Die Weltenretter. Till Angersbrecht
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Na ja, das traurige Ende der Geschichte war unschwer vorauszusehen. Die Meuterer liebten die Vögel auch, aber auf ihre Weise, nämlich erst, wenn sie gebraten waren. Das waren raue Leute, sie kamen aus einer Kolonialmacht voller Mordinstinkte und mussten zudem ums Überleben kämpfen. Natürlich hatten diese Barbaren keine Ahnung von dem wissenschaftlichen Wert meines Gymnopterus; ich fürchte, die Kerle hätten sich aber so oder so über den Nacktvogel hergemacht. Anders gesagt, die Tiere wurden zu einer leichten und, wie es scheint, überaus schmackhaften Beute für die verirrten Repräsentanten ihrer britischen Majestät. Ich halte es übrigens für durchaus möglich, dass sich die Handvoll Matrosen zwanzig Jahre lang überwiegend von Gymnopterus ernährte, solange der Vorrat an lebenden Exemplaren eben reichte. Als schließlich auch noch der letzte Vertreter des Vogel Greif im Kochtopf geendet war, starben auch die Matrosen aus. Na ja, das hätte ich ihnen natürlich voraussagen können.
Spiderton schwätzt und schwätzt. Hat er es denn nötig, seine Leistungen so an die große Glocke zu hängen? Darwin, du bist eine Kapazität, das wissen doch alle! Ein zustimmendes Lächeln kannst du durchaus von mir erwarten, aber keine leidenschaftliche Anteilnahme. Das nun ganz sicher nicht. Würde ich dir reinen Wein einschenken, dann müsste ich dir nämlich verraten, dass deine Vögel und deren Schicksal mir eigentlich herzlich egal sind. Gymnopterus hin oder her, was hat die Weltgeschichte mit dieser Kreatur zu schaffen? Ich, Krszymanski, habe es mit dem menschlichen Gehirn zu tun, also mit der wichtigsten Erfindung der Evolution, ohne die du, mein lieber Spiderton, deine Forschungen nicht einmal beginnen könntest. Das Gehirn ist die Grundlage, das Fundament, der Ursprung und Ausgangspunkt von allem, also etwas ganz anderes als dieses Federvieh. Glücklicherweise hast du es auch noch mit der Jungbrunnen-Genetik zu tun. Da treffen wir uns schon eher, da sind wir sogar Konkurrenten. Aber geh mir bitte nicht ewig mit deinem Vogel auf die Nerven! Wäre ich nicht auf akademische Höflichkeit gedrillt, hätte ich mich längst abgewendet, aber gut, so täusche ich halt ein Minimum an Interesse vor.
Immerhin, hatten Sie, lieber Spiderton, das gewaltige Glück, im Innern einer eiskalten Höhle die Reste von Knochen mit gut konserviertem Mark zu entdecken. Und dann noch die finanzielle Unterstützung durch Palmerstone. Das war eine in der Forschung überaus seltene und ausgesprochen glückliche Konstellation.
Gewiss doch! Das scheinbar Unmögliche ist uns gelungen. Wir haben den Riesenvogel aus den wenigen erhaltenen genetischen Resten wieder zum Leben erweckt. Ein Triumph für die Wissenschaft. Und wenn Sie wüssten! Nein, das werde ich Ihnen erst später verraten. Erst auf der Insel - Überraschungen müssen sein. Der Triumph ist nämlich viel größer, als Sie sich in Ihren kühnsten Träumen vorstellen können. Wir haben uns - sagen wir es in aller Bescheidenheit einmal so - noch einige zusätzliche genetische Spielereien einfallen lassen. Die Ergebnisse sind umwerfend, einfach toll. Newton, Sie werden verblüfft, Sie werden sprachlos sein.
Nur wird es doch beinahe schon ärgerlich. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um jetzt noch zu lächeln. Diese Selbstbeweihräucherung geht mir einfach zu weit. Ich glaube wirklich, dass Darwin allen Ernstes unter der Einbildung leidet, in unserer Runde so etwas wie der wissenschaftliche Senior zu sein.
Einige Kollegen haben die letzten Worte Darwins gehört und sind näher zu uns herangetreten. Ein köstlicher Anblick, sieht aus wie bei einem Faschingfest! Wirklich ein toller Spaß, gestandene Nobelpreisträger, lauter ehrwürdige Wissenschaftler im Sträflingsgewand zu erblicken, zwar nicht blau-weiß gestreift – das wäre denn doch eine Zumutung – aber in grün-weißen Farben, Männer wie Frauen. Der Lord ist wirklich ein Schelm und ein Sonderling.
