Ausm leben mittenmang. Beate Morgenstern

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Ausm leben mittenmang - Beate Morgenstern

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über das Geheimnis ihrer Freundin zu erfahren. Sie hat es provoziert, dachte Annette. Sie will nicht nur wissen, wie Gernot auf mich, sie will auch wissen, wie ich auf Gernot reagiere. Doch sie wird nichts über mich erfahren. Und auch Gernot nicht.

      Der verbeugte sich formvollendet vor Silvie. Sie tanzen sehr gut. Sehr anschmiegsam.

      Annette weigerte sich, als er sie aufforderte. Gleich Jana, sagte sie. Aber nicht nur Gernot, sondern auch Silvie und Jana bestanden darauf, dass Annette das von den Freundinnen gegebene Versprechen einlöste. Ehe es dumm und peinlich wurde, stand Annette auf. Mir wird schon was einfallen, dachte sie.

      Gernot bekam Annette gerade bei den Händen zu fassen, bei den schnellen Titeln und auch bei den langsamen auch. Gernot und Annette gerieten außer Atem.

      Sehr temperamentvoll, sagte Gernot.

      Annette lachte und genierte sich. Sie hatte wider Willen doch eine Vorstellung für die Freundinnen abgegeben und Gernot einen Eindruck von sich. Aber temperamentvoll war sie nicht gewesen, da irrte Gernot, eher kühl. Sie hatte Gernot nicht einmal angesehen.

      Wie vorher Jana und Silvie, so schauten jetzt Silvie und Annette Jana und Gernot beim Tanzen zu. Vielleicht ist er ein ganz klein wenig größer, dachte Jana. Sicher wollte Jana ein Urteil darüber. Sie würde sich über die Mitteilung freuen. Frauen wollten, dass Männer größer als sie waren. Jana und Gernot tanzten langsame Titel, wie sich das für ein Liebespaar gehörte. Aber dann blieb Jana stehen und schimpfte. So doch nicht, sagte sie. Hörst du denn nicht. Zu ihrer musikalischen Veranlagung hatte sie sicher auch eine für Rhythmus, obwohl Jana nicht bemerkt hatte, dass Gernot aus dem Takt gekommen war. Immer wieder unterbrach Jana den Tanz und herrschte Gernot an.

      Sie bleibt sich gleich, dachte Annette.

      Schließlich beendete Jana den Tanz. Gernot setzte sich zu Silvie und Annette an den Tisch, als wäre nichts gewesen. Wieder beachtete er Jana kaum, unterhielt sich mit Annette. Silvie hatte gänzlich aufgehört, für ihn zu existieren, und sie litt. Aber Annette wusste dies nicht zu ändern. Warum hatten Jana und Silvie eingewilligt, mit ihm zu tanzen. Das hatte ihm die Oberhand gegeben. Es nutzte offenbar auch nichts, dass Jana ihn während des Tanzens zurechtgewiesen hatte. Weiberart, dachte er wohl. Lass sie doch. Schließlich wollte nicht nur er etwas von Jana, sondern Jana, das hatte sie ihm zu verstehen gegeben, wollte etwas von ihm.

      Singen wir, sagte Gernot.

      Das wird was werden, dachte Annette.

      Ich bin ganz unmusikalisch, entschuldigte sich Silvie. Sie winkte mit einer kleinen Geste ab, und es fehlte nicht viel, da hätte sie zu heulen begonnen.

      Ohja, singen wir, sagte Annette zu Jana. Sie war wohl etwas beschwipst.

      Und was, bitte schön?

      Im schönsten Wiesengrunde.

      Annette und Gernot sangen. Ist das idiotisch, dachte Annette. Ich fasse es nicht. Erst prügele ich mich beinahe mit ihm, und jetzt, wo er sentimental wird, mache ich auch noch mit. Was ist bloß in mich gefahren.

      Annette übertrieb, karikierte, denn sie wollte sich nicht anmerken lassen, dass sie gern sang und Volkslieder mochte. Vielleicht sangen Jana und Silvie auch eine Strophe mit, ehe sie vor Gernots Sangeslust kapitulierten. Was Gernots und Annettes Gesang erst möglich machte: Gernot sang begeistert daneben. Annette suchte ihn, auf dem rechten Pfad zu halten. Jana, die sonst keinen falschen Ton ertrug und auch Annette für unmusikalisch erklärt hatte, weil sie einmal zu einer Melodie versucht hatte, einen falschen Text zu singen, saß still da. Ihr silbern anmutender Pullover schimmerte im Kerzenlicht, auch in ihren Augen ein leichter Glanz. Und ihr Gesicht war jung wie immer, nicht das einer Vierunddreißigjährigen. In ihrem Gesicht zeigten die Jahre einfach keine Spuren.

