Beim ersten Jucken. Sean Schnipowitz
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Er ließ zuerst über einen Flaumhaargesandten an die Zentrale melden, dass ich zu erschöpft für eine Rückreise sei und mich bis zum nächsten Morgen ausruhen müsse. Um keine Zweifel über unsere Loyalität aufkommen zu lassen, fügte er noch hinzu, dass ich dann zu weiteren Missionen imstande wäre, dass ich sogar äußerst dazu geneigt sei, den Haaren wieder zurück an die Spitze zu verhelfen. Wir schienen die Zentrale damit für die folgenden Stunden einwandfrei zu täuschen, denn sie war mit dem bisherigen Ergebnis, zu dem ich wenn überhaupt nur unbewusst beigetragen hatte, offenbar äußerst zufrieden. Und doch verbrachten wir einen Tag höchster Anspannung, felsenfest davon überzeugt, jeden Moment aufzufliegen. Jedoch nichts geschah. Schließlich wurde es Abend und Zeit, meine Flucht in die Tat umzusetzen. Napoleon wippte stumm hin und her und verabschiedete sich zuletzt mit trauriger Stimme. „Nun, Kamerad, dies ist also die Stunde.“ Er kräuselte sich ein wenig verlegen. „Ich wünschte ich könnte mit ihnen gehen, zu kurz war unsere Bekanntschaft, aber ich gehöre nun mal hier hin. Es ist ein Jammer, wir träumten all die Jahre vom Widerstand und lagen doch so falsch. Wir glaubten, jedes Haar müsse gleich sein, doch von heute an ist zumindest ein Haar anders.“ Ich konnte ihm ansehen, wie schmerzlich ihn die Bedeutungslosigkeit seiner alten Parole traf. „Ich werde ihr Andenken in Ehren halten, Kamerad!“ Seine Verlegenheit wurde noch offenkundiger. „Machen sie sich also keine Sorgen um mich, ich werde einfach behaupten, sie hätten mich überwältigt und hier liegen lassen. Gehaben sie sich wohl, mein Freund und meiden sie bei ihrer Flucht Stellen dichter Haarbesiedelung, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Und vergessen sie nicht, tauchen sie bei ihren Artgenossen unter, dann wird man sie niemals finden!“ Das waren die letzten Worte, die Napoleon an mich richtete und ich machte mich im Schutz der hereinbrechenden Dunkelheit eilig auf den Weg. Ich tappte stundenlang ängstlich durch die Finsternis, durchquerte Schluchten und vermied haarbesetzte Hügel so gut ich konnte, bis ich schließlich eine Stelle erreichte, in der es von Muttermalen geradezu wimmelte. Ich konnte ihre Nähe trotz der mich umgebenden Schwärze spüren, denn ich fühlte wie sich ihre Wurzeln im Schlaf immer wieder ausdehnten und kontrahierten. Sie mussten träumen! Auch wenn Napoleon ein unfassbarer Schwätzer war, vermisste ich seine Gegenwart bereits jetzt schon und fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben einsam. Daher kroch ich mitten in eine Herde von Muttermalen hinein und vergrub meine Wurzeln neben einem größeren Mal, in dessen Nähe ich mich einigermaßen geborgen fühlte. Was würde mit Napoleon geschehen, wenn die Kameraden erst von meiner Abwesenheit erführen? Würden sie ihm seine Geschichte abnehmen? Für einen Moment fühlte ich mich elend, ihn im Stich gelassen zu haben, auch wenn er bis zum Schluss versucht hatte, mich für die wahnsinnigen Ziele der Haare zu benutzen. Dennoch war er so etwas wie mein erster Freund, auch wenn die Freundschaft nur kurz gewährt hatte. Mit diesen Sorgen schlief ich allmählich ein und träumte unruhig von den sonderbaren Wesenheiten in Michels Inneren.
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Die Ereignisse der darauffolgenden Tage sind schneller erzählt, als man glauben möchte, denn sie waren in Ihrer Spannung relativ überschaubar. Als ich am nächsten Morgen erwachte, fand ich mich wie in der Nacht zuvor inmitten der Muttermalherde wieder. Ich rückte ein wenig von dem riesigen Kerl neben mir ab, der sich für meinen Geschmack etwas zu heftig im Schlaf bewegte und wurzelte an einer Stelle, an der ich niemandem zu nahe kommen würde. Tagsüber verhielt ich mich still und wartete voller Angst darauf, doch noch von einem versprengten Haartrupp entdeckt zu werden und meine Flucht scheitern zu sehen. Jedoch nichts dergleichen passierte. Auch in den darauf folgenden Tagen blieben die Haare aus und allmählich fühlte ich mich in meinem neuen Zuhause etwas sicherer. Als ich zuletzt vom Erfolg meiner Flucht überzeugt war, entschied ich, mich der neuen Gemeinde vorzustellen, doch die bittere Lektion, die ich dabei lernen musste war die, dass Muttermale offenbar nicht zu den redseligsten Geschöpfen zählen, die die Welt hervorbringt. Was soll ich sagen, ich wurde schlicht und ergreifend ignoriert! Niemand wollte sich mit mir unterhalten, wie ich es auch anstellte! Das tumbe Volk saß völlig mit sich selbst beschäftigt einfach nur um mich herum und schwieg mich an. Schlussendlich gab ich auf. Und da die Oberfläche ansonsten wenig Interessantes zu bieten hatte, entschied ich, wieder auf Ebene zwei zurückzukehren, um Michels Welt etwas besser verstehen zu lernen. Und ich kehrte lange nicht zurück. So vergingen viele Jahre der stillen Beobachtung, in denen ich der Menschheit in die Seele blickte, mir ihre Sprache aneignete und darüber hinaus dem Niedergang einer Ära beiwohnte. Mauern fielen und die Fremden liebten uns dafür, während im eigenen Land allmählich der letzte Rest Achtung schwand. Und ich erinnere mich noch genau an jenen düsteren Nachmittag, an dem Michel in ein Flugzeug stieg, um mit ausländischen Freunden einen Umschwung zu feiern, der in ihren Herzen für immer eingebrannt sein würde. In diesem Flugzeug fing es an. Und als Michel schließlich seine Füße auf ausländischen Boden setzte, wurde es immer unerträglicher! Das Jucken! Wenige Augenblicke später, als er nach der Begrüßung verschiedener Würdenträger durch die weitläufig abgesperrte Flughafenhalle schritt, war es schließlich soweit. Ich hielt es nicht mehr aus und ließ mit einem einzigen heftigen Ruck die Vielzahl meiner bis dahin vergrabenen Wurzeln zurückschnellen. Die dadurch entstehende Katapultwirkung war enorm! Ich flog geschossartig über die Köpfe von schaulustigen Passanten hinweg und landete auf dem denkbar letzten Ort, auf dem ich hätte landen wollen. Auf der Schnauze eines selbstmordgefährdeten Langhaarterriers der Marke Yorkshire.
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