Ein Dorf schweigt. Silke Naujoks

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Ein Dorf schweigt - Silke Naujoks

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meinen Blick erneut schweifen und nun entdeckte ich einen jungen, gutaussehenden Mann mit schwarzem Haar und dunklen Augen. Er schaute mich an und mir kam es vor, als sei er traurig. Als er merkte, dass ich ihn entdeckt hatte, sah er ganz schnell woanders hin. Ich stieß Kim an. Sie war ein umschwärmtes Mädchen. Ich hoffte, sie könnte mir sagen, wer dieser attraktive junge Mann war.

      »Ja, was ist?«, fragte meine Cousine.

      Ich schmunzelte. »Ich glaube, ich habe eine Eroberung gemacht.«

      Dafür hatte sie immer Verständnis. Ihr Ärger darüber, dass sie beim vorherigen Rennen nicht gewonnen hatte, verflog. »Wirklich? Wer ist es?«

      Heimlich wies ich auf den betreffenden Mann und wunderte mich, dass meine Cousine plötzlich blass wurde. Sie war wütend, entrüstet, empört. Ich konnte ihre heftige Reaktion nicht verstehen. »Kannst Du mir erklären ...«, begann ich, doch Kim beachtete mich nicht mehr.

      Sie wandte sich an ihre Brüder und an die Eltern und alle reagierten mit der gleichen Empörung. »Dass er es wagt, sich in aller Öffentlichkeit zu zeigen«, sagte Tante Liz verächtlich.

      »Wieso?«, fragte ich. »Wer ist das?« Sie überhörte meine Frage.

      »Ich möchte, dass wir gehen«, sagte Onkel Wolfgang.

      »Aber wieso denn?«, fragte ich. »Es kommen doch noch drei Rennen.«

      »Wir haben keine Lust, länger hier zu bleiben«, stellte Onkel Wolfgang fest.

      Na schön, er und seine Familie hatten vielleicht keine Lust mehr, aber ich wäre sehr gerne noch geblieben, doch ich musste mich den strengen Worten meines Onkels fügen. Wenn er sagte: ›Wir gehen nach Hause, dann gingen wir nach Hause, und zwar alle.‹

      Einverstanden, ich wollte ja gar nicht stänkern, aber sie hätten mir wenigstens sagen können, warum ihnen dieser junge Mann so gründlich die Laune verdorben hatte. Merkwürdig. Obwohl ich nicht glaubte, ihn schon einmal gesehen zu haben, kam er mir nicht fremd vor. Da war etwas Vertrautes in seinen Zügen. War ich ihm vor zehn oder mehr Jahren schon mal begegnet? Hatten wir zusammen gespielt, als wir Kinder waren? Ich wäre am liebsten zu ihm gegangen und hätte ihn gefragt: ›Warum haben Sie mich die ganze Zeit beobachtet? Wer sind sie? Was wollen Sie von mir?‹

      Jetzt hatte ich das Gefühl, meine Verwandtschaft wolle mich vor ihm in Sicherheit bringen. Meine beiden Cousins schirmten mich regelrecht ab. Wie Leibwächter kamen sie mir vor. Was sollte das? Stellte der junge Mann eine Bedrohung für mich dar? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Er machte auf mich keinen gefährlichen Eindruck, aber ich musste zugeben, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht weit her war. Meine Verwandten drängten mich zum Parkplatz. Nach wie vor kannte ich den Namen des Mannes nicht. Die Arends hatten anscheinend vor, mich dumm sterben zu lassen und das ärgerte mich.

      »Dürfte ich nun endlich erfahren, was ...«, begann ich, als wir Onkel Wolfgangs Wagen erreichten.

      »Steig ein, Pam«, sagte er zu mir und seine Miene war schon lange nicht mehr so finster gewesen.

      Ich gehorchte. Kim nahm neben mir Platz, Tante Liz setzte sich neben ihren Mann und Jo und Wilfred begaben sich zu dessen Wagen. Ein schöner Sonntagnachmittag war plötzlich umgeschlagen. Das Barometer zeigte auf einmal Schlechtwetter und ich hatte nicht den leisesten Schimmer, warum das so war. Wir fuhren durch den kleinen unscheinbaren Ort mit den lieblichen eng aneinander geschmiegten Häusern. Es war ein malerischer, ein wenig verträumter Ort und ich musste zugeben, dass es richtig gewesen war, ihn solange links liegen zu lassen. Der Ort war es wert, dass man öfter kam. Ich nahm mir vor, wenigstens jedes zweite Jahr hier meinen Urlaub zu verbringen, das ging natürlich nur, solange ich frei und ungebunden war. Wie lange ich das noch sein würde, hing nicht von mir alleine ab. Während der Fahrt wurde kein Wort gesprochen. Ich versuchte es zweimal, doch die Antwort war gleich null und so gab ich mein Bemühen erst mal auf, zu erfahren, wer der junge Mann war. Ewig konnten die ja nicht schweigen. Ich hoffte, dass sie zu Hause die Katze aus dem Sack lassen würden.

