Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 2. Tobias Fischer
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Im Großen Treppenhaus trafen Tom und Veyron wieder mit Danny und einigen anderen Gästen zusammen. Toink gesellte sich zu ihnen. Er hatte seinen grauen Arbeitskittel durch einen schwarz-weißen Frack und einem fast albern hohen Zylinder ausgetauscht. Höflich verbeugte sich der Zwerg und zog seinen riesigen Hut.
»Toink, zu Diensten«, grüßte er seine Freunde und lachte dann laut auf. »Was für ein unbequemes Zeug! Die Weste ist zu eng, der Frack zwickt und der Zylinder ist mir viel zu klein. Aber der König hat darauf bestanden. Ihr konntet wohl nichts Besseres finden, als eure langweilige Fernwelt-Kleidung, was?«
»Wir wurden ja auch nicht zur Schneiderei geschickt«, verteidigte sich Tom. Plötzlich tippte ihm Danny auf die Schulter und nickte zur Treppe.
»Sieht sie nicht umwerfend aus? Wie eine Königin«, raunte er.
Gwen Hunter schritt die Treppe vom C-Deck herunter, den langen, roten Rock ihres Kleids leicht gerafft. Dazu trug sie ellenbogenlange, weinrote Handschuhe aus Satin. Tom musste gleich zweimal hinsehen, um sie überhaupt zu erkennen. Ihr langes Haar trug sie jetzt offen, gekrönt von einem filigranen Diadem aus echtem Silber und das Gesicht von einem wahrhaftigen Meister geschminkt.
Tom verschlug es glatt die Sprache. War das wirklich noch immer die gleiche MI-6-Agentin, oder hatte Floyd sie durch einen Klon ausgetauscht?
Danny war jedenfalls vollkommen hin und weg von ihr. Sie lächelte etwas verlegen, als sie die staunenden Blicke bemerkte. Danny eilte ihr entgegen und nahm sie am oben am Geländer in Empfang.
»Darf ein oberflächlicher Tölpel es wagen, Euch ins Restaurant zu geleiten, Mylady«, fragte er mit gespielter Unterwürfigkeit und bot ihr – ganz der Gentleman – den Arm an. Gwen gestatte sich ein kleines, triumphierendes Lächeln und hakte ein.
»Sie dürfen, Mr. Darrow. Zumindest heute Abend.«
»Mylady wissen nicht, wie glücklich sie mich damit macht.«
Als sie an Tom und Veyron vorüber stolzierten, zwinkerte Danny ihnen zu, was Tom überhaupt nicht verstehen konnte. Wieso ging Danny dieser falschen Schlange nur dermaßen auf den Leim?
»Ich kapier’s nicht«, raunte er, worauf ihm Veyron nur mitfühlend auf die Schulter klopfte.
»Alle Menschen haben ihre Schwächen, mein lieber Tom. Erinnere dich daran, was ich dir zum Thema Liebe sagte. Miss Hunter ist zweifellos Dannys große Schwäche. Vielleicht ist es aber ganz nützlich, das wird sich noch zeigen.«
Den großen Speisesaal hatte man, anders als die meisten Räume an Bord, mit teurem Eichenparkett ausgelegt. Die Wände waren holzvertäfelt, mit Bullaugen auf beiden Seiten, die leicht gewölbte Decke und die Stützsäulen mit Stuck verziert und alles mit Lampen erhellt. Die Stewards und Stewardessen servierten die Speisen auf feinstem Porzellan. In einer Nische spielte ein kleines Orchester, bestehend aus Menschen und Zwergen. Tom glaubte, Mozarts Eine kleine Nachtmusik zu erkennen. Nach und nach trafen die ganzen Gäste ein und nahmen an den Tischen Platz. Die Damen allesamt in aufwendigen Roben, oft mit riesigen Perückentürmen gekrönt, die Herren in Gehröcken aus Samt. Die Zwerge dagegen uniform in Frack, nur ihre weiblichen Begleiterinnen trugen opulente Kleider und jede Menge glitzernden und funkelnden Schmuck um Hals und Armgelenke. Tom fiel auf, das die Zwerginnen keine Perücken brauchten, um ihr zottiges Haar zu wahren Türmen aufzustecken. Einige von ihnen hatten sogar Perlen und andere Juwelen in die Backenbärte geflochten – die einzige Gesichtsbehaarung, die eine Zwergin besaß.
