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Dieser Mensch vor ihren Augen jedoch war kein gutmütiger Jäger. Seine Uniform war nicht hoffnungsvoll grün und dennoch war er der erste Mensch, der die Wucht ihrer Verzweiflung auszuhalten hatte.
Das Grauen erfasste sie irgendwann endgültig. Die Demütigung dieser herzlosen Propaganda vom notwendigen Opfer in einem solchen Moment schlug ohne Vorwarnung in puren Hass um. Sie beugte sich nach vorn, entriss dem Mann das Bündel Geld, das er als Entschädigung mitgebracht hat, öffnete die obere Klappe des Herdes und warf das Geld in den schwarzen Schlund. Wie konnte sie noch wissen, was sie tat? Ihre Beine versagten längst den Dienst und sie ging auf den hölzernen, frisch gescheuerten Dielen in die Knie, ließ den Schmerz über sich hereinbrechen und mit lautem Geschrei wieder aus sich herausströmen.
Lotte, die Tochter der alten Cecilia Merschank, war in Begleitung des Mannes gekommen. Sie hatte den Tag herbei gefürchtet, an dem Maria diese Nachricht bekommt, dieselbe, wie sie selbst eine schon vor elf Monaten bekommen hatte. Sie wusste, was es bedeutete, mit drei kleinen Kindern allein da zu stehen — in dieser Zeit. Auch Lotte war vom Verlust ihres Mannes durch den Kugelhagel des Feindes gezeichnet, aber sie hatte nur ein kleines Balg, wie sie immer sagte, und dazu hatte sie noch die Mutter bei sich, die den Haushalt beinahe alleine bestritt und die in ihrer Derbheit sogar die geizigen Bauern dazu bringen konnte, etwas Essbares herauszurücken. Weiß der liebe Gott, wie sie das machte.
Das halbe Dorf hatte vom Tod des Hannes Jahn eher gewusst als seine Familie. Auch Hannes Mutter Alma Fischer verschonte man vorsorglich von dieser Meldung, bis die Obrigkeit sich ihrer Pflicht entledigt hatte.
Keiner ging gerne mit dieser Art Nachricht zu den Witwen oder Müttern und Vätern. Man schob es hinaus mit dem Vorbehalt, man müsse abwarten, ob die Frontnachricht der Lage entspricht.
Geistesgegenwärtig nahm Lotte einen Feuerhaken und kratzte die Geldscheine aus der Asche, in der gottlob nur noch wenige Funken Glut steckten.
Irgendwann war Maria zu erschöpft, um noch länger zu schreien. Sie winselte vor sich hin und führte viele Worte im trockenen Mund, die niemand ganz verstand, die aber die Namen ihrer drei Kinder benannten, und wie sie ohne einen Vater auskommen sollten in dieser schweren Zeit: Karla. Franka. Elias.
Vereint half man ihr wieder auf die Beine, und ebenso vereint versuchte man ein zaghaftes Versprechen, sie jeder Zeit zu unterstützen. Was immer darunter zu verstehen war, dem Mann glaubte sie schon damals kein Wort. Und was Lotte betraf, so wusste sie längst, wo die Grenzen ihrer Hilfe zu erwarten waren.
Bevor der Mann in Uniform seinen Arm weit von sich steckte und seine Mission für Führer und Vaterland als beendet betrachtete, war ihm noch die heilige Pflicht eingefallen, auch ganz andere Worte zu einer Kriegswitwe sagen zu müssen:
»Es ist das Zeitalter der Frauen, Maria, aber an eines solltest du immer denken: Wenn wir den Krieg endlich gewonnen haben, dann hat dein Hannes mit seinem tapferen Kampf es erst möglich gemacht. «
Im gegenwärtigen Augenblick und noch lange danach nahm sie nichts mehr von dem wahr, was sie umgab. Sie verstand nicht einmal mehr, was um sie herum geschah, was ihre Kinder taten, was man im Radio über den Frontverlauf verkündete, den sie stets mit wachem Interesse und ängstlichem Bangen verfolgt hatte. Nicht einmal zu ihrer Schwiegermutter Alma fand sie den Weg. Es sah so aus, als floh sie innerlich von ihrer Welt, in der sie bislang so glücklich war mit ihrem Hannes. Und nicht genug, es sah auch so aus, als wünschte sie, es käme jemand, um auch sie zu vernichten, auch sie von dieser jämmerlichen, ungerechten Welt zu erlösen, sie in Staub und Asche zu verwandeln und endlich von den Qualen zu befreien. Es kümmerte sie keine schlaflose Nacht, kein Regen im Winter, kein Sturm in den Wipfeln und unter den Dachfirsten, der das Haus zu zerreißen drohte. Alles war nur die Folge dessen, was zu ihrem Leid geführt hatte — der erbarmungslose Krieg.
