Brief an Marianne. Martin Winterle

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Brief an Marianne - Martin Winterle

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knurrte fast hörbar der Magen, als sie aus dem Aufzug stieg, sich zum Restaurant hin wandte. Dort herrschte ein Betrieb wie bei der heutigen Grappa Auktion. Manche Gesichter kamen ihr von dort bekannt vor. Ihr Chef sah, wie sie unsicher in der Türe stand, winkte ihr zu.

      Zum Abendessen waren sie verabredet. Sie hatte davon bei der Fahrt von der Versteigerung ins Hotel erfahren. Ein alter Geschäftsfreund aus Oberösterreich mit einem Teil seines Verkäuferteams würde mit Ihnen zu Abend essen. Diese Herren hatten mit Schnäpsen aller Art zwar nichts am Hut, aber an der gleichzeitigen, regionalen Weinfachmesse teilgenommen.

      Marianne würde neben ihrem Chef, am oberen Ende der Tafel sitzen.

      Zuerst aber, sich einen Teller schnappen, die einladende, kunstvoll aufgebaute Gourmetinsel aufsuchen, die mit ihren verschiedenartigsten Köstlichkeiten, alle Register erlesener italienischer Vorspeisen offerierte. Diese wenigstens mit ihren Augen leerfuttern.

      Der reservierte Tisch füllte sich langsam mit sechs Personen. Jeder mit einem mehr oder weniger gefüllten bis überhäuften Teller Antipasti. Der Jagdbeute vom Sturm auf das kalte Buffet. Fünf Herren und sie, als einzige Dame. Marianne setzte sich, ihr Chef schenkte ihr gerade ein Glas Aqua Minerale ein,

      da kam ihr Gegenüber…

      Gegenüber

      >Hallo, ich bin der Horst. <

      Stellte er sich vor, reichte ihr mit einem offenen Lächeln über den Tisch hinweg die Hand.

      >Marianne, freut mich. <

      Gab sie mit demselben Gesichtsausdruck zurück.

      Konzentrierte sich auf ihre gegrillte Tomate und die anderen winzigen Happen, die sie gezielt auf ihrem Teller drapiert hatte. Trank dazu abwechselnd einen Schluck leichten Tischwein oder Mineralwasser. Das eigentliche Menü bestand aus drei Gängen, den Abschluss bildeten Erdbeeren. Kühle frische Erdbeeren. Marianne zerdrückte sie mit der Zunge gegen ihren Gaumen. Vollkommen zwanglos unterhielt sie sich während des Essens mit ihrem Gegenüber. Über die Weinmesse berichtete er, über die Grappaversteigerung ließ sie sich aus. Verhehlte auch nicht, dass sie nicht alles kapiert hatte, ja meistens mehr oder weniger neben ihren Schuhen zu stehen gekommen war. Horst tröstete sie, er kenne solche Situationen zur Genüge. Mit Weinen und ihren jeweiligen Eigenheiten war er anfangs auch einige Zeit auf Kriegsfuß gestanden. Das wurde mit der erarbeiteten Praxis aber rasch besser, und ihr, Marianne würde es genauso gehen. Ausdrücklich wünschte er es ihr.

      Auf den obligaten Abschlussmokka verzichtete sie. Am Grappa nippte sie, ganz Fachfrau, nur ein wenig. Gegen 22 Uhr löste sich die Tischrunde auf. Während die beiden älteren Herren ihre Zimmer aufsuchten, lud Horst Marianne noch auf einen Absacker, wie er es nannte, in die Hoteleigene Kellerbar ein. Sie fühlte sich noch munter genug, auf einen Drink, ein wenig Unterhaltung mitzugehen. Zwei von Horsts Kollegen schlossen sich ihnen an.

      Die Bar war klein, hatte gedämpftes Licht, eine Minitanzfläche die beim Andrang von drei Tanzpaaren schon an Überfüllung gelitten hätte. Nur wenige Zimmerflüchtlinge hatten sich an der Bar oder an einem der kleinen Nischentische niedergelassen. Zwei junge Damen unterhielten sich kichernd am Tresen, sichtlich angetan als sie Horst und seine Begleiter erblickten. Die Damen, Geschäftsleitungsassistentinnen einer bedeutenden deutschen Weinhandelskette, waren ebenfalls auf der Messe gewesen. Horst und sie blieben alleine, erklommen die Barhocker am Ende der Bar, im rechten Winkel zueinander, bestellten ihre Drinks. Marianne nahm einen Cocktail mit Ananas, Horst schottischen Whisky ohne Eis.

