Ausm leben mittenmang. Beate Morgenstern

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Ausm leben mittenmang - Beate Morgenstern

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      Sie fuhren in die Stadt. In der Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses suchte Inga das zusammen, was sie für die Abendmahlzeit und für den nächsten Tag brauchten, stellte sich da und dort am Stand an, kaufte von dem und jenem. Wie eine Zeremonie schien Annette dieses Einkaufen, dieses Aussuchen aus verwirrend großem Angebot. Annette bat, ob sie etwas tragen könne. Das ist gut, dass ich diesmal jemanden dabei hab, sagte Inga.

      Früher haben Wolle und sie zusammen eingekauft, dachte Annette.

      Inga wollte Annette schicken, noch etwas Vergessenes zu holen. Ich bleib lieber beim Wagen, sagte die. Sie wusste, sie würde sich nie zurückfinden. So gingen sie gemeinsam in die Abteilung für alkoholische Getränke. Nach kurzem Ausblicken steuerte Inga auf einen jungen, gut aussehenden Mann zu. Sekt brut führen Sie wohl nicht, sagte sie, offenbar geniert, dass sie etwas so billiges haben wollte. Aber sicher, sagte der junge Mann, brachte ihnen aus einem der Regale die gewünschte Flasche. Zuletzt sah Inga noch in verglasten Kühlfächern nach, fand aber nicht das, was sie suchte. Vielleicht auf dem Markt!, sagte sie.

      Der Einkauf auf dem Markt war Annette schon vorher als das Ereignis des Vormittags angekündigt worden. Annette erinnerte sich, wie sie in Stuttgart mit der Schwester von Tante Ines, über den Markt gegangen war. Zwischen historischer Kulisse agierten die Bauern, Händler. Die Tante nahm sich Zeit, zu wählen und alle angebotene Ware und Preise zu begutachten. Fuhr man zum Einkaufen in die Stadt, was auch nur zwei Stationen mit der Stadtbahn bedeuten konnte, handelte es sich nicht mehr um das Besorgen von Nahrungsmitteln, sondern um mehr. Es war fast ein religiöser Akt. Diesen Eindruck hatte Annette damals gewonnen. Inga schritt die Gänge des Marktes ab. Ein Gedränge, dass sich beide immer wieder vergewissern mussten, ob sie noch beieinander waren.

      Es dauerte, ehe sie frischen Spinat entdeckten. Inga kaufte eine große Menge. Der geht so zusammen, sagte sie. Die Cousinen hatten beide auf dem Weg zum Parkplatz gut zu tragen.

      Zu Hause hielt Annette Mittagsruhe. Inga hatte durchgeschlafen, brauchte am Tag keinen Schlaf. Ich hasse es, wie mein Vater die Hälfte seines Lebens verschläft, sagte sie.

      Inga hatte vor, das Haus zu reinigen. Schon um fit zu bleiben, halte ich mir keine Reinigungskraft mehr, sagte sie.

      Nach dem Tee ging Inga in die Küche, um das Essen für diesen und den anderen Tag vorzubereiten.

      Kann ich dir helfen?, fragte Annette, die nicht noch einmal in die Situation wie am Abend zuvor kommen wollte, in der sie sich mit einem Mal ganz überflüssig gefühlt hatte.

      Gern.

      Dann hantierten die Cousinen in der Küche, wie es im Oktober des vergangenen Jahres noch Inga und Wolle getan hatten. Annette hatte vom Hauptraum durch die Glaswand wie einem Schauspiel zugesehen. Inga hatte ihr damals kaum erklären müssen, wie wichtig ihr dieses gemeinsame Kochen mit Wolle am Wochenende sei, dass es reine Erholung bedeute. Wolle hatte so gut gekocht, dass sich Inga darüber wunderte, wieso ihm im Restaurant überhaupt noch ein Essen schmeckte. Jetzt ging nun Annette Inga zur Hand. Noch einmal kam Inga auf ihren Vorbehalt Annette gegenüber zu sprechen. Du regst in mir den animus an, sagte sie, und nicht die anima.

      Annette verstand nur ungefähr.

      Nach Jung.

      Jung war Annette ein Begriff.

      Der animus der männliche, aktive, durchsetzende Teil in dir, die anima der weibliche Teil, sagte Inga.

      Annette verstand, Inga fühlte sich von ihr angegriffen. Früher mochte der Altersunterschied von zwei Jahren eine Rolle gespielt haben. Wodurch sie sich jetzt herausgefordert fühlte, konnte Annette nur vermuten. Vielleicht, weil sie sich Tag um Tag mit Literatur beschäftigte. Möglicherweise glaubte Inga, Annette lebe in einer Welt des Geistes, abgehoben von der, in der Leistung nach dem beurteilt wurde, was man an Geld verdiente. Warum kommt sie gerade jetzt damit? dachte Annette, sagte sich dann, dass Inga vielleicht den Augenblick, in dem sie sich nicht angegriffen fühlte, als gerade günstig ansah, um über ihre Schwierigkeiten mit Annette zu sprechen. Jetzt, als sie es nebenbei sagte und es nicht wie am Vortag als Unternehmen anging, fand Annette es gut und normal, dass Inga über ihre Animosität sprach. In ihren Familien war es üblich, sich offen die Meinung zu sagen, nicht um zu verletzen, sondern um Aggressionen abzubauen.