      Zu Hause, das war ein altes Herrenhaus aus dem vorherigen Jahrhundert. Ein wenig unheimlich war es schon. Vor zehn Jahren war mir das nicht aufgefallen. Damals hatte ich noch die Unbekümmertheit eines Kindes besessen. Heute empfand ich anders und das Leben hatte mir trotz meiner Jugend ein paar Wunden geschlagen, die mich vorsichtiger und misstrauischer werden ließen. Deshalb hatte es mich zunächst ein bisschen erschreckt, als ich das Haus der Arends wiedersah, denn so düster und unheimlich war es mir nie vorgekommen. Doch nach nur zwei Tagen war das Unbehagen weg gewesen und ich fasste langsam Vertrauen zu dem Gebäude mit den dämmrigen Fluren und schummerigen Ecken und Winkeln. Das Haus der Arends stand außerhalb des Ortes und war umgeben von einem dichten, finsteren Wald, in dem man sich glatt verirren konnte. Während Kim und ich lieber in unseren Zimmern mit Puppen gespielt hatten, waren Jo und Wilfred viel in den Wäldern herumgezogen und es gab kaum einen Baum, an dem sie damals nicht hochgeklettert waren. Max, der alte Diener, empfing uns. Er sagte, er hätte uns noch nicht zurückerwartet und meine Verwandten machten es mit ihm genauso wie mit mir. Der junge Mann von der Windhundbahn wurde einfach totgeschwiegen, aber gerade dadurch war er besonders lebendig für uns. Man konnte ihn in unserer Mitte spüren. Hatten meine Verwandten Angst vor ihm? Wieso mieden sie seine Nähe, als hätte er irgendeine entsetzliche, ansteckende Krankheit? Dass sie partout nicht über ihn reden wollten, sah ich nicht ein, warum ich mich an ihrem eifrigen Schweigen beteiligen sollte. Nicht reden konnte ich auch in meinem Zimmer, deshalb zog ich mich dorthin zurück und niemand hatte etwas dagegen.

      Der Raum war erst vor meiner Ankunft neu tapeziert und eingerichtet worden. Kein Möbelstück erinnerte mich an meine früheren Aufenthalte in diesem Haus. Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, setzte ich mich vor den Frisörspiegel und kämmte mein blondes Haar. Aber eine Dauerbeschäftigung war das nicht. Nachdenklich betrachtete ich mein Spiegelbild und ich fragte mich, ob ich so wenig vertrauenswürdig war, das meine Verwandten nicht über alles mit mir sprechen wollten. Um die Zeit bis zum Abendessen totzuschlagen, begab ich mich zu dem kleinen Schreibtisch beim Fenster und begann einen Brief an meine Eltern zu schreiben.

      ›Liebe Eltern, heute habe ich etwas Merkwürdiges erlebt ...‹

      Der Anfang gefiel mir nicht, ich knüllte das Papier zusammen und warf es auf den Boden. Warum eigentlich nicht in den Papierkorb?

      ›Liebe Eltern,

      ich hoffe, es geht Euch gut. Schade, dass ihr nicht hier sein könnt. Ich vermisse Euch ...‹

      Auch nichts. Der nächste Papierball landete auf dem Teppich.

      ›Liebe Eltern ...‹

      Nun gefiel mir noch nicht einmal mehr die Anrede!

      ›Liebe Mutter, lieber Vater ...‹

      Ach was. Ich gab auf, beim Aufstehen sammelte ich die Knäule ein und warf sie in den Papierkorb und lehnte mich neben dem Fenster an die Wand. Ein milder Lufthauch streichelte mein Gesicht. Mit halb gesenkten Lidern genoss ich die friedliche Atmosphäre. Das leise Rauschen der Bäume, das unermüdliche Zwitschern der Vögel. Die Natur brachte keinen Misston hervor und doch fühlte ich mich nach einer Weile unbehaglich. Wieder fühlte ich mich beobachtet. War das diesmal ein erstes Anzeichen von Verfolgungswahn? Ich versuchte zu vergessen und nach einer Weile gelang es mir auch. Stattdessen dachte ich an meine Kollegen in der Bank, von denen die meisten ihren Urlaub bereits hinter sich hatten. Simon Klausen kam mir in den Sinn, rötliches Haar, vorstehende Zähne, zuständig für die Schließfächer. Er hatte eine Schwäche für mich, aber ich nicht für ihn und ich hatte ihm das auch klipp und klar gesagt. Aber das hinderte ihn nicht daran, mich zu fragen, ob ich im Herbst mit ihm für ein paar Tage nach Irland

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