      Der Alleinunterhalter, ein bereits älteres Semester mit Spitzbart und Roßschwanz intonierte angenehm leise bekannte Schnulzen auf einen Keyboard. In seinen Pausen ließ er Kuschelsongs Made in Italy aus einer Musikanlage säuseln. Diese fast noch leiser, als er selbst spielte. Horst bat sie, mit ihm zu tanzen. Sie hatte nichts dagegen, rutschte vom Barhocker. Auch keinen Einwand dagegen, dass er sie ziemlich nahe zu sich heran zog. Als seine Hände aber merkliche Ermüdungserscheinungen bekamen, glaubten, sich auf ihrem verlängerten Rückgrat ein ruhiges Plätzchen als Dauerparkplatz verdient zu haben, schob sie seine Arme, unmissverständlich wieder höher. Kurz nach Mitternacht wollte sie zu Bett gehen. Bestand darauf, Ihren Drink selbst zu bezahlen. Im Lift legte Horst seine Arme um sie, versuchte sie zu küssen. Sie bot ihm ihre linke Wange. Was er aber bekam, war ihre Handynummer.

      Sie wählte die Nummer, die er ihr vorsagte, sein Handy klingelte, er speicherte die Nummer ab…

      Für die Nacht umgezogen, öffnete sie das Fenster, ließ kühle frische Luft herein, legte sich aufs Bett. Er war ihr nicht unsympathisch, der Horst, mochte so fünf bis sechs Jahre älter sein als sie selbst, hatte gute Umgangsformen und das bißchen Grapschen, sie hatte immerhin in ihrem kurzen, ihre Figur betonenden Kleid ganz anziehend gewirkt, nicht nur auf Horst.

      Immerhin verdankte sie es ihm, dass die Grappaauktion aus ihrem Kopf verschwunden war, mit allen, wirklich allen Eindrücken. Er hatte schöne Augen, oder nur ihr welche gemacht, so ganz genau wusste sie das nicht, war auch nicht wirklich wichtig. Der dichte Schnauzbart in der Farbkombination von dunkelblond und weißgrau stand ihm gut zu Gesicht. Zwei Millimeter kürzer wäre eine zu testende Option. Vielleicht einen etwas zu kurzen Hals, dafür aber kräftige, behaarte Hände. Hände die zupacken konnten, schätzte Marianne an Männern, darauf legte sie großen Wert.

      Ein ausgewachsenes Weichei, wie der Vater ihres Sohnes, kam für sie nicht mehr in Frage. Mit sowas hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht. War sich oft unverstanden, allein gelassen vorgekommen. Wiederholung – nein danke!

      Null Uhr fünfundvierzig zeigte der Radiowecker auf ihrem Nachtkästchen, als sie aufstand, das Fenster schloss. Rollte sich in ihrem Bett zusammen, nahm die Decke zwischen ihre Beine, kuschelte die etwas zu weichen Polster.

      Am Morgen traf sie am Frühstücksbuffet mit ihrem Chef zusammen. Er fragte, wie sie geschlafen hatte und ob es für sie noch ein gemütlicher Abend war. Beides sei ganz ok gewesen, antwortete sie. Um acht Uhr fuhr der blaue Mercedes aus der hoteleigenen Tiefgarage.

      Mariannes SMS Signal meldete einen Neuzugang. Sie tauchte ihr Handy aus der Handtasche, zwischen ihren Beinen.

      >Danke für den schönen Abend. Wünsche dir eine gute Heimreise. Würde dich gerne kommende Woche treffen! Hast du Zeit? Würde mich total freuen. Bitte melde dich, damit wir uns etwas ausmachen können. Alles Liebe, Horst. <

      Sie konnte, mochte auch nicht gleich zurückschreiben.

      Erstens war es unhöflich, dem Chef gegenüber, der sich unterhalten wollte. Zweitens, sie waren im Ausland, ein SMS kam teurer, als wenn sie es später von daheim sendete. Drittens, so eilig war es dann auch wieder nicht(echt nicht…?). Viertens, sie wusste nicht genau, was sie schreiben sollte – und fünftens – sie würde antworten, sicher sogar, ganz bestimmt!

      Kurz vor fünfzehn Uhr stieg sie vor ihrer Haustüre aus dem Auto. Bedankte sich für die schöne, informative Reise und für das Vertrauen, verpackt in Vorschusslorbeeren für ihre kommenden Aufgaben.

      Ihr Sohn hatte ihr ein Abwesenheitsmemo bis Montag an den Kühlschrank geklebt. Sie hatte also ein paar Stunden störungsfrei vier Wände. Hatte nichts dagegen, wirklich nicht.

      Nachdem der Koffer leer am Balkon auslüftete, die Waschmaschine ein Kurzprogramm absolvierte, der Laptop sein Schafherdenstandbild präsentierte, letzte Tropfen aus der Dusche fielen, fühlte sie sich angekommen. Joghurt stand im Kühlschrank, Äpfel offerierte die Obstschüssel am Wohnzimmertischchen, Süßigkeiten bot die erste Schublade links, Brötchen

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