An Floyds Tisch saßen neben dem König noch neun andere Personen, darunter Schatzkanzler Farin, Danny und Hunter. Floyd winkte Tom und Veyron. Er befahl den Stewards, sofort zwei weitere Stühle herbeizuschaffen. Der König trug jetzt einen weiten, weißen Anzug, der ihn ein wenig wie einen arabischen Wüstenfürsten aussehen ließ. Mit einem ganz gravierenden Unterschied: Sein weißer Kaftan wechselte jede Minute die Farbe, wie auch die Gläser seiner obligatorischen Sonnenbrille. Hinzu kam noch eine goldene Schärpe, mit einer absurd hohen Anzahl funkelnder Orden und Medaillen.
»Kommt, setzt euch, setzt euch«, rief er ihnen zu. Tom und Veyron taten wie ihnen geheißen, anschließend stellte ihnen Floyd die anderen Tischnachbarn vor.
»Das hier ist Ankin, mein Technologieminister und Vater von Toink«, sagte er und deutete auf den graubärtigen Zwerg zu seiner Rechten. Ankin sprang auf den Stuhl und verbeugte sich kurz, ehe er sich wieder setzte. Floyd fuhr fort. »Und hier haben wir Walt Douglas und seine bezaubernde Frau, Isabella. Der gute Walt besitzt den größten Lebensmittelhandel auf Talassair.«
Ein pausbäckiger Mann um die Sechzig, nickte ihnen zu. Seine Frau, die etwa im gleichen Alter zu sein schien, wedelte nur mit ihrem Fächer und würdigte die Fernweltler keines Blickes. Tom fand, dass Isabella Douglas einen sehr verbissenen und unleidigen Eindruck machte. Offenbar fühlte sie sich in dieser Gesellschaft nicht besonders wohl.
»Colonel Belfik, mein Militärberater«, stellte Floyd den nächsten Zwerg vor.
Graubärtig und mit zahlreichen Orden dekoriert, erhob er sich und verbeugte sich zackig. Floyd deutete auf den direkten Nachbarn seines Militärberaters.
»Und das da ist Halti, einer der reichsten Zwerge von ganz Talassair.«
Ein schwarzbärtiger Zwerg mittleren Alters, nickte ihnen streng zu. »Aus meinen Stahlwerken kommen zwanzig Prozent der Hülle der Olympic«, ließ er die Neuankömmlinge gleich wissen. »Nicht alles, was aus Fernwelt hierher geschafft wird, kommt vollständig an. Bei so großen Objekten wie der Olympic ist es unabdingbar, dass ganze Sektionen neu gebaut werden müssen. Damit verdiene ich mein Geld. Ich bin so reich wie unser König.«
»Ach was! Nicht mal ein Zehntel so reich«, versuchte Floyd das Ganze zu relativieren. Er klang dabei erkennbar eingeschnappt. Die übrigen Tischnachbarn schien das jedenfalls zu amüsieren. Sie lachten alle, die Zwerge besonders laut. Tom fiel dabei eine junge Dame auf, die anders, als die meisten anderen Menschenfrauen Talassairs, auf eine Perücke und diese wuchtigen Abendkleider verzichtete. Sie trug eine elegante Robe in Smaragdgrün. In Toms Augen war sie eine wahre Schönheit, gertenschlank, langes, blondes Haar und ein feines Gesicht mit himmelblauen Augen, die einen sofort in ihren Bann zogen. Sie schien nur allerhöchstens fünf Jahre älter zu sein als Tom. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, je länger er sie anstarrte.
»Ach, und dies ist Miss Julie Morton«, stellte Floyd die Dame mit reichlich Verspätung vor. »Wie unhöflich von mir. Farin, du musst mich das nächste Mal sofort auf so einen Fehler aufmerksam machen. Das ist unverzeihlich.«
Julie Morton lachte darüber nur, griff über den Tisch und nahm Floyds Hände in die ihren. Ihre filigranen Finger streichelten über seinen Handrücken und der König schenkte ihr sofort seine ganze Aufmerksamkeit.
»Das ist nicht so schlimm, Floyd. Hier am Tisch sind wohl die meisten Leute von höherem Rang als ich«, sagte sie lachend. Den Zwergen war anzusehen, wie stolz und wichtig sie sich auf einmal vorkamen.
»Sie tragen gar nicht die übliche Tracht von Talassair, Miss Morton«, bemerkte Hunter im neugierigen Tonfall.
Die junge Frau wandte sich ihr zu und nickte. »Das stimmt. Ich bin noch nicht so lange auf Talassair. Der König hat mich erstes letztes Jahr dorthin eingeladen.«
»Aus welchen Land Elderwelts kommen Sie denn?«
Julie