      Manchmal schlug Gernot ein Lied vor, manchmal Annette. Aber nun kamen beide nicht mehr über die erste Strophe hinaus. Warum könnt ihr keine Lieder?, war sie im Ausland gefragt worden. Es war ganz einfach: Man schämte sich der deutschen Volkslieder, weil sie sich in ihren Ohren zu Marschliedern verwandelten. Obwohl sie erst nach dem Krieg geboren wurden, hatten sie durch Filme einen Eindruck, der ihnen das Singen dieser Lieder verleidet. Ihre Grundschullehrerin allerdings hatte keine Bedenken gekannt und mit ihnen in den ersten vier Klassen viel gesungen.

      Ännchen von Tharau, sagte Gernot.

      Ännchen von Tharau, ein Lieblingslied, sagte Annette. Sie verstellte sich nicht mehr. Sie sang, es war ihr gleichgültig, dass Jana und Silvie zuhörten. Doch sie kannten nicht einmal die erste Strophe richtig und suchten verzweifelt nach dem Text. Und weil sie sich von dem Lied nicht trennen konnten, sangen sie die erste Strophe dann gleich dreimal hintereinander.

      Warum singst du nicht?, fragte Gernot Jana.

      Ich singe eben nicht, sagte Jana ungerührt.

      So ist Jana, sagte Gernot. Sie hat kein Gefühl, sie ist kein bisschen romantisch.

      Stimmt, sagte Annette.

      Es war das erste Mal, dass sie sich genau verstanden. Jana hatte ihr von Gernots Vorwürfen erzählt, sie erkalte schnell, war schroff und verletzte. Annette hatte lachen müssen, so recht hatte Gernot. Nicht ganz recht natürlich. Das war, was zunächst an ihr auffiel. Herz und Gemüt hatte Jana auch, und manchmal konnte man es merken.

      Gernot nötigte Annette noch ein Lied auf und noch eines und noch eines. Darüber wurden Jana und Silvie schwermütig. Die Stube verraucht. Schon lange ging Gernot nicht mehr in die Küche.

      Genug, genug, sagte Jana.

      Noch eins, bat Gernot. Noch ein einziges. Der Mond ist aufgegangen.

      Das eine noch, sagte Annette. Und dieses eine Mal kannte sie den Text.

      Dreißig oder fünfzig Jahre haben wir noch, um uns zu entscheiden, sagen die Wissenschaftler, teilte Annette Gernot mit. Einzelinteressen dürfen nicht mehr gelten. Es geht um die Gattung.

      Ja, ich habe davon gehört. Gernot nickte bedächtig.

      In welcher Zeit wir leben!

      Musst du jetzt so was sagen! An diesem Abend? Jana war ungehalten.

      Endzeit hat man das in der Bibel genannt.

      Oder totaler Neubeginn.

      Redet nicht von so was, sagte Jana wieder.

      Es ist herrlich, bei euch zu sitzen, sagte Gernot. Auf diesem Stuhl. Ich werde es nicht vergessen.

      Die Stühle sind schön, nicht wahr, sagte Annette. Die lederbezogenen mit dicken Ziernägeln versehenen Stühle, die Jana mit dem runden Tisch einer alten Frau billig abgekauft hatte. lobte Annette oft. Schätze sie, sagte sie zu Jana. Und die sagte: Ja, ich schätze sie. Und wenn ich einmal sterbe, vermache ich sie dir. Aber davon wollte Annette nichts wissen.

      Jana wird diesen Mann bekommen, dachte Annette. Und mit ihrem leicht alkoholisch vernebelten Gehirn begriff Annette Gernot mit einem Mal. Seine Verwunderung, seine Angst. Und seine Sehnsucht, mit Jana noch einmal eine Liebe zu erleben. Seine Sehnsucht wäre vielleicht stärker als seine Angst, seine Familie zu verlieren. Er war in dem Alter, wo Männer noch einmal einen Neuanfang wagten. Aber seine Kraft lag auch in seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst. Er rauchte, trank und arbeitete bis tief in die Nacht. Ein Mensch ohne Zukunft, dachte Annette. Ein Mensch, der sich zugrunde richtet. Ich würde so einen Mann nicht haben wollen.

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