Virus und Elfe. Helene Hammerer

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Virus und Elfe - Helene Hammerer Romane aus dem Bregenzerwald

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abgeholt worden und dann angeblich an Lungenentzündung gestorben war. Das hatte er nie vergessen und so setzte er sich immer für die Schwachen und Wehrlosen ein. Zu jenen schien Elvira in seinen Augen zu gehören. Die Großmutter war hocherfreut, als Linus den halbleeren Teller zurückbrachte. „Du bist ein Tausendsassa, Linus“, lobte sie ihn. Der Großvater schmunzelte: „Na, dann bringt ihr in Zukunft Linus das Essen.“ Dieser schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, sie kommt bald herunter. Am Nachmittag geht sie mit uns reiten.“ „Au ja“, freute sich Angela. „Von mir aus kann der Virus ruhig in seinem Zimmer bleiben“, verkündete Thomas, dem eindeutig zu viel Aufhebens um den Gast gemacht wurde. „Du kannst von mir aus auch im Zimmer bleiben, wenn ich diesen Namen noch einmal höre“, bemerkte der Großvater ruhig. Doch wer ihn kannte, hörte den stählernen Unterton und auch sein Enkel wusste, dass der Spaß vorbei war.

      Linus nahm die Sättel von der Bank vor dem Haus und wartete auf seine Begleiterinnen. Er hatte Angela zu Elvira geschickt. Kurze Zeit später kamen die beiden. Auch Elvira trug alte Jeans und eine karierte Bluse. Die Hose war ihr viel zu weit und so hatte sie einen „Strohspagat“ als Gürtel umgebunden. Die groben Kunststoffschnüre mit denen die Strohballen zusammengehalten wurden, gab es in Weiß, Blau und Orange. Sie wurden auf den Bauernhöfen gesammelt und für alles Mögliche verwendet. Als Gürtel hatte Linus sie noch nie gesehen. „Elvira verliert ihre Hose aber das Säle hat uns einen Strohspagat geholt“, verkündete Angela. Linus ging nicht lange auf das Thema ein, drückte den beiden ein Halfter in die Hand und schlenderte Richtung Weide, wo die beiden Pferde grasten. Wieder hatte er altes Brot mitgenommen und so kamen die Tiere gleich, als sie ihn sahen. Er gab Angela ein Stück Brot und sie hielt es Lisa auf der flachen Hand hin. Als sie die weichen Lippen des Pferdes kitzelten, kicherte die Kleine und wischte sich schnell die Hände an der Hose ab. Linus legte Lisa das Halfter an und sattelte sie. Elvira machte das Gleiche mit Lena. Ihre Bewegungen waren sicher und geschickt, stellte Linus erstaunt fest. „Das machst du auch nicht zum ersten Mal“, bemerkte er. „Nein, ich hatte als Kind ein Pony“, erklärte Elvira und lächelte traurig bei dem Gedanken. „Als ich zu groß wurde, hat meine Mutti es verkauft. Da hat mir das Reiten keinen Spaß mehr gemacht. Ich weiß gar nicht, ob ich es noch kann.“ „Reiten ist wie Radfahren. Das verlernt man nicht“, behauptete Linus und hielt Elvira seine ineinander verschränkten Hände hin. Geschickt stellte sie einen Fuß darauf und schwang sich in den Sattel. Sie tätschelte der Stute den Hals und wartete geduldig, bis Linus Angela in den Sattel geholfen hatte. „Ich hab schon fünf Reitstunden gehabt“, erzählte sie stolz. „Gut, dann halt dich fest, es geht los“, schmunzelte ihr Reitknecht, nahm das Halfter und führte das Pferd langsam Richtung Hütte. Ein wichtiger Teil der Reitstunden waren Säles Bewunderungsrufe. Elvira fiel neben ihnen in einen langsamen Schritt. Nachdem Angela vom Säle ausgiebig bewundert und ermahnt worden war, drehten sie eine Runde auf der Weide in der Nähe der Hütte. Elvira schien sich zu entspannen. Sichtlich mochte sie Pferde gern und konnte gut mit ihnen umgehen. Nach dem Reiten hatten sie Durst und tranken in der Hütte kalten Tee. Linus ging seiner Arbeit nach, während Angela den Sack mit den Strohschnüren vor die Hütte schleppte. Sie wollte mit Elvira einen richtigen Gürtel flechten. Die Begeisterung des Kindes schien die junge Frau anzustecken und sie half bereitwillig. Später saßen alle in der Stube bei der Jause und auch Elvira hatte ein kleines Stück Brot und Käse vor sich. Linus hob fragend die Augenbrauen und sie nickte leicht. Angela führte ihre neuen Gürtel vor. Mit Elviras Hilfe hatte sie Strohschnüre zu einem Zopf geflochten, was gar nicht so übel aussah, wie Linus zugeben musste. Thomas hatte einen neuen Haselstock geschnitzt und zeigte ihn stolz den anderen. Er wollte ihn natürlich gleich ausprobieren und ging mit seinem Cousin mit, um die Kühe von der Weide zu holen. Nach dem Melken gab es Milch und frisches Zopfbrot, weil Samstag war. Elvira trank einen Becher Milch. Sie schaute den Kindern zu, wie sie das Zopfbrot aus der Tasse löffelten. „Das durften wir bei Oma Grete auch immer“, erzählte sie und ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Danach spielten die Männer mit den Kindern Karten, die Großmutter strickte Socken und Elvira verabschiedete sich. Sie wollte sich noch die Haare waschen. Also schöpfte sie mit einem Blecheimer Wasser aus dem Waschkessel, leerte es in die Blechwanne, gab ein wenig von der Molke dazu, die in einem Eimer neben der Wanne stand und füllte dann mit kaltem Wasser auf. Sie zog den ausgebleichten Vorhang vor und stieg in die Wanne. Wenn sie wolle, könne sie jeden Tag baden, hatte ihr das Annele versichert. Die Molke würde ihre Haut und ihr Haar weich und seidig machen. Elvira räkelte sich wohlig im warmen Wasser und fühlte sich angenehm müde. Vielleicht war Oma Gretes Idee doch nicht so schlecht gewesen. Anneles Familie war wirklich nett zu ihr. Niemand machte ihr Vorwürfe, weil sie die Tabletten geschluckt hatte und niemand schimpfte, wenn sie nicht essen konnte. Im Moment fühlte sich auch der Kloß in ihrem Hals nicht mehr so groß an. Nach einer Weile stieg die junge Frau aus der Wanne, wickelte sich in ein großes Badetuch, schlang sich ein Handtuch um die nassen Haare und ging in ihr Zimmer. Dort schlüpfte sie in das lange weiße Nachthemd, flocht die feuchten Haare zu einem Zopf und trat ans Fenster. Es war noch nicht ganz dunkel. In der Dämmerung lagen die Hügel und weiter weg die hohen Berge vor ihr. Die friedliche Stille wurde nur durch das Bimmeln der Kuhglocken und die Stimmen aus der Stube unterbrochen. Elvira atmete die reine, kühle Luft tief ein und auch das Atmen ging wieder leichter. „Danke“, flüsterte sie und legte sich ins Bett, wo sie der Schlaf von den dunklen, bedrückenden Gedanken der vergangenen Tage und Wochen erlöste.

