Die Facebook-Entführung. Jürgen Hoffmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Facebook-Entführung - Jürgen Hoffmann страница 3
Als Sebastian sich einen Joint anzündete, fragte er nicht, ob das in meiner Wohnung okay sei, sondern ob ich auch einen wolle. Er fragte es beiläufig, weil es sein Ego streichelte, keine große Sache daraus zu machen.
Ich sah alles so, wie man es sehen muss, unverstellt. Ganz anders Sebastian, er schlenderte durch mein Wohnzimmer, rauchte scheinbar selbstvergessen (in Wirklichkeit das Gegenteil von selbstvergessen) und war sich sicher, von mir betrachtet zu werden, wenn er dekorativ ins Nichts schaute. Ich empfand dieses Verhalten als Angriff, als unfreundlichen Akt, als Aufforderung, Gegenmaßnahmen einzuleiten.
„Nimm noch einen Drink, diesmal einen richtigen.“
Die Tropfen wirkten schnell und fabelhaft, als Sebastian Molitor zusammenklappte war das wie ein Naturschauspiel, berückender als ein Sonnenuntergang. Er sah mich an mit verdrehten Augen, ich lächelte freundlich zurück, vielleicht war es auch eher ein Grinsen. Die Minuten, in denen Menschen die Kontrolle über sich verlieren, sind besonders, man muss bei ihnen sein in diesen Momenten und ihnen klar machen, dass sie gerade dabei sind, die Welt, die wir eben noch miteinander geteilt haben, zu verlassen. Sie wissen nicht, wie ihnen geschieht, und wenn man nett ist, sagt man ihnen vor dem Knockout noch langsam und deutlich, dass sie nichts zu befürchten haben, „du bist gerade dabei, das Bewusstsein zu verlieren, Sebastian, aber das ist nichts, was dich zu sehr beunruhigen sollte, es ist nur eine Erfahrung, die ich dir schenke, eine Sache, durch die du ohne Schaden hindurchgehen wirst, es wird alles wieder so, wie es war, bevor du so dumm warst, diesen Drink zu nehmen. Kannst du mich noch verstehen, verstehst du, was ich dir sage? Du wirst jeden Moment das Bewusstsein verlieren, du kannst nichts dagegen tun, dafür ist es zu spät. Wenn du wieder zu dir kommst, wirst du genügend Zeit haben, gründlich nachzudenken. Wenn!“ Und so weiter, und so weiter, Sebastian glotzte mich an, packte mich an der Schulter, er versuchte mich mitzunehmen auf seinem Weg in die Ohnmacht, und wusste doch, dass ich zurückbleiben und so die völlige Kontrolle über ihn und seinen Körper bekommen würde. Das Letzte, was ein Opfer in einer solchen Situation tut, ist, einen Blick aufzusetzen, der es dem Täter unmöglich machen soll, ihn anschließend zu töten.
Als Sebastian weggetreten war, zog ich ihm Schuhe und Socken aus, was eine irritierende Erfahrung war.
First Post, second Post
Sebastian Molitor:
Stoppt die Umbauarbeiten!
Ihr seid keine Baustellen, ihr seid Deppen.
Statt euch zu wehren gegen draußen, wehrt ihr euch gegen euch selbst, und das ist sagenhaft falsch und dumm. Statt euch gegen die Anforderungen, die aus euch kleine Duracell-Hasen machen wollen, zu wehren, sie zurückzuweisen, macht ihr aus euch kleine Duracell-Hasen. Ihr bekämpft euren Körper im Fitnessstudio und ersetzt euren eignen Blick durch einen antrainierten Blick.
Ich habe 147 Facebook-Freunde, ich werde mir jeden einzelnen von euch vornehmen, und ich werde anfangen mit Mila.
