Ein Dorf schweigt. Silke Naujoks

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Ein Dorf schweigt - Silke Naujoks

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einen ähnlichen Vorschlag machen würde. Simon Klausen war einer meiner hartnäckigsten Verehrer. Wahrscheinlich sagte er sich, Beharrlichkeit ist alles. Für mich jedenfalls nicht, das stand fest und Simon würde seinen Irrtum eines Tages einsehen und sich auf ein Mädchen, bei dem seine Chancen größer waren, konzentrieren. Eine Weile hatte ich Simon ganz deutlich vor mir. Dann wechselte das Bild und Simon Klausen wurde zu einem schwarzhaarigen, gutaussehenden Mann ohne Namen. Die Dämmerung setzte ein, ohne dass es mir bewusst wurde.

      Kim klopfte an meine Tür. »Abendessen, Pam.«

      ›Großer Gott‹ ... Ich war noch nicht einmal umgezogen. Onkel Wolfgang liebte es nicht, wenn man nicht pünktlich am Tisch saß. Es hätte ihm auch missfallen, wenn ich in Jeans und Pullover erschienen wäre. Er hielt sehr viel auf Etikette. Dazu gehörte, dass ein weibliches Wesen während der Mahlzeiten ein Kleid trug.

      »Ich komme sofort!«, rief ich und holte rasch ein Kleid aus dem Eichenschrank. Trotz der Eile hängte ich die Jeans über einen Kleiderhaken und legte den Pullover ordentlich zusammen. So viel Zeit musste sein, denn so hatten meine Eltern mich erzogen. Die Mienen meiner Verwandten hatten sich noch nicht geändert. Sie waren immer noch grimmig und verschlossen. Das bedeutete für mich, dass das Thema ›junger Mann‹ in diesem Haus nach wie vor tabu war. Dadurch schnellte meine Neugier natürlich noch weiter nach oben. Nach dem Abendessen spielte Kim für uns auf dem Klavier, lustlos wie mir schien, und es hörte ihr auch keiner interessiert zu. Sie spielte einfach, weil ihr Vater sie darum gebeten hatte und ich nahm an, er tat es, damit ich nicht wieder unbequeme Fragen stellte.

      Schwer und schwarz breitete sich die Nacht über das alte Haus. Der unheimliche Ruf eines Käuzchens flog durch die Dunkelheit und ließ mich erschaudern. Ich befand mich wieder allein in meinem Zimmer, konnte mich aber noch nicht entschließen, zu Bett zu gehen. Bald würde der Mond aufgehen und sein silbernes Licht in mein Reich schicken. Ich beschloss, auf ihn zu warten. Versonnen näherte ich mich dem Fenster und im nächsten Moment zuckte ich leicht zusammen ...

      Dort unten zwischen den Bäumen stand jemand. Ich konnte ihn nur vage erkennen, bildete mir aber ein, dass es der Mann von der Windhundrennbahn war. Was wollte er hier? Stand er meinetwegen dort unten? Meine Hand umschloss die Gardine. Ich hielt mich daran fest. Reglos wie eine Statue stand die Gestalt in der Finsternis. Je länger ich hinuntersah, desto undeutlicher wurde sie und bald war ich nicht mehr sicher, ob ich tatsächlich jemanden sah oder es mir nur einbildete. Mein Herz schlug ein bisschen schneller und ich nagte nervös an der Unterlippe. Sollte ich meine Verwandten alarmieren? Wenn ich mich irrte, scheuchte ich sie grundlos aus den Betten. Die Gestalt dort unten konnte durchaus auch nur in meiner Einbildung existieren. Rasch schloss ich die Augen, schüttelte den Kopf, und als ich die Lider wieder hob, war der Platz zwischen den Bäumen leer. Hatte ich ein Trugbild gesehen? Mir verging die Lust, auf den Mond zu warten. Ich legte mich ins Bett und wartete auf den Schlaf, der mich auch bald übermannte.

      Kapitel 2

      Das heftige Rauschen des Regens weckte mich im Morgengrauen und der Wind trug die Tropfen weit in mein Zimmer herein. Ich war gezwungen, aufzustehen und das Fenster zu schließen. Patschnass war der Teppichboden bereits. Während ich die Fensterflügel zuklappte, schaute ich unwillkürlich wieder dorthin, wo - möglicherweise - der Mann von der Hunderennbahn gestanden hatte. Trotz des Regens war die Sicht jetzt besser, aber der Platz dort unten war selbstverständlich leer. Gähnend kehrte ich ins warme Bett zurück, zog die Decke ans Kinn und schlief noch drei Stunden. Als ich wieder aufwachte, regnete es nicht mehr, aber der Morgen war grau und trist. So ein Wetter färbte meist auf mein Gemüt ab. Ich fühlte mich nicht sonderlich wohl. Mein normalerweise sehr ausgeprägter Unternehmungsgeist ließ sich nicht finden und ich musste lange kalt duschen, um meine Lebensgeister wenigstens einigermaßen in Schwung zu bringen. Als ich mein Zimmer verließ, begegnete ich Jo auf dem Flur.

