Ausm leben mittenmang. Beate Morgenstern
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V.
Ich habe in der neuen Arztpraxis meiner alten Dr. Schiffner Platz genommen und richte mich sozusagen häuslich ein.
Ja, Mausi! Mach das Mausi. Ach weißt du, das musst du schon selbst entscheiden. Gut, wie du meinst … Frau Fröhlich hat gerade einen Ansturm von Patienten bewältigt und telefoniert. Die Patienten sitzen hinter Glas im kleinen Warteraum. Ich zähle nicht, wie viele es sind. Eineinhalb Stunden Warten habe ich eingerechnet. Noch habe ich Zeit. Frau Doktor nimmt sich erfreulich viel Zeit, also muss man auch selbst welche mitbringen. An das noble Etablissement mit Tresen für Frau Fröhlich habe ich mich gewöhnt. Frau Doktor Schiffner auch. Früher wohnte sie in ihren Dienstzeiten in der Poliklinik in der Christburger, einem riesigen roten Klinkerbau mit breiten Fluren. Sie war die vorletzte Ärztin, die ihren Platz räumte, unfreiwillig. Die ehemalige Mädchenschule wurde an irgendwen „rückübertragen“ oder lief unter „ungeklärte Eigentumsverhältnisse“. Noch heute ist mir ihre neue Bestimmung nicht bekannt. Vorbei also die zentrale Poliklinik Christburger.
Frau Doktor kam gerade noch im Erdgeschoss schräg gegenüber in ein paar kleinen Räumen unter. Dann musste sie auch dort raus. Und nun wohnt sie piekfein, meine Frau Doktor Schiffner, die überhaupt nicht piekfein ist, eine Doktorn für die Armen, und ein Ohr hat sie für sie. Trotz ihres Alters und der angeschlagenen Hüfte steigt sie vier Treppen zu denen, die mit offenen Beinen liegen und nicht mehr runterkönnen. Und die, die hier sitzen, das sind die, die schon immer hier im Stadtbezirk gewohnt haben. Wir können von unserer Doktorn nicht lassen. Manche sind inzwischen vom Prenzlauer Berg weggezogen wie ich. Und ein paar Junge sieht man auch, mit eben diesen Frisuren und zerrissenen Hosen, wie die Jugend sie heute trägt. Aber im Ganzen: Alles wie immer. Wir lassen das Piekfeine nicht so furchtbar dicht an uns heran.
VI.
Ich sitze in der S-Bahn. Blumenduft umweht meine Nase. Ich sehe aus meinem Buch auf und eine junge Frau mir gegenüber, fast naturblond, sehr hübsch. Einen Biedermeier-Blumenstrauß hält sie, aus dem heraus es duftet. Oder die dunkelroten Nelken sind es, die über ihrer Tasche liegen. Oder der andere Strauß neben ihr duftet. Oder alle zusammen. Aber keine Spur einer Freude in ihrem Gesicht. Gar keine. Zu einem Geburtstag passt ein solch ernster Ausdruck nicht. Es sei denn, man ist dreißig geworden, das wäre ein Grund zum Nachdenken. Doch dreißig ist die junge Frau keinesfalls geworden, sechsundzwanzig, vielleicht auch achtundzwanzig. Oder hat man sie entlassen und die Kollegen gaben ihr zum Abschied teilnahmsvoll Blumen mit. Oder sie kommt von einem Trauerfall, bei dem überflüssige Blumen anfielen. Oder dass Trauernde überhaupt Blumen mitbekommen. Wäre ja sinnvoller, als sie alle auf das Grab zu legen. Doch klar die Augen der jungen, ganz gewiss noch nicht dreißigjährigen jungen Frau, kein bisschen gerötet. Was ist mit ihr.
Neulich habe ich mich entschieden, im Fragen mutiger zu werden. Ich bin eine Frau von bald 54, die kann sich was erlauben. Ich forciere meine altersbedingte Schamlosigkeit. Wenn ich mich auch entschieden habe, mir niemals zuzugestehen, meinen Körper zu entblößen und geradezu triumphierend anderen alten Frauen eventuelle Wunden, Narben aufzuzeigen, was manche aus altersbedingter Schamlosigkeit tun. Ein Glas Wein habe ich getrunken, mit meinem Freund gut gegessen. Als er meinen Mantel in der Garderobe holte, konnte ich dem hübschen Kellner Robert sagen: Seien Sie doch nicht mehr bös. Worauf der wirklich nicht mehr bös war und lachte wieder so charmant wie die Male zuvor, als wir in dem Restaurant speisten. Robert mir also wieder gut, obwohl ich seiner mir unverständlichen Werbung eine Abfuhr erteilte. Aber ein Glas Wein hält nicht ewig. Ich werde die S-Bahn nicht mit ungewissen Fragen verlassen! Ihre Blumen duften so, sage ich. War es ein freudiger Anlass? – Ja, sagt sie, ihre Miene hellt sich nicht auf, nicht der Abglanz einer schönen Feier oder so etwas in ihrem Gesicht. – Aber Sie sind so ernst?, sage ich. – Der Tag war lang, antwortet sie. Ich steige aus, gehe hinaus in die Nacht, hinter mir die junge Frau. Der Tag war lang, denke ich. Aha, sie ist einfach nur müde. Ich denke mir Geschichten aus. Aber das Leben ist manchmal noch verblüffender, wie ich finde. Und dann schreibe ich diese Geschichten einfach nach.
Anlass zur Freude habe ich wie kaum ein anderer Mensch. Fast jede Stunde findet sich etwas. Auf jeden Fall die zweite der fünf Lesebrillen, die ich bei Rossmann für zwei Euro fünfzig gekauft habe. Oder das Ledertäschchen für Kleingeld in meiner Schreibtischlade. (Einer allerdings so spät, dass das darin befindliche Geld noch aus der DDR stammte, also nichts mehr wert war, sondern nur seine Hülle. Aber immerhin!) Selten finde ich in der gleichen Stunde meine dicke silberne Kette. Aber drei Stunden oder einen Tag später an dem Ort, an dem ich sie schon drei Mal suchte. Die Dinge verstecken sich vor mir.
Und manchmal, manchmal taucht etwas schmerzlich Vermisstes, Unersetzbares, für immer verloren Geglaubtes wieder auf. Immer habe ich nicht Glück. Ich habe einen kleinen Kobold, der manche Sachen auffrisst, Aber in der Regel macht mir das Leben immer neue Geschenke.
2002
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