Die Weltenretter. Till Angersbrecht
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Andererseits wäre es dumm, wenn ich mich gerade hier, in dieser erlauchten Gesellschaft, auf mich selbst zurückziehen würde. Vielleicht ist das eines von den Genies, die der Lord hier versammelt hat. Möglich, dass der Mann mich sprachlos macht, sobald er die ersten Worte sagt. Vielleicht komme ich mir dann wie ein dummer Junge vor. Hier steht ja die reine Intelligenz auf dem Programm, der konzentrierte Geist sozusagen. Ganz gewiss werde ich kläglich versagen. Vielleicht ist der Mann bereits informiert, dass ich hier nur die Rolle einer Hilfskraft spiele, dass ich nichts weiter als ein zufällig ausgewählter Schreiberling bin.
Nicht weglaufen!, sagt die Stimme in meinem Rücken. Das hat hier überhaupt keinen Sinn. Auf dieser Insel sind wir wie in einen Käfig gesperrt. Jeder wird hier mit jedem auskommen müssen.
Ich bin überrascht und spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Kann der Mann etwa Gedanken lesen? Ein Glück, dass mir in diesem Augenblick eine Bö feinen Sprühregen ins Gesicht schlägt. Ich schütze mich mit der Hand gegen den Angriff und wende mich dann erst dem Fremden zu.
Eine merkwürdige Erscheinung, zumal der Mann, auf halber Höhe der Düne stehend, sich in diesem Moment gewissermaßen mit dem Schloss verbündet. Ich sehe nämlich nicht nur seinen Kopf, sondern über dem Scheitel der Düne knapp neben seinem Gesicht mit den vom Wind aufgewühlten Haaren auch noch eine rote Fahne, den Union Jack, während der dazugehörige Mast und das Herrenhaus noch verdeckt sind. Irgendwie reizt mich die Kombination zum Lachen.
Der Mann bemerkt mein Lächeln. Es verblüfft mich, dass er sogar dessen Grund richtig versteht.
Die rote Fahne wird immer zu Ehren eintreffender Gäste gehisst. Alles hier gehört dem Lord. Das Schloss und die ganze Insel sind sein Privatbesitz. Aber das ist Dir sicher bekannt.
Er duzt mich. Im ersten Augenblick bin ich darüber empört. Zweifellos ist das eine Anspielung auf meine Jugend – ich bin ja nur ein frisch entlassener Pennäler - und die Stellung, in der ich hier beschäftigt sein werde, ist lächerlich gering. Aber hat er deswegen das Recht, mich zu duzen?
Der Mann beobachtet mich, und wieder spüre ich das Blut in meinem Kopf, irgendwie fürchte ich, er könnte Gedanken lesen.
Doch er fährt mit gleichmütiger Stimme fort.
Hier gehört alles dem Lord. Die Frage ist nur, ob er selbst immer noch leibhaft unter uns weilt. Immerhin wurde er 1943 geboren. In diesem Jahr hätte er demnach das biblische Alter von 90 Jahren erreicht. Die Unterschrift auf den Einladungen erscheint mir reichlich schwungvoll für einen Mann dieses Alters, aber natürlich leben wir in einer Zeit der Methusalems, wo auch Greise sich noch bester Gesundheit erfreuen.
Er schiebt eine kurze Pause ein, dann blickt er mich bedeutungsvoll an.
Es wäre allerdings gewiss nicht das erste Mal, dass jemand Einladungen aus dem Jenseits verschickt.
Meine Eltern, erwidere ich, hätten mich nie gehen lassen, ohne ein unbedingtes Vertrauen zu dem berühmten Lord.
Kaum habe ich den Satz ausgesprochen, bereue ich diese Vertraulichkeit. Jetzt wird er glauben, ich ließe mir alles von meinen Eltern sagen.
Das sehe ich ein, sagt der Mann. Der Lord ist ein Philanthrop und einer der ganz großen philosophischen Köpfe unserer Zeit. Jetzt liegt ihm auch noch die Rettung des Planeten am Herzen, sozusagen als Krönung seines irdischen Wandels. Deswegen sind wir ja hier. Eine Handvoll Leute, sämtlich führende Köpfe auf ihrem Gebiet, hat er mit Erfolg dazu überredet, sich mitten im Pazifik zu treffen. Unbeschwert von allen äußeren Störungen soll der gesammelte Geist des Planeten die erlösende Formel finden. Das ist Lord Palmerstones Absicht. Ein ehrgeiziges Projekt. Wir werden sehen, was daraus wird.
