Die Facebook-Entführung. Jürgen Hoffmann
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Link nimmt sich einen Stuhl und positioniert sich so, dass Sebastian ihn genau gerade nicht erreicht, wenn er sich so weit nach vorne bewegt, wie die Kette es zulässt. Link trägt einen Jogginganzug, was bedeutet, er ist verkleidet. Ein Anzugmann in Casual Wear.
„Okay, Sebastian, hör mir zu. Die beiden wichtigsten Punkte sind, erstens: Das hier ist eine richtige Entführung. Das kommt uns beiden grotesk vor, aber das ist exakt die Lage, in der du dich befindest. Zweitens: Ich weiß nicht, was ich eigentlich vorhabe. Du bist eine Laborratte, auf die irgendwelche Experimente warten. Ich halte das für eine sehr gute Ausgangsposition, und der Punkt ist jetzt, ob uns beiden das Richtige dazu einfällt. Hörst du, wie ich die Luft durch die Nase ziehe? Es fühlt sich so echt an, das ist fantastisch, es ist so real, mit dir hier in diesem Keller zu sitzen. Ich glaube, das ist eine richtig große Sache, die wir hier vorhaben.“
Ich dachte immer, ich bin ein Feigling, denkt Sebastian, und wahrscheinlich bin ich das auch. Aber sein Instinkt sagt ihm, dass Link nicht gefährlich ist. Er denkt aber auch, dass man das ja nicht wissen kann. Die Menschen haben Abgründe, sagt man und liest man, sie sind unberechenbar, und auch wenn Sebastian bisher nicht die geringste Erfahrung in dieser Richtung vorzuweisen hat (im Gegenteil, nach seiner Erfahrung sind die Menschen nachhaltig harmlos, ganz eindeutig), bedeutet das ja nicht, dass in Link nicht doch etwas absolut Krankes wuchert, das jederzeit zum Ausbruch kommen kann.
Sebastian drängt sich gegen die Wand, als könnte die Schutz bieten, er duckt sich und krümmt sich und kann doch nicht verhindern, dass ihn vier Schläge voll ins Gesicht treffen.
Nach der Abreibung
Ändert sich etwas, wenn du 20 Minuten lang nichts anderes tust, als dein blutverschmiertes Gesicht im Spiegel zu betrachten? Wie lange dauert es, bis du dir fremd wirst?
Was ist falsch daran, brav zu sein? Und Sebastian bemüht sich ja, nicht zu brav zu sein, weil er weiß, dass das in seinem Alter eine große Sünde wäre. Die Alten erzählen mit einem debilen Leuchten in den Augen ihre Jugendgeschichten, und man sieht ganz genau, wer es damals wirklich ernst gemeint hat und wer nur irgendwelche RTL-Geschichten erzählt, in denen die falschen Bands vorkommen. Die dunklen Schatten einer zu braven Jugend verlassen dich nie. Die dunklen Schatten einer zu braven Jugend verlassen dich nie! Sie hinterlassen Spuren in deinem Gesicht! Feigheit in der Jugend ist ein nicht zu tilgender Makel. Das ist der Preis, den du zu zahlen hast, wenn du dich in jungen Jahren nicht getraut hast, wenn du ein Pickelgesicht warst, nicht hübsch warst, wenn du nur traurig vor dich hingewichst hast, wenn du die Tür nicht gefunden hast, durch die du gehen musst, wenn du deine Jugend nicht verschleudert hast, dieses große Glück, das alle so besoffen macht. Tausend Bilder davon im Kopf, wie Jugend aussieht, aber auf keinem einzigen davon ist dein eigenes trauriges Gesicht zu sehen.
Sebastian kennt die Gefahr, so ein Altersgesicht möchte er niemals haben, aber, das ist das Problem: Er meint es einfach nicht ernst. Er ist brav by nature oder qua Einsicht, es widerstrebt ihm, unvernünftig zu sein oder ungerecht oder hochfahrend oder idealistisch, er kommt sich sofort albern vor, wenn er sich in etwas hineinsteigert. Auch die zweite Art der Unvernunft, der Exzess, er wird müde, wenn er nur daran denkt. Er hält sich pflichtschuldig auf dem Laufenden, in welche Bars man in Frankfurt gehen muss, es beeindruckt ihn kein bisschen, was ihn immerhin davor bewahrt, sich falsch zu verhalten, aufgeregt und hibbelig, entweder bist du in diesen Bars der Auch-Dabei oder der Grund, warum Auch-Dabeis in diese Bar gehen. Alles furchtbar, ein unglaublicher Stress für Sebastian, die anderen lassen ihn einfach nicht in Ruhe und er selbst lässt sich erst recht nicht in Ruhe. Er hasst es, die Standards einer richtigen Jugend erfüllen zu müssen, aber die Strafe dafür, wenn man es nicht tut, ist so brutal, dass er es versucht, und es klappt ja auch. Sebastian kann überall hingehen und komplett angstfrei jedes Gespräch aufnehmen, er ist kein ängstlicher Verlierer, nicht einmal im Ansatz. Wenn ein hübsches Mädchen in seinem Alter wieder auf dem Markt ist, ist Sebastian ein natürlicher Kandidat.
