Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen. Paul Natorp

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Paul Natorp: Johann Heinrich Pestalozzi, Sein Leben und seine Ideen - Paul Natorp gelbe Buchreihe

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um Aufsätze der Mitglieder über Gegenstände aus der Geschichte, Politik, Moral und Pädagogik gemeinsam zu lesen und zu besprechen. Als dieser Verein, der wegen seiner entschieden demokratischen Richtung bei den Regierenden der Stadt von Anfang an nicht wohl gelitten war, im Jahre 1767 im Zusammenhang mit politischen Unruhen aufgelöst wurde, kam auch der junge Pestalozzi in ernsten Verdacht gefährlicher Umtriebe; er wurde in Arrest genommen, aber als unschuldig erkannt und mit scharfer Verwarnung entlassen. Eine von den Vereinsgenossen herausgegebene periodische Schrift „Der Erinnerer“ brachte auch einige Aphorismen, „Wünsche“ betitelt, aus Pestalozzis Feder, worin er unter anderen gemeinnützigen Dingen eine schlichte Erziehungslehre für den einfachen Bürger und Bauern fordert. Bedeutender und sehr bezeichnend für seine damalige politische Richtung ist ein Aufsatz „Agis“, der nebst dem Bruchstück einer Übersetzung der dritten Olynthischen Rede des Demosthenes im „Lindauer Journal“ 1766 ohne Nennung des Verfassers erschien. Dieser Aufsatz legt nicht nur Zeugnis ab von Pestalozzis ernster Beschäftigung mit Geschichte und Politik der Alten (Demosthenes, Plutarch), sondern verrät eine geradezu revolutionäre Stimmung.

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      Jean-Jacques Rousseau – 1712 – 1778

      Diese erklärt sich aus dem starken Eindruck der Schriften Rousseaus, die damals erst kürzlich erschienen waren und, wie in aller Welt, so besonders in der Schweiz eine tiefe Gärung hervorgerufen hatten.

      Rousseaus Ideen waren auch nicht ohne Einfluss auf Pestalozzis Berufswahl. Nachdem er seine anfängliche Absicht des Theologiestudiums frühzeitig aufgegeben, hatte er eine Zeitlang ernstlich daran gedacht, sich durch das Studium der Rechte zu einer politischen Laufbahn als eine Art Volksanwalt auszurüsten. Sein Freund Bluntschli brachte ihn davon ab, indem er ihn überzeugte, dass ihm dazu die ruhige, kaltblütige Menschen- und Sachkenntnis allzu sehr mangle. Aber auch, als er sich dann für den bescheidenen Beruf des Landwirts entschied, waren „sittliche Absichten und Liebe zum Vaterland“ (wie er 1771 an Hirzel schreibt) von seiner Entschließung „nicht getrennt“; er gedachte nämlich durch vorteilhafte Bewirtschaftung seines Gutes sich den Weg zu bahnen, um zur Hebung der Volksbildung und Volksökonomie in seiner Umgebung etwas beitragen zu können. Bestärkt wurde er in seinem Entschluss durch die Sehnsucht, ein geliebtes Mädchen, Anna Schultheß („Nannette“), mit der die gemeinsame Trauer um den früh verstorbenen Bluntschli, der auch ihr hochgesinnter Freund gewesen war, ihn zusammengeführt und deren Liebe er gewonnen hatte, in nicht zu ferner Zeit heimführen zu können. Denn er durfte nicht hoffen, die Hand der wohlhabenden, schönen und gebildeten Kaufmannstochter zu erlangen, wenn es ihm nicht gelang, es in kurzem zu sicherem Wohlstand zu bringen; das hoffte er als Landwirt am ehesten zu erreichen. Die nötigen Fachkenntnisse brachte der angesehene Berner Rudolf Tschiffeli, der in Kirchberg bei Burgdorf ein großes Gut bewirtschaftete, ihm bei; bei ihm verlebte Pestalozzi eine sehr glückliche Zeit (Herbst 1767 bis Frühjahr 1768) in eifrigem Studium. Dann nach Zürich zurückgekehrt, kaufte er größtenteils mit geliehenem Geld ein für seine Absicht sonst nicht ungeschicktes, nur viel zu großes und daher für seine Verhältnisse zu kostspieliges, bisher fast unbebautes Grundstück in der Nähe von Brugg, auf Berner Gebiet, im späteren Kanton Aargau, unweit der Habsburg, und begann es zu bewirtschaften. Nach schweren Kämpfen durfte er (Herbst 1769) seine Braut heimführen. Sein Wohnsitz war, bis das auf seinem Grundstück neuerrichtete Haus „Neuhof“ (Frühjahr 1771) bewohnbar war, in Müligen. Der erhaltene, von Seyffarth herausgegebene Briefwechsel der beiden Liebenden gewährt tiefe Einblicke in Pestalozzis Gemütsart und in sein ganzes Treiben während dieser Lehrjahre. Er erscheint in diesen Briefen durchaus nicht als der empfindsame Träumer, als den man nach seinen späten Selbstschilderungen ihn sich vorzustellen pflegt; er zeigt vielmehr eine für seine Jugend erstaunliche Kenntnis von Menschen und Sachen, ein entschlossenes, oft nur zu jähes Handeln, allerdings auch ein heißes, bisweilen zu heftiger Erregung gesteigertes Empfinden. Seine Schreibart ist höchst lebendig und warm, bald stürmend, bald erhaben und wieder anmutig scherzend; kurz, von einer Jugendlichkeit, die ihn in den besten Momenten dem jungen Goethe nahe stellt. Kaum von geringerem Wert sind die Briefe der Anna Schultheß. Ihre beiderseitige Liebe ist von der höchsten und reinsten Art, und ist durch ihr ganzes schweres Leben hindurch so geblieben.

