Ausm leben mittenmang. Beate Morgenstern
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Sie hatte Gernot immer wieder gedrängt, von sich zu erzählen. Es war Interesse, aber auch Taktik gewesen, Teil der offensiven Verteidigung. Als sie ihn jetzt dazu bat, war er bereit.
Ja, er hatte mit dreizehn Jahren Gedichte geschrieben. Ja, er stammte aus dem Norden. War mitten im Krieg in Stettin geboren, woran er natürlich keine Erinnerung mehr hatte. Nach der achten Klasse ging er wegen seiner jüngeren Brüder in die Fabrik. Dann Qualifizierungen. Fachschulstudium. Hochschulstudium. Hatte Leistungssport getrieben. Nun war er hier.
Lesen Sie?
Wenig.
Schreiben Sie noch?
Lass das, verhöre ihn nicht, sagte Jana.
Silvie hing auf ihrem Stuhl. Annette nickte ihr zu. Zeit zu gehen, sagte sie.
Ja. antwortete Silvie müde.
Gernot bestand darauf, Janas Freundinnen zur Tür zu begleiten. Er schwankte nicht. Und noch immer gab es für seinen schwer angetrunkenen Zustand kein Zeichen. Seine dichten, eher blondrötlich gelockten Haare an der Stirn etwas verklebt. Und er fuhr sich ständig durch den Backenbart. Jetzt sah sie auch, die Nase hatte eine kleine Delle. Hatte er geboxt?
Herzlichen Dank, sagte Jana und schaute auf Gernot, damit die Freundinnen mitbekamen, wofür sie sich bedankte.
Auf Wiedersehen, sagte Gernot und hing auf einmal an Annettes Hals und konnte sich nicht trennen.
Die drei Frauen lachten. Wieder wunderte sich Annette, wie geduldig Jana diese Entgleisung hinnahm. Sie war vielleicht noch ein ganz anderer Mensch als der, den sie kannte.
Bis zur S-Bahn hatten Silvie und Annette einen gemeinsamen Weg. Sicher wird er nun dableiben, sagte Silvie.
Ja. An morgen möchte ich lieber nicht denken.
Nee. Sie wussten beide, was sie meinten. Wenn man morgens mit schwerem Kopf und einem fremden Mann neben sich im Bett aufwachte. Man kann nur hoffen, dass sie´s gut übersteht.
Ja, kann man nur hoffen, sagte Annette.
Sie sagten nichts über Gernots Frau, die diese Nacht umsonst warten würde. Aber vielleicht blieb er bei gelegentlichen Sauftouren auch irgendwo lange hängen und die Frau war das gewöhnt. Sie sagten auch nichts über Helmut, mit dem Silvie früher gegangen war. Das belastete die Beziehung immer noch. Obwohl Silvie ja froh sein konnte, dass sie nicht mehr in einer Beziehung mit einem verheirateten Mann steckte.
Vor dem alten S-Bahngebäude verabschiedeten sie sich.
Ja dann, sagte Silvie und hatte wieder ihr kleines unsicheres Lächeln, mit dem sie stets „Ich weiß ja auch nicht!“ zu sagen schien. Auch sie hielt den Arm fest am Körper und streckte nur die Hand aus.
Bis nächstes Jahr!, sagte Annette und lachte. Diesmal war´s eben … anders.
Kann man wohl sagen! Auch Silvie lachte, aber es klang bekümmert.
Annette ging über die Straße und dann eine Straße längs zur Allee hinauf. Sie hatte es nicht weit zur Wohnung einer Freundin. Ich habe Jana nichts vorzuwerfen, sagte sie sich immer wieder und versuchte, sich dies einzuprägen. Sie dachte daran, dass sie alle drei ausgekostet hatten, wie es war, allein zu leben. Und wie sie bereit waren, einen hohen Preis dafür zu bezahlen, nicht mehr ganz allein zu sein. Silvie war in ihrer Ehe nun augenscheinlich zufrieden und wunderte sich immer wieder über ihren kleinen Sohn. Jana nahm es hin, dass Gernot zu viel getrunken hatte. Und Annette? Manchmal sagte Jana zu ihr: So wie du zu leben, das hielte ich nie aus. Immer auf Ihn zu warten, nie was im Voraus zu wissen …
Am Montag rief Jana an. Sie war ausgelassen, glücklich. Ich hab von Silvie gehört, ihr habt euch Sorgen gemacht. Wieso bloß?
