Schlaf, Kindlein, schlaf.... Mark G. Hauser

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Schlaf, Kindlein, schlaf... - Mark G. Hauser

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Worte gingen ihr leise, aber ganz von selbst über die Lippen. „Ich werde gehorchen.“

      5

      „Philipp, wo bleibst du denn?“ Cynthia Berger wurde langsam ungeduldig. „Ben muss deinen Bruder doch noch zum Arzt fahren, er bekommt doch heute seine Impfung.“ Während Philipp mit seinem Violinenkasten die Treppe herunter kam, half Ben dem kleinen weinenden Marcel seine Jacke anzuziehen. Auch wenn er erst fünf Jahre alt war, so wusste er schon, dass eine Impfung nicht besonders angenehm sein konnte. Ben kannte diese Prozedur, schließlich war er nun schon seit gut neun Jahren bei der Familie Berger als Chauffeur angestellt. In dieser Zeit hatte er zahlreiche und unterschiedlichste Fahrten für die Familie erledigt. Er brachte Cynthia Berger zu Geschäftsessen, Christoph Berger zum Flughafen, Jana zum Einkaufen oder die Kinder zur Schule, Kindergarten oder eben zum Arzt. Er mochte seine Arbeit, aber ganz besonders freute er sich, wenn er Jana fahren durfte. Besonders, als er erfahren hatte, dass sie derzeit keinen Freund hatte, hatte er vermehrt ein Auge auf die junge Frau geworfen. Sie gefiel ihm einfach und er war ganz fasziniert von ihrer Lebensfreude und ihrem süßen Lächeln. Natürlich konnte niemals etwas aus ihnen beiden werden, dessen war sich Ben bewusst. Immerhin war er gut 35 Jahre älter als Jana, im Gegensatz zu ihr nicht besonders sportlich und als wären das nicht genug Hindernisse, hatte Ben auch nie viel Glück bei den Frauen. Er war zwar vor vielen Jahren einmal verheiratet gewesen, doch seine Frau hatte ihn bereits nach zwei Jahren Ehe wieder verlassen. Dennoch hegte er immer wieder die leise Hoffnung, dass er Jana doch gefallen könnte. Als nun endlich Cynthia Berger vorne und ihre beiden Söhne hinten in den Audi eingestiegen waren, fuhr Ben aus der Auffahrt und bog an der ersten Kreuzung nach rechts in die Innenstadt. Den Weg zu Philipps Violinenlehrerin kannte er mittlerweile auswendig, er fuhr ihn ja nun schon seit gut drei Monaten. Ben parkte in zweiter Reihe. Philipp stieg aus, verabschiedete sich, ging zur Tür und klingelte. Er hörte seine Lehrerin durch die Lautsprechanlage: „Hi Philipp. Komm rauf.“ In diesem Moment ertönte der Summer und Philipp ging nach oben. Lydia wartete bereits mit verschränkten Armen in der Tür auf ihn. „Du bist spät dran“, sagte sie mit einem Zwinkern. „Ja, ist aber nicht meine Schuld“, antwortete ihr Schüler, während er noch die letzten Stufen erklomm. „Ben ist so langsam gefahren.“ „Soso, Ben war also Schuld. Bestimmt. Na gut, jetzt beeil dich aber, damit wir noch unser Pensum für heute schaffen.“ Philipp setzte sich auf einen Stuhl im Wohnzimmer, packte seine Violine aus und schlug das Notenbuch auf. In diesem Moment klingelte Lydias Handy. „Schlag schon mal die richtige Seite auf, ich bin gleich zurück.“ Lydia verließ das Zimmer und zog ihr Telefon aus der Tasche. Unterdrückte Nummer. Wer ruft denn genau während der Unterrichtszeit an, dachte sich Lydia und nahm das Gespräch an. „Hallo?“ „Hallo Lydia.“ „Hey Sandra. Wie geht’s dir?“ Bereits im nächsten Moment verschwand ihr Lächeln und ihre Augen richteten sich gerade aus. „Ja, Sandra“, sagte sie leise, legte auf und steckte ihr Telefon zurück in die Hosentasche. Mit leerem Blick ging Lydia langsam zu ihrem Schrank, in dem sie die Utensilien für den Unterricht untergebracht hatte. Sie öffnete die linke Flügeltür und nahm aus einer kleinen Schachtel eine Ersatzsaite für ihre Violine heraus. Ohne die Tür wieder zu schließen, ging Lydia bedächtig zurück ins Wohnzimmer. Philipp, der mit dem Rücken zu ihr auf seinem Stuhl saß, war immer noch in sein Notenheft vertieft. Er hörte Lydias Schritte hinter sich und legte seine Violine an. „Schau Lydia, ich habe ganz fleißig geübt.“ Doch noch bevor er den ersten Ton spielen konnte, stand Lydia bereits hinter dem Jungen, legte die Saite um seinen Hals und zog zu. Die scharfe Saite schnitt sich sofort tief in seinen Hals, so dass Philipp nicht einmal schreien konnte. Er schlug wild mit den Armen um sich, traf aber nichts, was ihn aus seiner Qual hätte befreien können. Seine Peinigerin zeigte kein Mitleid, sondern zog die Schlinge nur noch fester, während ihr Blick immer noch auf einen Punkt in weiter Ferne fixiert war. Obwohl sich die Saite nicht nur in den Hals des Jungen, sondern auch tief in ihre Hände schnitt, hörte sie nicht auf, die Saite immer fester zu ziehen. Blut lief ihr über die Hände und vermischte sich mit dem Blut des kleinen Jungen. Erst als Philipp keine Regung mehr zeigte, ließ Lydia die Saite los. Sie holte ihr Telefon aus der Tasche und wählte.

