Beim ersten Jucken. Sean Schnipowitz

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Beim ersten Jucken - Sean Schnipowitz

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kräuselte sich und ließ seine Spitze schließlich ein Stück über meinem Kopf baumeln. Er benahm sich, als hätte er den Raum verlassen, so als wäre er außer Reichweite, während seine untere Hälfte weiterhin unverändert in mir steckte. Dieses absurde Finale einer Geburt war etwas zu viel für mich. Ich konnte einfach nicht fassen, was binnen weniger Augenblicke passiert war. War es denn meine erste Runde? Reinkarnationsgedächtnis? Plattform eins? Eins war sicher, ich konnte mich an nichts außer dem Traum mit dem Kessel erinnern. Das angenehme Summen der Trommel. Den Glaszylinder. Doch wer oder was war Raissa? Mit dutzenden Fragen im Kopf döste ich allmählich ein und schlief den ersten traumlosen Schlaf meines Lebens.

      ***

      Als ich am nächsten Morgen erwachte, stand Napoleon bereits steif wie ein Fahnenmast und wippte voller Erwartung sanft von einer Seite zur anderen. „Guten Morgen, Kamerad, ich hoffe sie sind ausgeruht? Ich habe mir in der Zwischenzeit erlaubt, mittels der etwas kurzgeratenen Kameraden hier eine Depesche an die Zentrale zu versenden.“ Die kurzen, gekräuselten Haare, die rings um uns spärlich den Handrücken besiedelten, verbeugten sich untertänig. „Ich erwähnte, in der Begleitung jenes Muttermals zu sein, welches den gestrigen Ausfall verhindert hat, worauf mir sofort komplette Rehabilitation angeboten wurde. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ich sie der Zentrale vorstelle!“ Bei diesen Worten kräuselte sich Napoleon erwartungsvoll. „Wir sollten also keine Zeit verlieren, man erwartet uns ganz oben, Plattform eins, rechte Flanke hinten. Auf geht‘s!“ Mit diesen Worten zog er an seinem Schaft, kippte jedoch, nach wie vor fest in mir verankert, sogleich vornüber, wodurch er zwei der gekräuselten Kameraden derbe anrempelte. Die beiden beschwerten sich lauthals, der Respekt vor Napoleons Größe ließ sie jedoch schnell wieder verstummen. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, beugte er sich tief zu mir herab. „Gibt es hier ein Problem, Kamerad? Wir müssen los, denn Michel wird nicht mehr allzu lange ruhen. Sie wissen was das bedeutet, ein heilloses Bewegungschaos, in dem es uns schwerfallen wird, die Zentrale unbeschadet zu erreichen.“ Ich protestierte verhalten und äußerste meine Angst, von der Zentrale für mein plötzliches Auftauchen und Sabotieren der Mission Gewalt angetan zu bekommen. „Die Zentrale ihnen Gewalt antun? Machen sie sich nicht lächerlich, Kamerad, selbst die einfältigste Zelle auf diesem Wirt weiß, dass einem Muttermal Gewalt anzutun so ziemlich das Dümmste ist, was man anstellen kann! Keiner hier will ihre Bösartigkeit heraufbeschwören, das könnte fatal für uns alle enden. Es wäre also eine reine Geste der Freundschaft, Kamerad, ein Gefallen, den sie mir zur Rettung meiner Karriere täten. Sie können mir glauben, sie haben nichts zu befürchten.“ Schlagartig holte mich die Erinnerung an den roten Pulsar inmitten der Plattform wieder ein, doch Napoleon schien meine Gedanken zu lesen und nahm meinen nächsten Protest sogleich vorweg. „Und sorgen sie sich nicht um das unerfreuliche Riesenmal inmitten der Plattform. Wir haben eine Abmachung mit diesem üblen Subjekt, die es ihm zwar erlaubt, unbehelligt auf unserem Wirt zu verweilen. Jedoch ist es ihm verwehrt, sich in die äußeren Bereiche von Plattform eins zu verästeln. Wir haben lange mit ihm darum gerungen, wobei er anfangs die Überhand behielt und sich stark zu vergrößern drohte.“ Napoleons Stimme wurde für einen Augenblick leiser, schwoll jedoch gleich wieder zu ihrer ursprünglichen Lautstärke an. „Jedoch gaben wir so schnell nicht auf und verwandelten die Kopfhaut zu einem Ort des Grauens für ihn, indem wir uns alle absichtlich Entzündungen der Wurzel zuzogen. Das Jucken, das sich dadurch auf Plattform 1 ausbreitete, hätte ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben, bis er mit uns schließlich an den Verhandlungstisch getreten ist. Zu unserem Glück ist das Mal nicht mit einem Übermaß an Verstand gesegnet und wir konnten, abgesehen von den territorialen Zuweisungen, noch eine weitere Bedingung der Waffenruhe aushandeln“. Napoleon wippte triumphierend und rief stolz aus: „Er trägt seither Rot als die Farbe der Zentrale!“ Schließlich schrie er beinahe vor Glück. „Sie sollten sehen, wie er pulsiert, wenn er sich aufregt, ein herkulisches Farbenbanner unserer Gemeinschaft! Jedes Haar ist GLEICHWERTIG!“ Ich stöhnte leise in mich hinein. „Werden sie mich also begleiten, Kamerad?