Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke
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Dr. Witthuhn schob die Mappen mit den Krankenblättern zur Seite und fragte Dr. Ferdinand, wann er zuletzt seine Patienten gesehen hätte, der wiederum in der Plötzlichkeit der intuitiven Eingebung den Zusammenhang begriff. "Heute morgen", antwortete Dr. Ferdinand, wobei er nicht erwähnte, dass er schon vor sieben Uhr im Hospital war, um seine Patienten zu sehen. "Und wann davor?", fragte der Superintendent. "Gestern morgen", das der Wahrheit entsprach. "Ich frage Sie deshalb", fuhr der Superintendent fort, "weil Dr. Hutman sagt, dass Sie die Patienten vernachlässigen, sie nicht regelmässig gesehen werden." Dr. Ferdinand erregte sich über die erneute Unverschämtheit: "Wie kann er das sagen, ohne die nötige Gewissheit zu haben?" Dr. Hutman fühlte sich sicher und sprach schneidend: "Die Gewissheit liegt in den fehlenden Eintragungen in den Krankenblättern.” Da die Schwestern der Frühschicht nicht bestätigen konnten, dass Dr. Ferdinand die Patienten schon gesehen hatte, weil sie später kamen, und keiner die Patienten diesbezüglich gefragt hatte, nahm sich Dr. Hutman die Freiheit mit der frechen Behauptung heraus, dass der deutsche Kollege die Patienten vernachlässige, weil nachweislich keine Eintragungen im Krankenblatt zu finden waren. Dieser Vorwurf sollte sitzen, er sollte den Prestigeverlust wettmachen, den Dr. Hutman wenige Wochen vorher vor dem ärztlichen Direktor einstecken musste.
Es stimmte, dass nicht täglich Eintragungen gemacht wurden, das wusste Dr. Ferdinand auch, und er sah es nicht als unbedingtes Versäumnis an, weil die Zeit für die Saalrunde begrenzt war und mit den Operationen pünktlich begonnen werden musste. Er sagte, dass in Anbetracht der Vielzahl der Patienten und des Zeitdrucks, unter dem die Saalrunde vorgenommen werden muss, es kein ärztliches Versäumnis ist, von pedantischen Eintragungen des Normalen abzusehen, wenn die Patienten keine Besonderheiten gegenüber dem Vortag aufweisen. "Die Prioritäten sollten richtig gesetzt werden, dann wird auch dem Patienten unter den Bedingungen, die hier noch gegeben sind, am besten geholfen. Das sind Ehrlichkeit und Pünktlichkeit der ärztlichen Zuwendung", fauchte Dr. Ferdinand voller Wut dem Dr. Hutman ins Gesicht. In der Schweigeminute des Nachdenkens, Dr. Witthuhn schaute auf den Stoss scheinbar anstössiger Krankenblätter, die jungen Kollegen neben Dr. Hutman blickten entsetzt, der selbst in Blässe versank, vergegenwärtigte sich Dr. Ferdinand, dass "der Leutnant des Teufels" ihm in hinterhältig böser Absicht nachstieg, um Schaden zuzufügen und zu zersetzen, wo Zusammenarbeit das Gebot der Stunde war.
"Kehren Sie endlich vor der eigenen Tür, da liegt schon genug Dreck", fuhr ihn Dr. Ferdinand an. "Worin sehen Sie denn Ihre Aufgabe hier, wenn Sie sich als Arzt vertarnen, um zu zerstören, was andere mühsam aufbauen, weil denen die Not der Menschen am Herzen liegt. Anderen hinterherzusteigen, das ist unproduktiv und absurd in einer Situation, wo Ärzte fehlen. Sie sollten besser Ihre Arbeit tun, und so, dass sie hilfreich für die Patienten und Kollegen ist und einer Prüfung vor dem Gewissen standhalten kann." Dr. Ferdinand war wütend. Von nun an schwieg sich Dr. Hutman aus, der den Kopf nach links und rechts drehte und keine Ausrede fand. Dr. Witthuhn drückte ihm den Stempel der Anmassung und Zersetzung auf und warnte ihn vor weiteren Attacken der Bösartigkeit, die jetzt wirklich nicht zu gebrauchen sind. Er gab ihm zu bedenken, ob eine kollegiale Zusammenarbeit nicht sinnvoller wäre bei dem Umfang der zu leistenden Arbeit. Doch auch dazu schwieg sich Dr. Hutman aus. Es war offentsichtlich, dass er die Massstäbe, die den ärztlichen Kodex bestimmten, verloren hatte und sich nun hinter seiner Uniform versteckte. Verflucht sei das verlängerte Ohr des Ausspionierens und der listige Fallensteller, schwirrte es Dr. Ferdinand durch den Kopf.
