Ausm leben mittenmang. Beate Morgenstern

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Ausm leben mittenmang - Beate Morgenstern

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ich Besuch wie die anderen Kinder. Annette erinnerte an die vier Wochen, die sie zu Tante Ines Entlastung zu Ingas Familie geschickt worden war. Wir sind zusammen in den Kindergarten gegangen, sagte sie. Wir mussten mittags die Köpfe auf die Schulbänke legen und so tun als ob wir schlafen. Eine Tante ging mit einer Rute herum.

      Das weiß ich nicht mehr, sagte Inga. Sie hatten sich alle Geschichten schon erzählt. Aber manches hatte die Cousine vergessen, und wenn nicht, hörte sie die offenbar trotzdem gern.

      Und bei dir zu Hause gab es Limonade. Deine Großeltern, Onkel Rudi, deine Mutter arbeiteten auf dem Feld. Wenn man trinken wollte, gab es Limonade.

      Ach ja. Inga lächelte. Die Limonade! Wenn wir später zu Besuch bei Oma Nägele waren, hat immer ein Kasten Limonade für uns Kinder dagestanden. Wir tranken sie so gern.

      Ich hab Limonade nicht gemocht, dachte Annette. Dass wir Kinder keine Rolle spielten, sah ich daran, dass jeder aß, wann er wollte, und man Limonade aus dem Kasten trank. Selbst wenn zwei dasselbe erleben, erleben sie es anders.

      Inga hatte den Platz im Schatten der Mauer gut gewählt. Die Luft war feucht und inzwischen sehr warm, in der Sonne sicher kaum noch erträglich. Die Menschen nutzten den ersten Sommertag seit langem und den freien Sonnabendvormittag, indem sie sich heftig durch die Stadt und diese Gasse mit ihren Lädchen und Cafés bewegten.

      Annette nahm den Gesprächsfaden wieder auf, berichtete davon, wie die Mutter nichts mehr habe mit ihr anfangen können, als sie ihre Tochter endlich zurück in den Osten geholt hatte, damit sie dort zur Schule ginge. Die Mutter hatte davon gesprochen, wie sie ein ganz anderes, fremdes Kind vorgefunden habe. Gewachsen war Annette natürlich, sei der Mutter aber leicht verwahrlost vorgekommen. Geschwäbelt habe sie, und selbstverständlich konnte von den tadellosen Tischmanieren nicht mehr die Rede sein, die sie vorher gehabt hätte. Es hat sich dann auch keine Beziehung mehr aufgebaut, sagte Annette. Es waren ja jüngere Kinder da, um die sie sich ihrer Meinung nach mehr kümmern musste. Und sie hat mir mit allen Mitteln einen gewissen Eigensinn austreiben wollen, der ihr weder verständlich noch wünschenswert erschien. Meine Eltern hatten ja die Vorstellung, ein Kind müsse aufs Wort gehorchen.

      Das kam von Omi, sagte Inga. Mein Vater erzählt fürchterliche Dinge über ihre Konsequenz. Als Gymnasiast habe er zum Beispiel wegen einer Kleinigkeit einen ganzen Sommer Badeverbot bekommen.

      Bis dahin hab ich meine Mutter angebetet. Aber als sie nur noch an mir auszusetzen hatte, ich ständig verfügungsbereit sein musste, änderte sich das. Ich hatte wahrhaftig genügend Pflichten, aber nie gab es für sie ein Genug. Ich bekam Angst vor ihr, ihren Launen. Nie wusste man, wie sie gerade aufgelegt war. Ich brauche Berechenbarkeit. Männer sind berechenbar. In der Regel. Annette war an dem Punkt angelangt, auf den sie hinaus gewollt hatte.

      Natürlich war sie mit den vielen Kindern überfordert, versuchte sie zu entschuldigen. Aber sie hat sie ja gewollt. Nicht mein Vater. Sie! Allerdings kann ich mir eine Kindheit ohne meine Geschwister nicht vorstellen. Ich lebte gern in einer großen Familie und sehne mich im Grunde noch heute danach.

      Deine Mutter! Inga schüttelte den Kopf. Sie musste immer geschont werden. Als sie Omi vierzehn Tage pflegen sollte, hat sie es glatt abgelehnt, sie fühle sich dazu nicht imstande. Aber warum bist du zu Tante Ines gekommen?

      Annette erklärte, dass sich der Vater in einer Ausbildung befunden hätte. Die Mutter hatte arbeiten gehen müssen. Omi hatte für uns drei Mädchen zu sorgen, sagte sie. Omi und meine Mutter sollten entlastet werden. Die Idee stammte übrigens von deinem Vater. Der hat allerdings nur an einen kurzen Aufenthalt bei Tante Ines gedacht und sich gewundert, wie viel Monate daraus wurden. Aber wer dem Teufel den kleinen Finger gibt, dem nimmt er die ganze Hand. Sie lachte. So war meine Mutter. Ich habe auch immer gedacht, meine Mutter würde mich gleich wieder abholen. Schließlich fing das mit meinen Bauschmerzen an. Die ganze Kindheit über hatte ich Bauchschmerzen.