      Kommissar Peter Ferenc versuchte, sich einen Weg durch die Menge der Schaulustigen zu bahnen. Er konnte ja verstehen, dass ein Polizeieinsatz für Aufregung sorgte, aber manchmal fand er die Reaktion der Leute doch übertrieben. Sie würden ja doch nichts vom Tatort mitbekommen, wozu also die ganze Panik? Morgen würden sowieso alle Zeitungen darüber berichten. Als er zum Absperrband vor dem Gebäude kam, zeigte er kurz seine Marke, woraufhin ihn ein Streifenpolizist, der vergeblich versuchte, die Menge zu zerstreuen, durchließ. Er betrat den Hausflur und traf dort auf seinen Kollegen Bernd Schiemek. „Was haben wir hier, Bernd?“ Schiemek, der in seine Notizen vertieft war, antwortete ohne aufzublicken. „Im dritten Stock wurden zwei Leichen gefunden, ein ca. zehnjähriger Junge und seine etwa achtundzwanzigjährige Violinenlehrerin, beide mit durchtrennten Kehlen.“ Schiemek blickte auf. „So wie es aussieht, hat die Lehrerin erst den Jungen und dann sich selbst ermordet. Am besten siehst du es dir selbst an.“ Sie gingen die Treppe hinauf in den dritten Stock. Ferenc hakte nach. „Es gibt also Hinweise, dass die Lehrerin die Mörderin ist?“ „Es ist wohl recht eindeutig“, antwortete Schiemek. „Sie wurde mit einer Violinensaite um den Hals gefunden, die sie noch verkrampft mit beiden Händen festhielt. Es ist wohl die gleiche Saite, mit der der Junge ermordet wurde, sein Blut haben wir ebenfalls daran gefunden. Zumindest allem Anschein nach. Definitiv können wir das natürlich erst nach der DNA-Analyse sagen, aber es würde mich doch sehr wundern, wenn es nicht so wäre. Das Ergebnis der Analyse sollte uns auf jeden Fall in den nächsten 48 Stunden vorliegen. “ Sie betraten die Wohnung. Die Kollegen von der Spurensicherung packten gerade ihre Sachen zusammen. Sie gingen durch den Gang in das Wohnzimmer. Auf einem Stuhl saß der Junge, den Kopf in einem merkwürdigen Winkel nach hinten gelegt. Seine weit aufgerissenen Augen starrten an die Decke. Sein Hemd war blutverschmiert, an seinem Hals entlang konnte man eine dünne, aber sehr tiefe Wunde sehen. Neben ihm auf dem Boden lagen seine Violine und sein Notenbuch. Ein Stück von ihm entfernt lag eine junge Frau. Sie hielt noch immer die Violinensaite fest, die sich tief in ihren Hals und ihre Hände geschnitten hatte. Ferenc kniete sich neben die Frau. „Gibt es Hinweise auf ein Motiv?“ „Bisher ist es noch ein wenig dürftig. Die Mutter des Jungen, Cynthia Berger, hat wohl noch einen Anruf von ihr erhalten, bevor sie sich selbst das Leben nahm.“ „Cynthia Berger? Von diesem Logistikunternehmen?“ „Genau die. Sie hat einen Schock erlitten und ist derzeit im Krankenhaus. Ihren Mann haben wir informiert.“ Ferenc stand auf. „Konnte man herausfinden, warum sie angerufen hat?“ „Sie wollte sich scheinbar für irgendetwas rächen.“ Schiemek blätterte in seinen Notizen. „Sich für etwas rächen? Wofür?“ „Das wissen wir noch nicht. Laut Frau Berger hat sie nur einen Satz gesagt und dann wieder aufgelegt.“ Ferenc blickte nochmals auf die Leiche der jungen Frau und legte die Stirn in Falten. „Nur einen Satz? Und was hat sie gesagt?“ Schiemek folgte Ferencs Blick und betrachtet nun ebenfalls den toten Körper. „Wohl so etwas wie: Die Rache gehört mir.“

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