Plötzlich streckt er mir die Hand entgegen.
Übrigens bin ich Psychologe. Maximilian Wendell, unter Freunden schlicht Maxi genannt, aber hinter meinem Rücken nennen sie mich auch Freud. Das ist natürlich lächerlich, wie sollen sich bescheidene Epigonen von meiner Art mit diesem Genie messen können.
Er lächelt, und sein Lächeln ist warm und gewinnend. Ich kann gar nicht anders, als dieses Lächeln auf gleiche Art zu erwidern. Die dargebotene Hand ergreifend stelle ich mich meinerseits vor.
Julian Seebenstein.
Natürlich muss ich bei einer solchen Vorstellung meinen Namen nennen, das gebietet die Höflichkeit, aber danach hätte ich erst einmal den Mund halten sollen. Ich weiß selbst nicht, warum sich meine Worte immer gleich selbständig machen. Das ist einer meiner zahlreichen Fehler, die mich im Nachhinein fruchtbar ärgern, natürlich dann, wenn es zu spät ist, weil ich die Dummheit schon begangen habe. Mitten im Satz bin ich sogar ins Stottern geraten.
Also, um ehrlich zu sein, also eigentlich habe ich hier überhaupt nichts zu suchen. Man brauchte halt jemanden, der mitschreiben kann, einen Sekretär. Die Leute sagen, dass meine Schrift gut zu lesen sei, außerdem bescheinigt man mir eine gewisse Geschicklichkeit beim Zusammenfassen von Gedanken. Aber was zählt das schon, eigentlich gar nichts. Das können so viele andere auch. Vermutlich werde ich kein Wort von all dem begreifen, was all diese klugen Leute, ich meine, diese Genies, von sich geben.
Wie immer rede ich total wirres Zeug, wenn ich in Verlegenheit gerate. Der Mann wird sein Urteil fällen: Furchtbar naiv und dumm dieser Mensch, wird er sich sagen.
Zu meiner Überraschung nickt Wendell mir beschwichtigend zu.
Keine Angst, Julian, vor den Experten. Die sollten ihre Worte immer so verständlich und einfach wählen, dass jeder intelligente Mitbürger sie auf Anhieb versteht. Was nützt uns der Fachidiot, wenn er ein für alle anderen Menschen unverständliches Rotwelsch absondert? Du bist hier sozusagen das Sieb, das alles Gemeinverständliche protokolliert und bewahrt und alle Schlacken der Fachidiotie hindurch fallen lässt. Eine wichtige Aufgabe!
In diesem Moment beginnt der Wind stärker zu blasen. Nur undeutlich verstehe ich seine letzten Worte. Wir überwinden den Kamm der Düne und steigen auf ihrer anderen Seite hinab. Dort ist es beinahe still, so gut schirmt der Wall den vor uns liegenden Garten und das Schloss gegen die Böen ab. Weiter oben fegt der Sturm über uns hinweg und treibt sein Spiel mit den hin und her schießenden Möwen; eine ganz Schar von ihnen umsegelt das vielfach vergiebelte Dach mit den Kaminen.
Wendell lacht, während wir das imposante Gebäude betrachten.
Irgendwo in Sussex könnte die Villa genauso gut stehen. Ganz im Stil der Nabobs erbaut, eine getreue Kopie der Schlösser aus viktorianischer Zeit. Der Lord legt viel Wert auf die äußere Repräsentation. Adel verpflichtet eben, besonders wenn man aus einer der ältesten Familie Englands stammt. Bei der Eroberung des indischen Subkontinents hätten die Vorfahren Palmerstones, so heißt es, eine rühmliche Rolle gespielt. Vermutlich werden wir ihren Porträts in der Festhalle begegnen.
Die Engländer trauern wohl immer noch dem verlorenen Empire nach?
Gewiss! Und hier lebt es noch fort, allerdings nur auf kläglichen dreißig Quadratkilometern. Es heißt, der Lord habe sich stets nach Merson Island zurückgezogen, wenn er mit schwierigen Problemen rang. Eigentlich hat er sich zeitlebens immer nur mit den schwierigsten Problemen befasst.
Wie haben uns dem Eingang genähert, in dem die übrigen Gäste bereits verschwunden sind. Wendell blickt zur Fassade auf und weist dann mit dem Finger auf die Inschrift über dem Eingangsportal.
Er selbst ist übrigens auch eine schwierige Natur.