“ Was hätte ich sonst tun sollen? Ein neugeborenes Muttermal auf seiner allerersten Reise durch die bedrohliche Welt. Ein brauner Fleck inmitten einer fremden Landschaft, ohne sozialen Anschluss, eben noch von einem Feuermal in den Hintern getreten. Allein zu bleiben schien mir in dem Moment die dümmste aller Entscheidungen zu sein. Nachdem ich Napoleon zugestimmt hatte, zogen wir umgehend los. Was folgte, war ein beschwerlicher Aufstieg durch Landstriche üppigster Formen und Farben, gesäumt von Muttermalen und Haaren aller Statur, die den vorbeiziehenden Einmaster ungläubig anstarrten. Während ich angestrengt ein Füßchen nach dem anderen in den Boden vor mir grub, um Halt für das Nachziehen meines Körpers zu bekommen, genoss Napoleon den Aufstieg sichtlich, da er nicht viel mehr beitragen konnte, als geruhsam in mir zu stecken. Jedes Mal, wenn wir an größeren Mengen von Haaren vorbeikamen, rief er ihnen einstudierte Parolen zu und als wir schließlich eine Region passierten, die er als Michels Hals bezeichnete, konnte er nicht davon absehen, seinen geliebten Satz durch die unbewohnten Täler und Schluchten hallen zu lassen. Schließlich erreichten wir über die rechte Wange die Schläfe, von deren Ende ausgehend sich ein dichter Wald weißer Haare zu erstrecken begann. Napoleon bat mich, für einen Moment innezuhalten. „Kamerad, wir sind gleich da! Bevor wir uns jedoch ins Dickicht der Kameraden begeben, möchte ich sie noch um eine Sache bitten: Lassen sie mich mit der Zentrale verhandeln, ich werde ihnen alles erläutern. Und seien sie so freundlich und lassen sie sich auch nicht auf irgendein Gespräch mit einem anderen Haupthaar ein. Die Kameraden nützen jedes Wissen zu ihrem Vorteil und bringen einen in Verruf, wenn sie verstehen.“ Dabei hüstelte er kurz etwas angespannt, räusperte sich und beruhigte sich wieder. „Also dann, Kamerad, lassen sie uns weiterziehen, wir bringen uns im Nu wieder an die Spitze!“ Nun kam der schwierigste Teil unserer bisherigen Reise. Wir mussten uns mit aller Kraft durch die dicht gedrängten Haupthaare zwängen, wobei sich Napoleons Torso immer wieder ungeschickt um Artgenossen wickelte. Er entschuldigte sich jedes Mal ausschweifend für sein Missgeschick, was dazu führte, dass unsere Durchquerung des Haarfeldes eine gefühlte Ewigkeit dauerte. Die Haupthaare beäugten das Spektakel argwöhnisch und ich war überglücklich, als wir endlich eine kleine Lichtung erreichten. Inmitten der Lichtung standen drei borstige, graue Haareminenzen, die allesamt einen größeren Umfang als die ringsum stehenden Artgenossen aufwiesen und zudem hoch in den Himmel ragten. Das mittlere schien jedoch das Mächtigste zu sein und überragte die anderen beiden in jeglicher Dimension. Alle drei blickten streng zu uns herüber und als wir in Hörweite kamen, fing das Linke an lautsprecherartig zu tönen. „Nummer 278, sie sind zurück? Dass sie es überhaupt wagen, nach dieser Schmach noch einmal vor uns zu treten!“ Das rechte Haar übernahm ohne Unterbrechung: „Und sie haben auch noch den Verursacher dieser Misere mitgebracht! Haben sie denn jetzt auch noch den letzten Rest ihres ohnehin dürftigen Verstandes verloren?“ Napoleon wollte zu einer Antwort ausholen, wurde jedoch jäh vom linken Haar unterbrochen. „Zwei Jahre Vorbereitung binnen weniger Sekunden zunichte gemacht, man sollte sie einfach ausreißen und ihrem Schicksal überlassen.“ Das Rechte donnerte: „Besser noch, man sollte sie auf das Kinn strafversetzen, dort würden sie die tägliche Hölle der Klinge durchleben, Kameraden, was haltet ihr davon?“ Einzelne umstehende Haupthaare begannen ‚Tod am Kinn‘ zu skandieren. Das Linke schrie: „Oder wir stecken sie in das große Muttermal nebenan, würde ihnen das gefallen? Glauben sie mir, die Tortur der Genossen in den bekleideten Zonen ist der reinste Kindergeburtstag dagegen! Wer ist für Folter am Feuermal, Kameraden?“ Die Haupthaare tobten wie wild und schrien ‚Folter am Mal, Folter am Mal‘, während Napoleon immer unruhiger wurde. „R-U-H-E!“ Sekundenschnell verebbte jeglicher Lärm. Das mittlere Haar richtete sich zu seiner vollen, majestätischen Größe auf. „Nummer 278, sie erwähnten in ihrer Nachricht von heute Morgen, dass ihr Begleiter hier bereit wäre, sich für das Projekt ‚Verirrter Mann‘ freiwillig zu melden. Ist das korrekt?“ Napoleon bejahte eifrig, während ich noch nicht so recht begriff, was sich gerade abspielte. „Er ist also einverstanden, die Maximen der Haare anzunehmen und sich seiner Aufgabe mit aller Ergebenheit zu stellen?“ Napoleon bestätigte auch dies mit servilem Nicken, während es nun ich war, der immer weniger entspannt war. Das mittlere Haar schwieg nachdenklich und beugte sich zuerst nach links, dann nach rechts, um die Meinung der beiden anderen Weisen einzuholen. Schließlich wandte er sich in Richtung Publikum. „Kameraden! Nummer 278 hat uns bitter enttäuscht, das ist nicht zu leugnen. Aber mit dem Scheitern unserer Mission hat er uns

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