Ach. Manchmal mache ich mir eben Sorgen.
Anette traf Silvie nie wieder. Vorbei waren die alljährlichen Treffen zu dritt.
Jana hatte den Mann fürs Leben gefunden. Fortan musste sie nicht mehr auf Jana wie auf eine Schwester achten.
1986
Eine Telefonzelle.
Eine Telefonzelle. Die junge Frau sieht von weitem, da drinnen redet jemand. Und es steht noch eine Frau davor.
Die junge Frau stellt sich hinter die andere, die sehr groß ist mit einem gewaltigen Rücken, die blondierten Haare zu einem Schwänzchen gebunden, der dunkle Mantel eng, etwas zu eng, auch zu kurz, das sieht sie nun. Es bliebt viel festes Fleisch zwischen Mantel und Stiefel.
Kalt ist es. Der Atemhauch bleibt stehen. Und der Himmel ist, wie die junge Frau ihn am Sonnabendabend braucht, wenn die Menschen sich von der Straße in ihre Wohnungen zurückziehen und sie draußen allein rumläuft und auf niemanden trifft: rauchblau. So ein Himmel kann trösten.
Die junge Frau sieht in die Telefonzelle, die vor ihr auch. Sie sieht: Drinnen wird gestikuliert. Das Gespräch ist keines, das man jederzeit beenden kann. Die junge Frau hat Erfahrungen mit Telefonzellen-Gesprächen.
Die junge Frau denkt: Die Frau vor mir soll nicht ungeduldig werden. Meinetwegen nicht. Nicht, weil wir jetzt zwei sind gegen eine. Ich habe Zeit. Die Frau vor mir soll nicht denken, ich habe es eilig. Ich habe es kein bisschen eilig. Ich bin froh, wenn ich ein bisschen Gesellschaft habe. Und die da drin hat ein dringendes Gespräch, das sieht man doch.
Die Frau vor ihr wird nicht ungeduldig. Steht einfach da, groß, dick, beeindruckend. Aber die junge Frau kennt ihr Gesicht nicht.
Dann dreht die Frau vor ihr sich um. Sie sieht freundlich aus, derb, kräftige Backenknochen, kurze Nase. Aber vormachen lässt die sich nichts, denkt die junge Frau. Das dauert, sagt die andere und lächelt breit.
Das Lächeln trifft die junge Frau, die auch nicht mehr so jung ist, Anfang Dreißig. Fünfzehn Jahre hat sie in der Stadt gelebt. Und vor einiger Zeit begann sie, Geschichten zu schreiben. Die wurden auch gedruckt. Man sagte, es seien Stadtgeschichten. Das erstaunte sie, denn sie war auf einem Dorf aufgewachsen und fand sich in der Stadt nicht zurecht, auf dem Dorf auch nicht mehr. Und wie die Frau, die große mit dem lächerlichen Haarschwänzchen, ihr zulächelt, da denkt sie: Das ist doch meine Erna aus dem Gemüseladen. Obwohl es nicht Erna aus dem Gemüseladen ist, die auch nur in ihrer Geschichte Erna heißt. Aber sie könnte es sein. Und da merkt sie auf einmal: Sie wird als eine von hier gehalten. Und vielleicht ist sie auch eine von hier.
1979
Großer Aquamarin
Sie kam mit dem Zug aus Berlin eine halbe Stunde früher an als die Cousine, die eine Regionalbahn zu ihrem Arbeitsort außerhalb von Münster benutzte. Es war wohl eine ganz Strecke, sodass die ihr Auto lieber auf dem kleinen bewachten Parkplatz hinter dem Bahnhof stehen ließ und die Bahn nahm. Wie manch andere Münsteraner auch. Während der Zugfahrt konnte sich die Cousine vielleicht noch ein wenig ausruhen vor ihrem anstrengenden Arbeitstag. Als Treffpunkt ausgemacht war der Parkplatz. Aber sie würde die Cousine wie letztens direkt im Bahnhof abholen, als sei nicht sie der Gast, sondern eine