      »Guten Morgen, Cousinchen«, sagte er. »Hast Du gut geschlafen?«

      »Einigermaßen, und Du?«

      »Mich hat der Regen geweckt.«

      Max brachte Kaffee.

      »Ich habe einen Mordshunger«, sagte ich zu Jo.

      Er lächelte. »Kein Wunder. Du hast die ganze Nacht nichts gegessen.«

      Die Stimmung war an diesem Morgen etwas besser, aber so ganz im Lot war sie immer noch nicht. Ich ließ mir das reichhaltige, ausgiebige Frühstück gut schmecken. Auf meine Linie brauchte ich nicht zu achten, die war in Ordnung. Ich hatte damit wirklich noch nie Probleme gehabt, konnte essen, soviel ich wollte, ohne dick zu werden. Wilfred befand sich nicht in dieser beneidenswerten Lage. Er musste sich schon beim Frühstück bremsen und noch mehr beim Lunch und Dinner aufpassen. Er behauptete, er würde sogar durch ein Glas Wasser zunehmen. Das war natürlich Unsinn, aber es stimmte, das er schon Fett ansetzte, wenn er sich einmal erlaubte, genauso viel zu essen wie ich. Onkel Wolfgangs Glatze spiegelte an diesem Morgen, als hätte Max sie mit Bienenwachs gewienert. Er wartete, bis wir alle mit dem Essen fertig waren und dann zündete er sich eine Zigarre an. Es war immer ein feierlicher Akt, bis die Zigarre die richtige Glutkrone hatte. In dieser Zeit durfte niemand Onkel Wolfgang stören. Er war ein bisschen eigen, aber ich mochte ihn trotz seiner Schrulligkeiten. Er und mein Vater waren Brüder und sie sahen einander auch ein bisschen ähnlich. Zum Beispiel hatten beide diese samtbraunen, gutmütigen Augen. Das Haar meines Vaters war zwar schon schütter, aber er war noch weit davon entfernt, mit einer Glatze durchs Leben laufen zu müssen. Ich erkundigte mich nicht wieder nach dem jungen Mann von der Rennbahn. Dennoch war er plötzlich wieder bei uns. Wilfred zog die Augenbrauen grimmig zusammen und sprach als Erster von ihm. »Eine Frechheit sondergleichen ist das«, sagte er. »Wieso kommt er zurück, als wäre überhaupt nichts geschehen? Kann ihn denn niemand daran hindern?«

      Onkel Wolfgang betrachtete seine Zigarre, »Man wird etwas gegen ihn unternehmen,«

      »Hat man denn keine Handhabe gegen ihn?«, wollte Tante Liz wissen.

      »Man wird eine finden müssen«, sagte Jo.

      Ich schaute neugierig in die Runde und hoffte mit meiner Frage endlich den richtigen Moment zu erwischen. »Wer ist dieser junge Mann?«

      Tante Liz lehnte sich zurück, holte tief Luft, blickte mich nicht an, verriet mir aber endlich den Namen. »Pascal. Pascal Moor.«

      Pascal Moor! Jetzt wusste ich, warum er mir nicht völlig fremd war. Ich hatte als Kind oft mit ihm gespielt. Wir waren sogar so etwas wie ein Liebespaar gewesen. Harmlos, unschuldig ... Aber wir hatten uns geschworen, zu heiraten, sobald wir groß waren. ›Da sieht man wieder, was man von solchen Kinderschwüren halten konnte‹, dachte ich. Gestern erkannte ich Pascal nicht einmal wieder. Er schien mich aber wiedererkannt zu haben. Wahrscheinlich hatte ich mich nicht so sehr verändert wie er. Pascal war im Haus der Arends immer gern gesehen gewesen. Wieso fanden sie ihn auf einmal so unausstehlich, dass es fast zwölf Stunden dauerte, bis sie seinen Namen aussprachen?

      »Er hat hier im Ort nicht mehr zu suchen!«, sagte Onkel Wolfgang unerbittlich.

      »Aber er ist doch hier aufgewachsen«, wagte ich einzuwerfen.

      Wilfred sah mich an, als hätte ich ihm den Krieg erklärt. »Du weißt nicht, was geschehen ist.«

      »Du kannst es mir gerne verraten«, erwiderte ich ärgerlich. »Was hat Pascal verbrochen? Welche eine schreckliche Schuld hat er auf sich geladen?« Ich rechnete nicht damit, dass mir Wilfred darauf eine Antwort geben würde, aber er tat es und sie bestand nur aus einem Wort: »Mord!«

      Mir war, als hätte mich mit jemand Eiswasser übergossen. Pascal Moor sollte ein Mörder sein?

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