      Es war wohl in unserer Familie üblich, dass man Kinder weggab, sagte Inga nachdenklich, erzählte von ihrem Vater, der sich gerade in letzter Zeit wieder beklagte, dass seine Mutter - Annettes und Ingas Großmutter - ihn lange Zeit bei ihrer Schwägerin untergebracht hätte, wo er zwischen Cousinen - eine davon Tante Ines - aufwuchs in dem Haus, in dem nachher Annette mit fünf, sechs Jahren gelebt hatte. Er kann es Omi nicht verzeihen, sagte Inga. Er ist über siebzig und kann es ihr nicht verzeihen. Das ist schon komisch, oder vielmehr albern. Aber irgendwie auch bemerkenswert, findest du nicht?

      Annette nickte.

      Übrigens sind deine Mutter und mein Vater sich nicht nur äußerlich ähnlich. Sie sind beide Egozentriker. Aber weißt du, was mich bei meinem Vater in den letzten Jahren am meisten aufregt? Er hat immer recht. Selbst bei Dingen, wovon ich wirklich mehr verstehe.

      Annette war Ingas Klage bekannt. Sie dagegen belustigten eher die kleinen Streitereien zwischen ihren Eltern, die daher kamen, dass ihre Mutter darauf beharrte, recht zu haben.

      Doch jetzt hat sich unsere Beziehung sehr zum Positiven verändert, sagte Inga. Als sie hörten, dass ich mich von Wolle trenne, haben sich meine Mutter, aber auch mein Vater sehr gut verhalten. Letztens habe ich meinem Vater übrigens mit einer Bemerkung eine große Freude gemacht. Ich hab gesagt: Ihr führt ein offenes Haus. Es war immer meines Vaters Wunsch gewesen, ein offenes Haus zu führen. Er hat selbst gar nicht so wahrgenommen, dass es ihm auch gelungen ist.

      Ich habe heute auch ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, sagte Annette. Besonders zu meiner Mutter. Ich denke, man muss die Menschen nehmen, wie sie sind.

      Wenn du alles tolerierst, nimmst du sie nicht mehr ernst, widersprach Inga.

      Warum streiten, wenn du siehst, du kannst nichts mehr ändern?

      Genau das meine ich doch. Du nimmst die Menschen als Partner nicht mehr ernst, wenn du ihnen alles durchgehen lässt.

      Ich nehme sie an, dachte Annette, sagte es nicht. Hatte Inga eine Meinung, war sie schwer davon abzubringen. So tat Annette genau das, was die Cousine schon so oft an ihr kritisiert hatte.

      Du gehst so auf mich zu, sagte Inga. Du bist so offen zu mir. Deswegen habe ich mir fest vorgenommen, ich spreche dieses Mal an, was mich an dir stört.

      Annette stieg Röte ins Gesicht. Eine Unterhaltung sollte sich in ungefährem Rahmen bewegen und nicht direkt auf sie zu. Wenn tatsächlich etwas zu sagen war, tat man das leichthin und nebenbei. Welchen Anlass hatte sie Inga gegeben, dass sie eine Aussprache für notwendig befand?

      Wie ich zu dir bin, bin ich nämlich eigentlich nicht, sagte Inga. Hinterher ärgere ich mich, dass ich so gereizt war. Wollen wir wirklich eine tiefere Beziehung, muss das mal zur Sprache kommen.

      Ich kenne dich so lange. Annette machte den Versuch zu begütigen. Weißt du noch, wie ich dich zwei Tage mit zum Unterricht auf die Oberschule genommen haben? In Halle in die Franckeschen Stiftungen? Ich hab den Lehrern gesagt, du interessierst dich, wie das bei uns in der DDR ist. Keiner nahm Anstoß. Das Fach Kunsterziehung hat dir sehr gefallen. Ihr hattet dieses Fach wohl nicht.

      Natürlich erinnere ich mich. Und wie mich deine zweite Schwester bei unserer Omi verpetzt hat. Das war ganz übel. Ich hätte mich unmöglich benommen, hat deine Schwester geschrieben. Und meine Mutter hat's gelesen. Sie las alle Briefe an Omi. Es gab einen Riesenkrach zu Hause. Auch diese Erzählung Inga war nicht neu, ebenso wie Ingas Verärgerung über den missglückten Besuch im Osten, obwohl Annette alles getan hatte, um der zwei Jahre jüngeren Cousine zu gefallen, sie auch heftig bewundert hatte wegen ihres selbst gestrickten roten Pullovers, ihrer selbst geschneiderten weißen Bluse mit Rüschen. Inga hatte so großes Geschick.

      Wir mussten helfen, dachte

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