Auch Alma Fischer — Hannes‘ Mutter hatte noch einmal geheiratet und trug nicht mehr den Namen, den ihr Sohn noch trug — fand den Weg zu Maria erst spät. Es gab eine Zeit, da war sie gram mit Hannes, weil er keine Hiesige wollte, weil er sich partout in diese Schlesierin verlieben musste. Wer weiß, warum die aus ihrer Heimat bis in diese Gegend gekommen war, und wer weiß, was eine treibt, die täglich von fremden Menschen umgeben ist und in diesem feinen Etablissement jedem ums Maul gehen muss. Und überhaupt, sie war viel zu zart, um einmal einen Haushalt zu führen, der ihrem Erstgeborenen gebührte.
Die Zeit nach dieser unsäglichen Nachricht — vom ersten Hahnenschrei bis zum ku-witt des Käuzchens bei Nacht — war eine unsägliche Qual für Maria. Daran änderte auch nichts, dass Karla, die schon sechs Jahre alt war, sie mit Tee versorgte, ihr die wenigen Gänge abnahm, die ein Kind schon bewältigen konnte, auch wenn vom Brot, das sie vom Bäcker holte, stets der Kanten abgenagt war.
Als der Frühling kam, spürten die Nachbarn, dass eine deutliche Veränderung in Maria begann. Die Zeit der Trauer war dem Trotz gewichen, der seit Kindertagen in Maria schlummerte. Man sah sie wieder in ihrem schönsten Kleid mit den Kindern an der Hand durch das Dorf spazieren. Sie war eine Erscheinung, der man gerne hinterher schaute. Vor allem die wenigen Männer, die es an der Heimatfront noch gab. Ihre Beine waren wieder leicht, ihr Körper schien über der Erde zu schweben, als hoben sie tausend Engel in den Stand des Himmels. Nur am Abend zuhause in ihrem Bett flossen bittere Tränen, kämpfte die Wut gegen die Erschöpfung der mühseligen Tage, hörte sie all die Laute, als trafen sie durch dicke Watte auf ihr Ohr. Völlig gefühllos lag sie da wie in den Falten von Gottes Mantel gebettet, und sie wartete darauf, dass sie einen Weg gewiesen bekam, den eine von Gott verlassene Frau zu gehen hat. Sie wusste nicht, dass alles der großen Sehnsucht geschuldet war, die sie für Jahre nicht loslassen würde.
Irgendwann sah sie ein, es würde ihr niemand helfen können, wenn sie sich nicht selbst half. Die übergroße Liebe von Hannes musste sie schon viel zu lange entbehren, aber sie war kaum imstande, ihre eigene Liebe an die Kinder weiterzugeben. Jede Regung ihres Herzens brachte den Schmerz zurück, den der Verlust von Liebe und Geborgenheit bewirkte.
DIE ANDERE MARIA
Jeden Abend, wenn sie die Kinder zu Bett brachte, kam die Erinnerung daran, was einmal war. Hannes nahm immer Elias, seinen Stammhalter, auf die Schultern, Maria die beiden Mädchen an den Händen. Zusammen blieben sie solange an deren Bettchen stehen, beteten mit ihnen und strichen jedem behutsam über das Haar bis zu den Augen hinunter und drückten ganz sanft die müden Lider zu. Ein Ritual, dem Maria, seit Hannes an der Front war, nie wieder gefolgt ist. Solange jeder glaubte, dieser Krieg ginge sehr schnell vorbei, erschien es ihr als Verrat, wenn sie seine Rolle so einfach übernommen hätte. Später konnte sie nicht wieder damit beginnen, zu schwer war ihr die Zeit der Angst geworden, es könnte nie mehr so sein. Und nun ist es so. Es wird nie mehr so sein.
Dicht bei den Kindern roch Maria an diesem Abend die unschuldigen Körper und glaubte, sie würden nach Hannes riechen. Sie blickte vom selig einschlummernden Gesicht des kaum dreijährigen Elias weg in die Dunkelheit. Betäubt von der Vorstellung, den Rest des Lebens allein und einsam leben zu müssen, und in ständiger Sorge, die Kinder und sich selbst satt zu bekommen, stand sie bisweilen sehr lange reglos im kalten Zimmer, das mit Decken verdunkelt war, um dem Feind, der immer näher kam, kein winziges Zeichen für seine Vernichtungsabsicht zu geben. Warum will der Feind uns vernichten? Wir haben ihm nichts getan! Allerdings wusste sie auch nicht, was der als Feind benannte Russe ihnen getan hatte. Sie kümmerte sich nie um Politik. Nur eines drückte seit Monaten schwer auf ihr. Der Feind hat mir das Liebste genommen, das ich je hatte.
Wie