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      Die Armenanstalt auf Neuhof

       Die Armenanstalt auf Neuhof

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      An dem 1770 geborenen Söhnchen Hans Jakob („Jacqueli“) konnte Pestalozzi die ersten eigenen Erziehungsstudien machen. Die wertvollen Tagebuchaufzeichnungen über seine Beobachtungen und Versuche an dem vierjährigen Knaben (1774) lassen den Einfluss Rousseaus auch auf seine Erziehungsgrundsätze deutlich erkennen. Sachbildung geht vor Wortbildung; das Sehen, Hören und Tun muss weit vorhergehen dem Urteilen und Schließen. Stetiger, lückenloser Fortschritt der Bildung; „Ordnung, Genauheit, Vollendung, Vollkommenheit“ in allem; selber finden, was irgend selber zu finden ist; an der Hand der „Natur“ lernen, der der Lehrer nur „leise und still mit der folgenden Kunst fast nebenher schleicht“: Das gibt Mut und Freude, ohne die alles Lernen keinen Heller wert ist. Gehorsam muss sein (gegen Rousseau!), aber er muss in freiem Zutrauen, in der Erfahrung der Liebe und überlegenen Einsicht des Erziehers gegründet sein.

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      Zu einer bedeutenden Erweiterung und Vertiefung seiner pädagogischen Erfahrung führte ihn indirekt das baldige Scheitern seiner landwirtschaftlichen Unternehmung. Sein Plan war an sich zwar nicht unverständig. Aber schon beim Landkauf wurde er durch einen gewissen Merki, der sich durch einige wirkliche Dienste, die er ihm dabei leistete, in sein Vertrauen geschlichen hatte, hinterher betrogen. Überhaupt war Pestalozzi nie ein genauer Rechner. Misswuchs und sonstige unvorhergesehene Schwierigkeiten kamen hinzu; so begreift es sich, dass das Bankhaus, das den größten Teil der Kosten vorgeschossen hatte und nun den erhofften Nutzen nicht absah, seine Gelder endlich zurückzog. Pestalozzi allein aber konnte unter der drückenden Schuldenlast das ohnehin schwierige Unternehmen auf die Länge unmöglich weiterführen. Dieser Misserfolg musste ihn doppelt niederschlagen, weil er so auch jede Hoffnung schwinden sah, zur Linderung des Volkselends, das er jetzt täglich in nächster Umgebung vor Augen sah und das ihm näher ging als die eigne Not, auch nur irgendetwas beitragen zu können. In solcher Bedrängnis kam ihm der Gedanke, es könne ihm zugleich und dem armen Volke um ihn her geholfen werden, wenn er sein Gut in eine Anstalt zur Auferziehung von Armenkindern umwandelte.

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       (Band 65e dieser gelben Buchreihe berichtet über Johann Hinrich Wichern und das von ihm 1833 in Horn bei Hamburg gegründete Rauhe Haus. Wichern war von Pestalozzis Ideen beeinflusst. Er hatte bleibenden Erfolg, weil der junge Handwerker als Gehilfen anwerben konnte, die den Kindern in den „Familien“ als „Brüder“ zur Seite standen. Diese Gehilfen erhielten durch Wichern eine theoretische Ausbildung und eine berufliche Perspektive als „Hausväter“ in anderen Kinderheimen („Rettungsanstalten“), als Lehrer oder als Kolonistenprediger in Übersee.) Die Kinder sollten unter seiner Anleitung vor allem arbeiten lernen; durch die gemeinsame Arbeit des Hauses – Baumwollspinnerei und -weberei, kombiniert mit einfacher Feldarbeit, besonders Gemüsebau – würde die Anstalt, einmal in Gang gebracht, sich bald selber erhalten können, während ihre Zöglinge zugleich die Segnungen eines schlichten, aber liebewarmen Hauslebens genössen und so zu eben der Lebensführung gebildet würden, auf die ihre Lage sie hinwies. Der Plan war nicht bloß in der Absicht vortrefflich, sondern an sich auch sehr wohl ausführbar. Pestalozzi fand in seiner Nähe vielfache Aufmunterung und anfangs auch tätige Hilfe. So konnte die Anstalt im Jahre 1774 ins Leben treten. Indessen wuchs ihm die Sache nur zu bald über den Kopf. Es hätte mehr als menschliche Kräfte gefordert, neben seinem Hauptzweck

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