Die Spur des unbekannten Bruders. Winfried Paarmann

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Die Spur des unbekannten Bruders - Winfried Paarmann

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War mein Vater auf Theo getroffen?

       Hatte Theo doch überlebt?

       Aber warum war er dann nicht zu seiner Familie zurückgekehrt? Wer hatte ihn großgezogen?

       Und auch nach jenem Ruderausflug blieb ein Zweifel, ob diese Gleichheit der äußeren Erscheinung ein sicherer Hinweis war. Immer wieder entdecken Menschen, dass es unter der Vielzahl der anderen etwas wie „Doppelgänger“ von ihnen gibt. Nur die ganz nahe Konfrontation zeigt die geringfügigen Unterschiede. Überhaupt staunen wir wenig über das entgegen gesetzte Phänomen: Dass die Natur mit ihren Millionen, mit ihren Milliarden Menschen immer neue unverwechselbare individuelle Gesichter erschafft. Der „Baukasten“ ist immer gleich und eigentlich klein: Verfügbar sind Stirn, Augen, Nase, Mund und Kinn, alles im Format einer tellergroßen Fläche. Ein Wunder, dass dies ausreicht, um Milliarden von Exemplaren einen ganz eigenen unverwechselbaren Ausdruck zu geben.

       Ich komme zu meinem Vater zurück. Es blieb nicht der einzige Hinweis. Die Anzeichen, dass ein Mann mit dem Erscheinungsbild meines Vaters, möglicherweise Theo, sich gleichfalls in dieser Gegend aufhielt und auch deutlich hier seine Spuren hinterließ, mehrten sich. Es waren, zum Erschrecken meines Vaters, zunehmend Spuren gewalttätiger Aktionen.

       Ich nehme vorweg, dass es am Ende, nach einer Reihe dramatischer Vorfälle, zu einer Begegnung kam; ein Ereignis, das Richard inzwischen intensiv herbeiwünschte und das sich doch mit einem tragischen Schatten in sein Gedächtnis eingebrannt hat.

       Mein Weg als junge Therapeutin in Graz hatte einen gut gesicherten Anfang genommen. Manches was in den nun folgenden Wochen geschah, sollte mein Weltbild, das einer studierten Psychologin, auf unerwartete Weise herausfordern.

       Ich habe mir den Blick der Psychologin, der auf einfühlende wie auch nüchterne Analyse angelegt ist, stets zu bewahren versucht. Was mir fremd und unerklärlich erscheint, bearbeite ich zuerst mit den gelernten psychologischen Werkzeugen und Erklärungsmodellen. Oft finde ich die passenden Lösungen. Und oft muss ich diese passenden Lösungen korrigieren. Manchmal entziehen sich Phänomene jeder sicheren Einordnung.

       Ich habe gelernt, damit zu leben – und trotzdem eine gute einfühlsame Therapeutin zu sein, mit den Werkzeugen, den manchmal vielleicht auch unzulänglichen, die mir verfügbar sind.

       Meine ältere Kollegin, mit der ich nun die Praxis teilen durfte, befand sich damals, angeregt durch ein Buch, in einer Phase der Neuorientierung, dies nicht im Sinn eines großen Umbruchs, doch sie begann zunehmend mit Hypnosetechniken zu arbeiten und erzielte auch mehr und mehr gute Erfolge damit. Es lag ihr daran, weiter in die „verborgenen Kammern“ des Unterbewusstseins vorzudringen, als es im sonstigen therapeutischen Gesprächsaustausch möglich ist.

       Ich habe hier viel gelernt, auch wenn Hypnosetechniken für mich ein Mittel blieben, das ich nur auf ausdrücklichen Wunsch meiner Klienten einsetze.

       Doch nicht meine therapeutische Arbeit soll hier das Thema sein. Ich will die Geschichte meines Vaters erzählen.

       Der erwähnte Punkt, Hypnosetechniken als Schlüssel zum Unterbewusstsein zu nutzen, spielt insofern durchaus eine Rolle, als ich meinen Vater überreden konnte, meine ältere Kollegin aufzusuchen. Ich wusste, dass es da etwas wie einen „Filmriss“ in ihm gab, für eine Zeitstrecke war alles gelöscht – alles, was nach dem Absturz des Bruders geschah.

