Heidis Lehr- und Wanderjahre. Johanna Spyri

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Heidis Lehr- und Wanderjahre - Johanna Spyri

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hinunter übersehen, es war

       aber niemand darauf sichtbar.

       »Jetzt seh' ich's«, erklärte die Barbel; »siehst du dort?« und

       sie wies mit dem Zeigefinger weit ab vom Bergpfad. »Es klettert

       die Abhänge hinauf mit dem Geißenpeter und seinen Geißen.

       Warum der heut' so spät hinauffährt mit seinen Tieren? Es ist

       aber gerad' recht, er kann nun zu dem Kinde sehen, und du

       kannst mir um so besser erzählen.«

       »Mit dem Nach-ihm-sehen muß sich der Peter nicht

       anstrengen«, bemerkte die Dete; »es ist nicht dumm für seine fünf

       Jahre, es tut seine Augen auf und sieht, was vorgeht, das hab' ich

       schon bemerkt an ihm, und es wird ihm einmal zugut' kommen,

       denn der Alte hat gar nichts mehr als seine zwei Geißen und die

       Almhütte.«

       »Hat er denn einmal mehr gehabt?« fragte die Barbel.

       »Hat er denn einmal mehr gehabt?« fragte die Barbel.

       »Der? Ja, das denk' ich, daß er einmal mehr gehabt hat«,

       entgegnete eifrig die Dete; »eins der schönsten Bauerngüter im

       Domleschg hat er gehabt. Er war der ältere Sohn und hatte nur

       noch einen Bruder, der war still und ordentlich. Aber der Ältere

       wollte nichts tun, als den Herrn spielen und im Lande

       herumfahren und mit bösem Volk zu tun haben, das niemand

       kannte. Den ganzen Hof hat er verspielt und verzecht, und wie es

       herauskam, da sind sein Vater und seine Mutter hintereinander

       gestorben vor lauter Gram, und der Bruder, der nun auch am

       Bettelstab war, ist vor Verdruß in die Welt hinaus, es weiß kein

       Mensch wohin, und der Öhi selber, als er nichts mehr hatte als

       einen bösen Namen, ist auch verschwunden. Erst wußte niemand

       wohin, dann vernahm man, er sei unter das Militär gegangen

       nach Neapel, und dann hörte man nichts mehr von ihm zwölf

       oder fünfzehn Jahre lang. Dann auf einmal erschien er wieder im

       Domleschg mit einem halberwachsenen Buben und wollte diesen

       in der Verwandtschaft unterzubringen suchen. Aber es schlossen

       sich alle Türen vor ihm, und keiner wollte mehr etwas von ihm

       wissen. Das erbitterte ihn sehr; er sagte: ins Domleschg setze er

       keinen Fuß mehr, und dann kam er hierher ins Dörfli und lebte

       da mit dem Buben. Die Frau muß eine Bündnerin gewesen sein,

       die er dort unten getroffen und dann bald wieder verloren hatte.

       Er mußte noch etwas Geld haben, denn er ließ den Buben, den

       Tobias, ein Handwerk erlernen, Zimmermann, und der war ein

       ordentlicher Mensch und wohlgelitten bei allen Leuten im Dörfli.

       Aber dem Alten traute keiner, man sagte auch, er sei von Neapel

       desertiert, es wäre ihm sonst schlimm gegangen, denn er habe

       desertiert, es wäre ihm sonst schlimm gegangen, denn er habe

       einen erschlagen, natürlich nicht im Krieg, verstehst du, sondern

       beim Raufhandel. Wir anerkannten aber die Verwandtschaft, da

       meiner Mutter Großmutter mit seiner Großmutter

       Geschwisterkind gewesen war. So nannten wir ihn Öhi, und da

       wir fast mit allen Leuten im Dörfli wieder verwandt sind vom

       Vater her, so nannten ihn diese alle auch Öhi, und seit er dann

       auf die Alm hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der ›AlmÖhi‹.

       «

       »Aber wie ist es dann mit dem Tobias gegangen?« fragte

       gespannt die Barbel.

       »Wart nur, das kommt schon, ich kann nicht alles auf

       einmal sagen«, erklärte Dete. »Also der Tobias war in der Lehre

       draußen in Mels, und sowie er fertig war, kam er heim ins Dörfli

       und nahm meine Schwester zur Frau, die Adelheid, denn sie

       hatten sich schon immer gern gehabt, und auch wie sie nun

       verheiratet waren, konnten sie's sehr gut zusammen. Aber es ging

       nicht lange. Schon zwei Jahre nachher, wie er an einem Hausbau

       mithalf, fiel ein Balken auf ihn herunter und schlug ihn tot. Und

       wie man den Mann so entstellt nachhause brachte, da fiel die

       Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und

       konnte sich nicht mehr erholen, sie war sonst nicht sehr kräftig

       und hatte manchmal so eigene Zustände gehabt, daß man nicht

       recht wußte, schlief sie, oder war sie wach. Nur ein paar

       Wochen, nachdem der Tobias tot war, begrub man auch die

       Adelheid. Da sprachen alle Leute weit und breit von dem

       traurigen Schicksal der beiden, und leise und laut sagten sie, das

       sei die Strafe, die der Öhi verdient habe für sein gottloses Leben,

       sei die Strafe, die der Öhi verdient habe für sein gottloses Leben,

       und ihm selbst wurde es gesagt und auch der Herr Pfarrer redete

       ihm ins Gewissen, er sollte doch jetzt Buße tun, aber er wurde

       nur immer grimmiger und verstockter und redete mit niemandem

       mehr, es ging ihm auch jeder aus dem Wege. Auf einmal hieß es,

       der Öhi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht

       mehr herunter, und seither ist er dort und lebt mit Gott und

       Menschen im Unfrieden. Das kleine Kind der Adelheid nahmen

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