Eine Entengeschichte. Jean-Louis Glineur
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Auch die Schwäne und die Gänse sind ganz begeistert. Kleine Vögel springen auch zufrieden zwischen uns großen Vögeln herum und picken die ganz kleinen Krümel auf. Das ist gute Nachbarschaft, und abends, wenn die Menschen heimgehen, ist alles Brot vom Boden verschwunden. Auch im Wasser schwimmt kein einziger Krümel mehr. Wir sind gründlich, die großen und die kleinen Vögel, fressen alles auf und hoffen, daß morgen wieder Menschen kommen, die uns mit allerlei leckeren Sachen besuchen.
Wir Enten mögen aber auch die Delikatessen, die der See uns bietet. Hungrig sind wir immer und fressen dann gerne auch kleine Fische, Würmer, leckere Pflanzen und Wurzeln. Auch kleine Frösche sind nicht zu verachten, aber die sind so schlau und vorsichtig, daß sie ganz schnell ins Wasser springen, wenn sie eine Ente sehen.
Von den Menschen aber sind uns die am liebsten, die keine Jäger sind und nicht auf uns schießen und viel lieber am Feierabend oder am Wochenende ihre Brottüte auspacken und uns füttern. Neben Brot bringen sie uns manchmal auch den Rand einer Pizza, Zwieback oder Butterkekse mit. Einmal sogar kam einer, der uns kalte Spaghetti mitbrachte. Das war wie Weihnachten! Ein ganz schlauer Mensch! Damit wir Enten, und auch die Schwäne und die Gänse, nicht an den langen Spaghetti verschlucken, hatte er sie ganz klein zerschnitten. Hoffentlich kommt er bald wieder...
Vor so lieben Menschen habe ich überhaupt keine Angst. Ich erkenne den einen oder den anderen auch wieder, weil er uns Enten regelmäßig besucht. Wenn wir uns schon oft gesehen haben, laufe ich dann auch fröhlich auf ihn zu und Fridolin folgt mir dann mit ein wenig Abstand. Unsere Entenmänner sind immer etwas vorsichtiger. Wir, die Enten, Schwäne, Gänse und die Vögel streiten ganz selten, weil genug Leckereien für alle da sind. Aber ganz eigensinnig sind manchmal die Schwäne. Gerade am frühen Morgen sind wir Vögel besonders hungrig und haben alle Appetit auf die Leckerbissen, mit denen uns die Menschen bald besuchen werden. Die Schwäne springen dann aus dem Wasser und stellen sich majestätisch und in voller Größe vor unsere zweibeinigen Besucher. Die Geste der Schwäne heißt dann „füttere mich zuerst und später die Enten“. Weil die Schwäne so groß sind, streiten wir nicht gerne mit ihnen, aber unsere Entenbabys laufen sehr flink um sie herum und sehen zu, daß sie auch einige Leckerbissen erwischen.
Liegt da ein Brotkrümel, den ein Küken erblickt hat, schnappt der Schwan nach dem kleinen Entchen. Aber er beißt nicht richtig zu. Unsere kleinen Enten lernen auf diese Weise, daß es nicht nur nach ihrer Nase, pardon, nicht nur nach ihrem Schnabel geht. Eine ausgewachsene Entenmutter ist zwar auch viel kleiner als der Schwan, aber wenn sie ihn mit „quak quak“ böse beschimpft, läßt er den kleinen Entchen auch ein paar Brotkrümel übrig. Es gibt keine bösen Schwäne, aber unsere Küken lernen, daß sie nicht unvorsichtig durchs Leben laufen dürfen. Fridolin weicht zwar fast nie von meiner Seite, aber wenn Polly auftaucht und munter auf mich zuschwimmt, lasse ich meinen Erpel manchmal alleine und geselle mich zu ihr.
Polly und ich wurden Freundinnen, als wir noch ganz klein waren. Unsere Mütter hatten ihre Nester an einem ganz ruhigen Ufer mit viel Unterholz gebaut. Wir erblickten unsere Mütter nach einem anstrengenden Kampf gegen die Eierschalen, als wir groß genug waren, um ans Tageslicht zu schlüpfen. Pollys Eltern und meine, die erfreut über unsere Geburt waren und begeistert noch viele andere kleine Enten zur Welt brachten, waren also Nachbarn! Als Polly, unsere Geschwister und ich diese ungemütlichen Eierschalen verließen, zog es uns sofort ins Wasser, wo eine richtige Ente auch hingehört. Die Menschen nennen uns daher auch Nestflüchter, weil wir sofort schwimmen können, nachdem wir aus unseren Eiern geschlüpft sind. Unsere Eltern brauchen uns nicht zu füttern, weil wir sofort hungrig ins Wasser springen. Aber solange wir noch klein sind, paßt unsere Mutter auf uns auf.