"Der Leutnant des Teufels" gab auch danach nicht auf und spielte die Rolle des Charakterschweins weiter. Er war vom Auftrag der Zerstörung besessen. Ihn ritt die wilde Wut ohne Sinn und Verstand, weil er den Schaden nicht begriff, den er mit seinen Hinterhältigkeiten anstellte. Ob der nicht richtig tickt, fragte sich manchmal Dr. Ferdinand, wenn er nicht umhin kam, mit ihm die Saalrunde gemeinsam zu machen, am Op-Tisch ihm gegenüberzustehen oder im Teeraum gegenüberzusitzen, die permanente Unruhe auf seinem Gesicht mit den falschen Augenblicken herumfahren zu sehen und sich die Wichtigkeit seines Redens anzuhören. Der muss sich in der Anmassung des Masslosen und seiner zerstörerischen Zwangsneurose völlig verspiegelt haben, kam es in den Sinn, als sich Dr. Ferdinand die totale Verspiegelung der Persönlichkeit des Dr. Hutman gegen die harmlosen Schreiberlinge und Schreibärsche der verschwindenden Verantwortung in den Aufzügen der Verwaltungspyramiden vorstellte, die sich beim Hoch- und Runterfahren vor dem grossen, die ganze Rückwand einnehmenden Spiegel beim Anblick ihrer Fettheit mit den auf breiten Stiernacken aufgesetzten Rundköpfen und den ausdruckslosen, unbedeutenden und blöden Gesichtern ihre Wichtigkeit vorspiegelten.
Es bedurfte keiner besonderen Detektivarbeit, um herauszufinden, dass Dr. Hutman durch seine unablässige, zersetzende Wühltätigkeit das Misstrauen der Militärs geschürt und damit wesentlich an der Enthebung des Dr. Witthuhn vom Stuhl des Superintendenten beigetragen hatte. Durch Dr. Hutman wurde der von der weissen Matrone beschworene Teamgeist eine Totgeburt, die vorzeitig mit den Unreifezeichen eines frühen, missgebildeten Embryos wie bei einem Spontanabort im dritten Monat ausgestossen wurde. Das Arbeitsklima im Hospital blieb gespannt, weil dem "Leutnant des Teufels" das Handwerk der Niedertracht nicht gelegt werden konnte, der sich weiterhin als verlängertes Ohr mit der ihm zugesagten Bösartigkeit der Wortverdrehung betätigte, was der zwangsneurotischen Strategie der aus den Machtzentralen Pretorias aufgescheuchten Militärs vor dem Sonnenuntergang des abgewirtschafteten Apartheidssystems entgegenkam.
Die Zustände waren miserabel und menschenunwürdig im wortwörtlichsten Sinne, die trichterförmigen Zinktoiletten waren bis obenhin verstopft; davor und daneben und sonstwo lagen die Kothaufen herum, und es stank zum Himmel. Die Wasserspülungen taten es nicht, weil der Handgriff zum Spülarm fehlte, oder der Spülarm klemmte, verbogen oder abgebrochen war. Die Verstopfungen in den dicken Ablaufrohren hatten sich mit den Papierzulagen fest verschichtet und reichten weit in den Trichter hinauf, sie waren von langer Dauer und stanken bestialisch. Das Wegspülen der Exkremente, so wichtig es für die Sauberkeit ist, war eine Ausnahme, ein Glückstreffer, weil das Wasser meist zu wenig Druck hatte, wenn es nicht ganz abgedreht war aus Gründen von Reparaturarbeiten am Leitungssystem innerhalb des Hospitals oder draussen im Dorf. War dann der Wasserdruck höher als normal, dann passierte es, dass es aus den Löchern der vor vielen Jahren angeschlossenen und seit weniger Jahren durchgerosteten Eisen der gebogenen Verbindungsstücke oder den längst vergammelten und gerissenen Verbindungsschläuchen spritzte und dem ins Gesicht, der sich mit der guten Absicht über den hoch gefüllten Trichter gebeugt hatte mit dem Versuch, die Verstopfung und die am Boden liegende Unhygiene zu beseitigen, die Drainage durchgängig zu machen und sich dafür einsetzte, den ersten Ansätzen der Grundhygiene wieder auf die Beine zu verhelfen.
Da es sich hier um ein Fundamentalanliegen für ein Hospital handelte, nahm Dr. Ferdinand dieses Problem sehr ernst und rügte das Verhalten seiner zivilen wie unformierten Kollegen und besonders das der Superintendenten als unverantwortlich in punkto Sauberkeit und Grundhygiene, da aber auch keiner dieser Akademiker sich nur einmal die Mühe machte, sich persönlich über einen vollen Toilettentrichter zu beugen, um sich ein Bild vom Ausmass der Verstopfung zu machen. Er hätte es ihnen nicht verübelt, wenn sie für den Augenblick der Besichtigung des scheissvollen Trichters die Atmung eingestellt und die Nase zugequetscht hätten. Er hätte es mit einem Fragezeichen toleriert, wenn sie danach mit roten Köpfen einem Waschbecken mit funktionierendem Wasserhahn zugeeilt wären, um den Ritus des Händewaschens einzuhalten, auch wenn sie nichts berührt und den Spülkasten nicht angefasst hatten.
Dr. Ferdinand setzte deshalb das Fragezeichen hinter seine Toleranzbereitschaft, weil er den Händewaschzwang im Rahmen der blossen Besichtigung als heuchlerisch empfunden hätte, da es nur der Geruchsauflagerung gegolten hätte, die abzuwaschen war. Wie dem auch gewesen wäre, Dr. Ferdinand hätte den überzogenen Reinhaltungszwang mit einem Ausrufezeichen hingenommen, wenn die Kollegen und Superintendenten die Reinhaltung ihrer Hände auf die Hände der Patienten und die gesamte Hospitaleinrichtung übertragen hätten. Beim Waschvorgang der Hände konnten sie sich jedoch persönlich und physikalisch