Ab heute ohne mich. Tina Engel

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Ab heute ohne mich - Tina Engel

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Er trat zu ihr. „Ich kann nicht anders.“ Aber statt sie zu küssen, stemmte er nur die Hände links und rechts neben sie gegen die Wand und sah sie an. Dicht war sein Gesicht dabei über ihrem. Um sie herum war es stockdunkel, doch Lisa spürte seinen Atem, seine unmittelbare Nähe. Die Luft zwischen ihnen knisterte förmlich.

       Leise fragte er: „Bist du glücklich mit ihm?“

       Was möchtest du hören? Ein Nein? Soll dann alles wieder von vorn losgehen? Hast du vergessen, auf was wir uns vor knapp zwei Jahren geeinigt haben?“

       Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke.“

       Und was ist mit Lara? Ich kann dich genauso fragen – bist du glücklich mit ihr?“ Ihre Stimme hatte einen bitteren Klang.

       Sie hat sich verändert, seit das mit dem Baby passiert ist.“ Aus seiner Stimme klang Enttäuschung.

       Liebst du sie noch?“ hakte Lisa vorsichtig nach. Vielleicht konnte sie ihn damit von einer Dummheit abhalten.

       Erst nach einer Weile meinte er leise: „Ich hab mich an sie gewöhnt, sie gehört irgendwie zu meinem Leben dazu…“

       So geht es mir mit Dennis auch“, dachte sie halblaut und senkte den Kopf. Dann hob sie ihn wieder, entschlossen sagte sie nun: „Komm, lass uns zu den anderen zurückgehen.“ Doch kaum hatte sie es ausgesprochen, lag sie auch schon in seinem Arm und fühlte seinen weichen, warmen Mund auf ihrem. Einen Moment lang war sie ihm ergeben, Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an eine Zeit, in der die Schmetterlinge wild in ihrem Bauch herum geflattert waren. An eine Zeit, in der sie sich von einem heimlichen Treffen zum nächsten gefiebert hatten und es kaum erwarten konnten, sich wiederzusehen.

       Schlagartig besann sie sich. Es fiel ihr unendlich schwer, doch schließlich schaffte sie es, sich von ihm zu lösen. Noch einmal meinte sie: „Lass uns gehen.“ Zur Bestärkung ihres Satzes ging sie langsam ein paar Schritte voraus.

       Ralf holte sie ein. „Sorry.“

       Schon gut.“

       Für den Rest des Abends ging sie ihm aus dem Weg.

       Es war schwer, seine Gegenwart zu ertragen, zu groß war die Sehnsucht nach seiner Nähe, seinen Berührungen, nach mehr.

       Also suchte sie bald Dennis auf und sagte ihm, dass sie heimfuhr. Als er nach dem Warum fragte, gab sie vor, dass ihr die Bowle wohl nicht bekommen sei.

       Dein Magen ist doch sonst nicht so empfindlich“, versuchte er es mit einem Lächeln, ließ sie dann jedoch gehen. Er selbst wollte noch bleiben.

       Wäre sie noch so verliebt wie am ersten Tag in ihn, wäre sie enttäuscht gewesen, dass er so wenig Mitgefühl zeigte und sie sogar allein gehen ließ.

       Aber in dieser Nacht war Lisa froh, allein sein zu können.

       Sie hatte sich zuerst ein Taxi rufen wollen, überlegte es sich dann allerdings anders und marschierte zu Fuß los.

       Plötzlich folgten ihr Schritte. Umschauen oder nicht? Lisa blieb stehen. Mutig drehte sie sich um. Es war Ralf, der nun auf sie zukam.

       „Bist du wahnsinnig - so allein hier durch die Nacht zu laufen?“ fuhr er sie besorgt an.

       „Mein Kerl hat beschlossen, noch zu bleiben. Was soll ich tun?“

       „Ein Taxi nehmen?“

       „Und wenn ich etwas frische Luft brauche?“ konterte sie etwas zickig.

       „Dann lass mich dich wenigstens ein Stück begleiten“, bat er nun versöhnlich.

       „Ralf, das ist nicht gut. Für uns beide nicht“, hielt sie dagegen, doch ihr Widerstand hielt sich auf sehr wackeligen Füßen.

       „Ich... ich kann dich nicht einfach gehen lassen, nicht nach diesem Abend. Ich habe mich durch zwei lange Jahre gequält...“

       Da legte sie ihm resolut den Zeigefinger auf die Lippen. „Aber immerhin bist du bei ihr geblieben, die ganzen zwei Jahre. Also kannst du mit ihr gar nicht sooo unglücklich sein.“

       Er wich zurück. „Hast du eine Ahnung!“

       Fragend sah Lisa ihn an.

       „Die erste Zeit, nachdem wir unser Baby verloren hatten, war einfach furchtbar. All ihre Launen habe ich ertragen, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie betrogen hatte, während unser Kind unter ihrem Herzen wuchs. Ich brachte es nicht übers Herz, sie allein zu lassen. Ich fühlte mich schuldig. Doch je mehr Zeit vergeht, umso mehr frage ich mich, was für eine Fassade ich da eigentlich noch aufrechterhalte.“

       „Das frage ich mich auch“, sagte sie mehr zu sich selbst.

       Sanft hob er ihr Kinn an, so dass sie ihn nun ansehen musste. Im Schein der Laterne glitzerten Tränen an ihren Wimpern. Sacht küsste er die kleinen Tröpfchen fort.

       „Wir haben es damals nicht geschafft. Sag mir einen Grund, warum wir es heute schaffen sollten“, meinte sie erstickt und wich einen Schritt zurück.

       Doch sie wollte nicht erst die Antwort abwarten. Zwischen ihnen würde sich eh nichts ändern. Irgendwann würde er wieder zu Lara zurückkehren – so, wie damals.

       Lisa drehte sich um und ließ ihn stehen. Sie nutzte seinen perplexen Zustand und verschwand rasch im Dunkel der Nacht.

       Während sie durch die spärlich beleuchteten Straßen lief, kamen ihr erneut die Tränen. Sie ließ ihnen nun freien Lauf.

       Dieses Aufeinandertreffen war zuviel für sie gewesen.

       Ralf wollte sie vermutlich nur wieder als Gespielin beanspruchen – um sein eigenes Leben etwas aufzupeppen. Doch der Preis dafür war zu hoch. Lisa konnte ihn nicht zahlen. Und dann der Ordnung halber auch noch weiterhin mit Dennis zusammenleben, als wäre alles bestens.

       Zu Hause angekommen beschloss sie, dass es so nicht weitergehen konnte.

      Das Ende

       Noch in dieser Nacht nahm sie Stift und Schreibblock zur Hand und schrieb einen langen Brief.

       Einen Abschiedsbrief.

      

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