       Ich habe den kleinen Mann mit dem Fellumhang erwähnt, den wir gleichfalls von unserem Boot aus erblickten. Richard war sich bald sicher, dass es sich um den Mann handelte, dem er und Theo damals auf den Berg gefolgt waren. Er lebte zu dieser Zeit mit seiner zwanzig Jahre älteren Schwester zurückgezogen in einer Almhütte mit kleinem Gehöft.

       Doch bereits Richards Mutter hatte, wieder Jahre zurück, mit ihm Bekanntschaft gemacht.

       Dem ersten Eindruck nach handelte es sich um einen etwas debilen Bauernburschen. Doch es gab die Momente, in denen er wie ausgetauscht schien. Dann blitzte ein anderes Licht aus seinen Augen, eine andere Intelligenz, die ihm zugleich eine fremdartige Ausstrahlung, die einer kühlen Unnahbarkeit, gab. In diesem Zustand verfügte er über erstaunliche Fähigkeiten. Er wusste Dinge in die nahe Zukunft voraus, blitzschnell erfasste er fremde Gedanken. Und ganz mühelos gewann er das Vertrauen von Tieren, speziell von Gämsen. Er ahmte kurz ihre Laute nach und er konnte sich ihnen nähern, ohne dass diese Anzeichen von Furcht zeigten. Es waren Fähigkeiten, die ebenso seine Schwester besaß, eine Frau, die bei den anderen Bergbewohnern im Ruf einer „Bergschamanin“ stand. - Mit Bedauern sage ich, dass ich sie nie habe persönlich treffen können.

       Erwarten Sie kein Kleinod der Erzählkunst von mir. Es geht mir nur darum, den Verlauf dieser außerordentlichen Ereignisse darzustellen. Sie werden mit meinem Bericht eine nicht alltägliche Reise antreten.

      Im Rausch der Gipfelhöhe

      Alles war wieder lebendig, in klaren plastischen Bildern: Richard sah sich selbst, wie er als Zwölfjähriger neben seinem Zwillingsbruder Theo den Hang hinaufstieg, sie näherten sich bereits der Baumgrenze, der Weg wurde steiler, zunehmend nacktes Gestein. In der Ferne in funkelndem Weiß die erhabenen Schneeriesen des Dachsteingebirges.

      Richard, auf der Couch ausgestreckt, begann zu flüstern:

      „Theo... Ja, er ist bei mir...

      An unserer Seite der Mann mit dem grauen Umhang aus Fell. Er ist klein, er hat diesen auffallend großen Kopf. Er läuft und springt mit der Wendigkeit einer Gämse. So bewegt er sich immer auf diesen Berghängen, selbst wenn sie steil werden wie jetzt, wir können kaum mit ihm mithalten.

      Er hat uns gesagt, dass es dort oben eine Berghöhle gibt. Eine Höhle voll mit Kristallen.

      Die Luft flimmert und singt. Es ist Mittag. Die fernen Schneegipfel liegen unter einem tiefblauen samtenen Himmel. Fern sehe ich einen Adler kreisen.

      Die Luft flimmert, sie singt. Die ganze Atmosphäre der Berge pulsiert. Das nackte Gestein spiegelt das Licht, es funkelt, es blendet. Ein Rausch hat uns beide ergriffen.

      Der Mann im Fellumhang: Etwas ist sonderbar mit seinem Aussehen, etwas ist fremd daran. Man könnte denken bei diesem Gesicht, diesem Blick: Dieser Mann ist gar kein Mensch. Irgendwie fürchten wir uns vor ihm. Wie uns zugleich etwas magisch in seinen Bann zieht. Er hat uns Kindern gesagt, dass er der ‚Bergkönig’ ist. Es ist sein Name. Wir können ihn auch so nennen.

      Theo dreht sich einen Moment zu mir um. Er flüstert: ‚Du hörst es wieder? – Du hörst sie doch auch?’ Ich weiß, wovon er spricht. Er hat es mir vorhin schon einmal gesagt. Die Luft singt. Er hört unsere kleine Schwester darin. Sie singt für uns, so meint er. Manchmal singt sie von fern, hoch vom Gipfel herab. Dann singt sie direkt neben uns.

      Wir nähern uns einem Geröllfeld.

      Ich weiß: Gleich wird es geschehen.

      Es gibt eine Gruppe von rötlichen Felsen an dieser Stelle.

      Jetzt gleich geschieht es.

      Ich sehe noch etwas anderes, dort hinter den rötlichen Felsen. Was ist es? eine Gestalt?

      Theo betritt

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