Niemand kommt mir auf meine Insel, hat er uns wissen lassen, wenn er nicht vorher zu einem neuen Menschen wird. Also hat er uns per Dekret diese grün-weiße Aufmachung verordnet. Jetzt sehen wir aus, als kämen wir alle aus der gleichen Konservenfabrik. Vielleicht ist gerade das seine Absicht. Lord Palmerstone verteidigt die Egalität – unter geborenen Aristokraten kein allzu seltenes und jedenfalls ein Aufsehen erregendes Hobby. Es heißt, er habe sich in diese Art der Verkleidung während einer Reise nach Japan verliebt. In den Ryokans, den traditionellen Gasthäusern des Landes, legen Männchen wie Weibchen gleich bei der Ankunft die Alltagskleidung beiseite und werfen die gestreiften Sträflingskittel aus dünner Baumwolle über. Angeblich heißen die dort ebenso Kimono wie die herrlichen Festgewänder der Frauen. Die Sitte hat es dem Lord so sehr angetan, dass er nun alle, die seine Insel betreten, schon auf dem Schiff zu diesem Karneval verdammt.
Grotesk, so etwas kann sich wirklich nur ein englischer Lord ausdenken. Ich nehme an, dass er von diesem Spleen profitiert, vermutlich auf doppelte Weise. Seine angeborene Stellung macht ihm ja ohnehin keiner streitig, aber zusätzlich kann er sich mit egalitärer Vorurteilslosigkeit brüsten. In diesem Sinne hat der Lord uns alle zu Sträflingen degradiert. Der Mann ist ein leidenschaftlicher Sammler, allerdings nicht von Briefmarken oder Schmetterlingen, sondern er sammelt uns, die Geisteshelden des Globus. Merson Island will er zu einem Olymp des Geistes machen. Alles was in der Wissenschaft Rang und Namen hat, will der Lord in seinem Dunstkreis versammeln.
Und wir kommen wie der Hund, den sein Besitzer herbeipfeift. Palmerstone lockt uns mit Angeboten, die keiner von uns ablehnen kann. Er hält uns eine überaus schmackhafte Karotte vor Augen: sein phantastisches Vermögen. Ja, so ist es. Wir sind alle käuflich, jeder von uns. Deshalb haben wir die Sträflingskleider übergeworfen und lassen uns willig auf eine abgelegene Insel mitten im fernen Pazifik entführen.
Wenn nur diese verdammte Dogge nicht wäre! Dieses Riesenvieh. Jetzt hat es sich an meine Assistentin herangedrängt und schnüffelt an einer Stelle, wo man sie in der Öffentlichkeit nicht einmal berühren dürfte. Aber Tamara ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Ohne zu zögern greift sie der Riesendogge ans Halsband und schiebt sie von sich fort. Dieser Hund - wer ihn wohl mitgebracht hat? - könnte einem richtig das Vergnügen an dem herrlichen Tag verderben. Schnüffelnd und schnaufend jagt er in einem fort von einem zum anderen Gast.
Nein, beschweren will ich mich dennoch nicht. Diese Sonne, diese Weite, dieses Glitzern und Funkeln der Wellen, so weit der Blick reicht. Dieser glasklare, blaue Himmel, auf dem, nur um der Abwechslung willen, ein paar verirrte weiße Wolkenschäfchen schweben. Diese Unbeschwertheit. Nur bei Spiderton passt die Kleidung nicht recht, weil man auf seinem unbedeckten rechten Arm immer die Tätowierung vor Augen hat, aber meine Tamara zeigt in dieser Kleidung zum ersten Mal ihre Formen. Ich muss mir wirklich Mühe geben, nicht immer verstohlen auf ihr Haar und ihre Oberweite zu blicken. Nein, ich sollte das wirklich nicht tun. So viel muss doch ein für alle Mal klar sein: Zwischen uns darf es nichts anderes als ein strikt sachliches Verhältnis geben. Obwohl man natürlich streng logisch auch argumentieren könnte, dass eine Insel ein besonderer Raum ist, sozusagen extraterritorial. In solchen Räume könnten theoretisch andere Regeln gelten.
Solche Einfälle sind eine Qual. Sie erinnern mich immer wieder daran, dass mein biologisches Hirn grundfalsch programmiert ist. Für andere wäre das allerdings ein Grund zur Verzweiflung. Bei mir ist das anders. Ich trage immerhin die Gewissheit in mir, dass sich das alles bald endgültig ändern wird. Das Quantengehirn ...
Schön, wie dem schlanken Mann da vorn die Brise durch den Kimono fährt und die ganze Gestalt zu flattern beginnt! Der muss noch ganz jung sein, ich nehme an, nicht älter als fünfundzwanzig, allenfalls dreißig, ein wunderbares Alter. Außerdem hat er ein einnehmendes Gesicht. Jetzt nähert er sich Spiderton, rückt ihm geradezu auf die Pelle. Dem leuchtet die Begeisterung noch aus den Augen. Das ist so selten in unserer Wissenschaft. Für meine Begriffe spricht er allerdings etwas zu laut und zu selbstbewusst. Bei allem, was man gegen Spiderton sagen kann, ist er doch eine weltweit bekannte Autorität. Einer solchen Autorität sollte man mit etwas mehr Respekt