Aber er meint es nicht ernst, und deswegen ist alles, was er tut, zu wenig. Für seinen Vater, das weiß Sebastian, ist er eine einzige Enttäuschung. Dessen Kraft ist so umwerfend, dass es seinen Sohn anwidert, er kann ihm nicht einmal beim Essen zusehen, ohne Hass zu empfinden, dieses übertrieben Vitale und Willentliche sogar hier, diese virile Art in allen Lebensäußerungen. Der alte Molitor würde es lieben, mit seinem Sohn zu kämpfen, umso kämpferischer und unbequemer Sebastian, desto mehr „das ist mein Sohn“, umso mehr Streit, desto mehr Beziehung, die Krise als Motor für alles, es heißt ständig „dahin gehen, wo es wehtut“ und „da musst du jetzt durch“. Und wie toll es ist, den Sohn demonstrativ nicht zu loben, aber mit einem pseudo-versteckten (tatsächlich aber total ausgestellten) Lächeln zu zeigen, wie beglückt man in Wirklichkeit über ihn ist. Das alles geht mit Sebastian nicht, es ödet ihn an, diese ganzen Spiele, Widerstand ohne Sinn und Verstand. Wenn sein Vater keine Gefühle für ihn hat, hat er keine Gefühle für ihn - keine Lust, sie künstlich zu erzeugen mit irgendwelchen Taktiken.
Und jetzt, im Keller?
Haben wir Mitleid mit Sebastian, wenn wir ihn am Boden sehen, sein malträtiertes Gesicht? Es sieht schlimm aus, aber Sebastian findet selber: womöglich nicht schlimm genug. Was sofort klar ist, total klar: Er muss ein Bild machen und es posten. Wenn Link aus der Entführung eine Facebook-Sache machen will, muss dieses Bild raus. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, die Entführung zu geniessen. Auf die perverse Art.
On Facebook
Den nächsten Text schreiben sie gemeinsam, „es muss etwas passieren, wenn nicht, wird es eng für dich und eng für mich“. Links Plan ist, etwas in Gang zu setzen, das ihm eingibt, was die nächsten Tage zu tun ist.
Auf den ersten Post gab es innerhalb der ersten 24 Stunden 14 Kommentare. Das ist nicht berühmt, aber vielleicht ein Anfang.
Stoppt die Umbauarbeiten!
Sebastian Molitor:
IS! Nur ohne Gewalt!
Mein Gesicht ist durchlöchert von der Anstrengung, eines zu machen. Ein Gesicht, das zu euch passt. Wenn ich aus dem Fenster sehe, sehe ich lauter Dinge, die ich nicht verstehe. Wenn ich auf Facebook schaue, sehe ich Hass. Ihr verkauft euere Seele für ein paar beschissene Likes.
Das ist euch zu wehleidig, zu Hippie? Ja, klar. Dann nehmt das:
Das ist hier ist ein Bekenntnis zur Tat. Ein Versprechen. Statt larmoyant zu larmoyieren, halte ich es für fairer, euch zu warnen. Statt mir weiter selber Zucker in den Arsch zu blasen, werde ich auf euch scheißen.
Was für ein armer Irrer ich bin? Euer Problem ist: Auch ein Verlierer kann euch die Rübe vom Kopf schießen. Den Kugeln ist es egal, ob sie von einer Witzfigur abgefeuert werden. Euer Problem ist: Ich weiß, wo ihr seid. Wie viele von euch es erwischen wird, hängt davon ab, wie schnell die Polizei mich stoppen wird.
An Facebook: Das ist Literatur, das ist ein artifizieller Text. Also: NICHT LÖSCHEN.
Pius Küppers:
Krasse Scheiße. Ich hoffe, die Polizei zieht dich so schnell wie möglich