Hallo Mila. Nimm das (zur Kenntnis):
Die Scheiße, wie du dich hochkonzentriert lässig an irgendwelche Unimauern lehnst. Man sieht nicht dich, sondern das Bild, das du von dir im Kopf hast und ausperformen willst. Die urbane junge Frau, selbstbewusst, unbequem, dauerspontan, ein gewinnendes, lautes Lachen. Du kannst aber auch nachdenklich sein und weißt genau, wie du dabei schauen musst (aber nicht, was du dabei denken musst). Die Wahrheit ist, dass du gar keine urbaneske Urbanfrau mit verwirrend/faszinierend vielen FACETTEN bist, sondern eine echte Witzfigur reinsten Wassers.
Und ich verrate euch Facebook-Heinis noch ein Geheimnis: Mila ist in Robert verliebt, den die meisten von euch kennen, wie die meisten Mila kennen. Sie versucht ihn zu kriegen, indem sie ihn neckt und reizt. Ein erbärmliches Spiel wie aus einer Soap, sie streiten sich, lassen sich von ihren besten Freundinnen und Freunden vor dem jeweils anderen warnen, und fallen sich am Ende um den Hals. In der Soap. In echt nicht.
Peter Rost:
Hallo, Sebas? Habe versucht dich anzurufen, dich aber leider nicht erreicht. An alle, die deinen Post gelesen haben: Das ist garantiert NICHT Sebas! Vergesst den Post! Was ist da los?
Harald Brauck:
Oder er ist es doch. Das Mila-Bashing ist unterste Schublade, wird ihr aber null schaden. Sebas = Witzfigur. Was gut sein kann: Wenn ich dich die Tage sehe, haue ich dir eine aufs Maul.
Sebastian Molitor:
Was gut sein kann: Dass du der nächste auf meiner Liste hier bist, Kleinharald. Und zu Peter, wichtig!!!!!!: Stimmt, ich bin es nicht! Oder nicht allein. Die WAHRE Geschichte ist: Ich bin entführt worden. Hoffe, heute noch eine Nachricht dazu posten zu können.
Kemal Rock:
Du studierst Jura, richtig? Oder war es BWL? Jedenfalls keine gute Idee, wenn du dich an Themen versuchst, von denen du keine Ahnung hast. Dieses Zeug „dein wahres Gesicht“, lasst euch nicht manipulieren, wehrt euch etc., ist Kompletthumbug. There ain’t no such thing like a true you. Es gibt keinen Weg zu deinem „wahren Ich“ irgendwo in deinem verfickten Inneren. Was du schreibst ist langweilige Scheiße. Um es höflich zu formulieren. Was hältst du von meinem Vorschlag, einfach die Klappe zu halten?
Sebastian Molitor:
Ich brauche Eure Hilfe, KEIN FAKE! Keine Ahnung, was hier wirklich läuft. FAKT ist: Ich bin entführt worden und sitze in einem beschissenen Keller. Mein Entführer (krass: MEIN ENTFÜHRER) lässt mich unter seiner Aufsicht hier posten. Das macht für mich nur Sinn, wenn klar ist, dass euch klar ist, was Sache ist. Ich nehme an, mein Entführer hat zu meinem Vater gesagt: Keine Polizei! Aber er sagt nicht: keine Öffentlichkeit!
Was vor den Posts geschah (Das erste Gespräch nach der Entführung)
„Du solltest wissen, wie dein Gesicht aussieht, wenn es scheiße aussieht. Blutverschmiert.“
Krummnasig.
Eine Viertelstunde nach dem Wiedererwachen, dem Auftauchen aus einem ohnmächtigen Schlaf, der härter, tiefer, dunkler und zerrender gewesen war als jeder Schlaf davor in seinem Leben, die ihm jetzt alle vorkommen wie eine harmlose Babyvariante von Schlaf (oder war es im Gegenteil so, dass er zum ersten Mal wieder so geschlafen hat wie ein Baby? Ist es nicht so, dass wir in den ersten Monaten unserer Offline-Existenz die Träume von Verzweifelten träumen, die nichts verstehen und sich sehnen nach dem Weg zurück?), hört er Schritte. Sein Herz schlägt schneller als deins. Er fühlt sich wie auf Drogen, ein bisher nicht probierter Stoff, die Kehle ist rau, die Muskeln haben eine andere Textur als davor, sie sind verwandelt. Wie bei allen oder fast allen Männern seiner