      3

      Am Morgen erwachte Elvira vom Rattern des Dieselaggregats. Sie fühlte sich frisch und ausgeruht, stand auf und trat ans Fenster. Im Osten ging gerade die Sonne auf. Der Himmel war rosa gefärbt und zwischen den Bergen glitt der leuchtende Ball nach oben. Lange stand sie dort und schaute sich das herrliche Schauspiel an. Wie schön es hier war. Elvira schlüpfte in eine weiße Bluse mit blauen Blümchen und in ihre Jeans und band sich den weißen geflochtenen Gürtel um. In Erinnerung an Angelas Begeisterung lächelte sie leicht. Sie bürstete ihr langes Haar, das sich wirklich seidenweich anfühlte, und band es zu einem Pferdeschwanz. Mit dem Handtuch und der Zahnbürste ging sie nach unten, um ihre Morgentoilette zu machen. Das Annele stand am Herd und rührte mit einem Schneebesen in einem Topf mit Milch. Am Sonntag gab es zum Frühstück Zopfbrot mit Butter und Honig. „Guten Morgen, Elvira, hast du gut geschlafen?“, erkundigte sie sich freundlich. „Ja, danke“, erwiderte das Mädchen. „Passt du bitte einen Moment auf, dass die Milch nicht übergeht?“, bat die alte Frau dann und drückte Elvira den Schneebesen in die Hand. Die junge Frau rührte die Milch schaumig und goss diese, als sie anfing zu kochen, in den bereitgestellten Krug. Den Milchtopf trug sie zum Brunnen und wusch ihn sauber aus. Sie schaute auf, als Angela aus der Stube trat und auf sie zulief. „Elvira, kämmst du mir die Haare?“ „Natürlich, wie möchtest du sie denn?“ „Ich möchte einen Pferdeschwanz, wie du“, entschied das Kind und drückte seiner neuen Freundin einen Haargummi und eine Bürste in die Hand. Angela trug ebenfalls den weißen Gürtel zu ihrer Hose. „Jetzt sind wir Zwillinge“, strahlte sie. Linus kam mit den Melkmaschinen aus dem Stall, um sie zu waschen. „Guten Morgen, ihr zwei Hübschen“, sagte er gut gelaunt. „Ist das Frühstück schon fertig?“ Linus weichte alles im kalten Wasser ein und ging dann zur Stalltür, um die Überhose und die Jacke an einen Haken an der Wand zu hängen. Dann gingen die drei in die Stube und setzten sich an den Tisch. Auch Thomas war schon da. Kurze Zeit später gesellten sich die Großeltern zu ihnen und alle ließen sich das Frühstück schmecken. Linus schob Elvira seinen Bohnenkaffee zu. „Gib etwas davon in die Tasse, sonst kannst du die Brühe nicht trinken“, zwinkerte er ihr zu. „Danke“, lächelte sie scheu und er war plötzlich froh, dass es ihr ein wenig besser ging. Das veranlasste ihn auch, sie zu fragen, ob sie Angela und ihn begleiten wolle. Elvira zögerte, doch als die Kleine sie bat, mitzukommen, stimmte sie zu. Ausgerüstet mit Großmutters Bergschuhen und einem alten Sonnenhut ging Elvira wenig später mit den beiden los. Angela nannte auch ihr alle Pflanzennamen, die sie kannte, und wurde gebührend bewundert. Elvira selbst jedoch schien eine wandelnde Kräuter-Enzyklopädie zu sein. Sie kannte jedes noch so unscheinbare Kräutlein und wusste, wofür es gut war. „Woher weißt du das alles?“, fragte Angela plötzlich. „Das gehört zu meinem Beruf“, erklärte die junge Frau. „Als Drogistin muss man die Heilkräuter gut kennen. „Das werde ich auch, wenn ich groß bin“, verkündete

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