meine Erziehungszwecke“ vereinigten Pestalozzischen Fragmenten, die, wie die Vergleichung mit den erhaltenen Manuskripten ergibt, zwar in der Disposition und hin und wieder im Ausdruck, aber nicht im Inhalt von Niederer wesentlich geändert sind; wohl aber gilt das Gesagte von einigen in der „Wochenschrift für Menschenbildung“ (1807-1811) durch Niederer unter Pestalozzis Namen herausgegebenen Schriften, neben denen übrigens manches sich auch dort findet, was echt Pestalozzisch oder wenigstens ganz in Pestalozzis Geiste ist.
Über den weiteren Ausbau der Methode in den einzelnen Unterrichtsfächern ist in meiner Biographie (Kap. 6, §§ 3-8) ausführlich berichtet worden und wird zum Teil unten im dritten Kapitel zu berichten sein. Am besten gelang die volle Durchführung in den mathematischen Fächern, im mathematischen Zeichnen, in der Heimatkunde und in der Gesanglehre; auch die Anwendung auf die Körperbildung ist hochbedeutend und schlägt in der Hauptsache die richtige Bahn ein. Dagegen blieb die Bearbeitung des Sprach-, Geschichts- und Religionsunterrichts eingestandenermaßen unbefriedigend. So Tiefes und Wertvolles Pestalozzi zum Verständnis der Menschheitsentwicklung nach wirtschaftlicher, politischer und ethisch-religiöser Seite beigetragen hat, eine überzeugende Anwendung davon auf die Methode des Unterrichts in diesen Gebieten ist trotz unermüdlichen Bemühens weder ihm noch seinen Mitarbeitern geglückt; während, was in der Mathematik und in der Geographie geleistet wurde, die höchste Anerkennung auch so genialer, schöpferischer Forscher in diesen Gebieten wie Karl Ritter und Jakob Steiner fand, von denen der erste, obwohl aus der Schule der Philanthropinisten erwachsen, sich eng und mit tiefem Verständnis an Pestalozzi anschloss, der letztere direkt aus Pestalozzis Schule hervorging. Beide bekennen, geradezu die entscheidende Anregung zu ihren großen Forschungen Pestalozzi und seinen Ideen zu verdanken. Auch viele andere, auf den höchsten Stufen wissenschaftlicher und humaner Bildung stehende Besucher der Anstalt empfingen mächtige und nachhaltige Eindrücke von dem, was sie dort sahen und erlebten, vor allem freilich von der großen und dabei rührenden Persönlichkeit ihres Leiters; so Clausewitz, Benzenberg, Schwarz, Willemer, Mad. de Stael, Jullien u. v. a. Auch die besonneneren und fortgeschritteneren Pädagogen der älteren, philanthropinischen Schule, wie besonders Trapp, wandten sich mehr und mehr Pestalozzi zu. Zurückhaltender urteilte A. H. Niemeyer, der indessen doch auch bemüht ist, dem Verdienste des Mannes auf seine Weise gerecht zu werden. Von Jüngeren empfingen Herbart und Fröbel tiefgehende Einwirkungen von Pestalozzi, ohne sich in ihrer Selbständigkeit dadurch beschränken zu lassen; sie waren für sich zu bedeutend, um bloß Pestalozzianer sein zu wollen oder zu können.
So breitete sich der Einfluss des Pestalozzianismus besonders nach Deutschland mehr und mehr aus; er wurde heimisch in Frankfurt (durch Ritter, Mieg u. a.), in Wiesbaden (wo de Laspee eine Pestalozzische Anstalt