Wir Freundinnen schwammen schon als Entenkinder gemeinsam mit unseren Eltern und Geschwistern in den Gewässern auf und ab. Wir wuchsen zusammen auf, und als wir groß genug waren, verließen wir unsere Eltern, um selbst eine Familie mit einem netten Erpel zu gründen. Polly sieht anders aus als die meisten von uns Weibchen. Wir Entendamen haben meist ein braunes Gefieder und einen braunen Schnabel. Pollys Schnabel aber ist gelb ... wie der Schnabel eines Erpel. Aber sie ist eine besondere Schönheit, denn Polly hat einen modischen und wunderschönen weißen Kragen. Die Männer sind richtig begeistert von ihr, weil sie so schön ist. Verliebt hat sich Polly in einen Entenmann namens Friedbert.
Pollys Küken sind bereits geschlüpft. Es sind ihre ersten Kinder, und den ganzen langen Tag, aber auch nachts, ist sie damit beschäftigt, die kleinen Racker im Auge zu behalten. Seit ihre Kleinen da sind, hat Polly keine Zeit mehr, um mit mir gutgelaunt auf dem See zu schwimmen. Aber wenn die Kinder in einigen Monaten erwachsen sind, werden wir wieder viel Zeit miteinander verbringen, zusammen kleine Fische und Kaulquappen fangen und uns über die eingebildeten Erpel lustig machen. Sie verfolgen uns immer, wenn wir einen Ausflug starten und sind furchtbar eingebildet. Erpel sind wohl immer verliebt ... auch in sich selbst! Genau wie die großen Enten und die Schwäne, springen auch Pollys Küken sofort ans Ufer, wenn die Menschen sie füttern wollen.
Polly bleibt aber lieber im Wasser und fühlt sich dort sicher, weil sie Angst vor Menschen hat. Als sie klein war, hatte sie ein schlimmes Erlebnis, als ein kleiner Junge mit einem Ast nach den Enten und auch nach ihr schlug. Die Mutter des Jungen schimpfte zwar ganz fürchterlich mit ihrem frechen Sohn und nahm ihm den Stock weg, aber seit diesem Erlebnis schwimmt meine Freundin Polly nur noch widerwillig ans Ufer, wenn die Menschen da sind.
Ihre Kinder sind jedoch frech und neugierig wie alle kleinen Enten, und sie laufen gerne am Ufer entlang. Böses ist ihnen schließlich noch nie widerfahren. Wenn Polly ein Mensch aber nicht gefällt, ruft sie ihre kleinen Rabauken mit einem lauten „quak!“ zurück ins Wasser.
Und wird es ihr zu bunt, oder laufen meiner Polly zuviele Menschen am Ufer entlang, ruft sie alle Kinder zusammen und schwimmt mit ihnen an einen Ort fort, wo es ruhiger ist und die Menschen ihnen nicht folgen können. Ihr Erpel Friedbert schwimmt seiner Familie dann nur widerwillig hinterher, denn viel mehr Spaß macht es ihm , mit den anderen Enten, den Schwänen, den Gänsen und dem einsamen Bläßhuhn um die Leckerbissen zu streiten, die die Menschen ins Wasser werfen.
Schade, daß Polly so ängstlich ist. Wenn die Menschen meine hübsche Entenfreundin entdecken, sind sie von ihrem Federkleid ganz begeistert, und beim Anblick von Polly ziehen die kleinen Menschenkinder ganz begeistert an der Jacke ihrer Mutter und rufen „das ist aber eine schöne Ente!“. Schwimmt Polly aber mit ihren Kleinen fort, sind sie immer ganz traurig. Keine Küken mehr da! Polly ist glücklich! Alle ihre Küken haben die ersten gefährlichen Augenblicke überstanden, die sie nach ihrer Geburt kennenlernen. Kein hungriger Hecht hat nach ihnen geschnappt, und keines der Kinder wurde krank. Jetzt sind sie schon sehr kräftig und so frech, daß sie auch nach mir schnappen und jagen, wenn ich einen Leckerbissen entdecke, der auch ihnen gefällt. Polly, deine Kinder haben keinen Respekt vor erwachsenen Enten!
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