      Annette sortierte Erdbeeren aus, schnitt schlechte Stellen weg, befreite Spinat von harmlosem Unkraut, schnitt zu starke Stängel ab.

      Inga kochte. Italienische Nudeln, Reis, schlug Mayonnaise, bereitete eine Sauce Hollandaise. Wir essen ein Menü, sagte sie, und es war ihr anzumerken, sie war stolz darauf.

      Annette dachte an Ingas Eltern. Höhepunkt des Besuchs war ein Diner, eine fortlaufende Folge von Speisen und Weinen, die man im Laufe eines langen Abends einnahm, verschiedene Bestecks und Gläser standen bereit. Nur besonderen Gästen wurde diese Ehre zuteil. Nach dem Rang, dem Inga dem Menü gab, war es dem Diner ebenbürtig. Eine Vorspeise, ein Hauptgericht, eine Nachspeise, alles aufeinander abgestimmt.

      Ich treibe genau den Aufwand wie zu Wolles Zeiten, sagte Inga. Ich koche für mich allein, wie wir es vorher zusammen getan haben. Ich will mich auf keinen Fall vernachlässigen. Ich will mir allein genauso viel wert sein. Jeden Abend mache ich mir meine Salate, Gemüse.

      Ganz im Gegensatz zu mir, dachte Annette. Ich mache mir keine Mühe mit mir. Sie bewunderte die Cousine.

      Ich lasse mich nicht hängen, sagte Inga. Aber glaube nicht, dass ich deshalb weniger leide. Er ruft jeden Abend an. Ich nehme nicht mehr ab, weil ich genau weiß, er ist es. Aber ich will keine der guten Traditionen, die wir in unserer Ehe gemeinsam erarbeitet haben, fallen lassen. Und dazu gehört das gute Essen. Du weißt ja, welch guter Koch Wolle ist. Das ist das Positive daran, dass er genießen kann. Er isst gern, kocht ausgezeichnet und ist auch im Geld großzügig, wie du das bei anderen Männern kaum findest. Vielleicht laden Wolle und ich uns später gegenseitig zu Menüs ein, wenn wir genügend Abstand voneinander haben. Damit diese Tradition bleibt.

      Sie hält sich großartig, dachte Annette. Die Cousine war immer diszipliniert gewesen, hatte auf wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber Wolle geachtet. Aber im Falle einer Trennung bedeutete die Unabhängigkeit gar nichts. Seit der Schulzeit waren die beiden zusammen gewesen. Eine so frühe Bindung ließ sich schwer lösen. Unwillkürlich verglich Annette die Cousine mit ihrer beider Großmutter. Die hatte der frühe Tod ihres Mannes, der Verlust ihrer beiden ältesten und am meisten geliebten Söhne nicht aus der Bahn zu werfen vermocht. Sie hatte noch viele Jahrzehnte so gelebt, wie sie es für richtig erachtete, zwar der Familie zugewandt, doch auch unabhängig.

      Inga schaltete die Uhr ein, gab die ersten zwei Stücke Lachs auf den Grill. Fünf Minuten später hob sie den Lachs von der Platte, bat Annette, ihr beim Wenden zu helfen. Diese letzte gemeinsame Tätigkeit der Mahlzeit geriet zu einem feierlichen Akt. Noch einmal dachte Annette an Wolle und wie Inga ihren Mann in entscheidenden Augenblicken der Zubereitung geholfen hatte.

      Als Vorspeise gab es Mozzarella, den Annette nun schon kannte. Gegenüber dem Schopska-Salat, Tomate und Gurke, geriebener Schafskäse darüber - eine aus dem bulgarischen Bruderland übernommene Spezialität - war Annette der Mozzarella bisher fad vorgekommen. Nun aber schmeckte er ihr. Inga erklärte, das große grüne Blatt, das auf dem Käse liege, sei frisches Basilikum, wovon sie auch auf ihrem Kräuterbeet habe, allerdings nicht so groß gewachsen. Annette solle immer darauf achten, etwas vom Basilikum mit im Mund zu haben. Auch Basilikum kannte Annette, doch nur als Pulver in der Küche ihrer Mutter. Und dann nehme ich kalt gepresstes Olivenöl und Balsamico, einen italienischen Essig, sagte Inga. Basilikum ist wichtig. Dann brauchst du nicht zu salzen.

      Annette versuchte, sich alles zu merken.

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