Die Recherche. Werner Siegert
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„Für dich selbst; Mandy! Du müsstest es dir doch wert sein. Du musst wieder was aus dir machen. Vielleicht kann ich dir helfen!“
Bettina wusste nur zu gut, dass sich das so leicht daher sagt. Eine Mandy, allein, ohne besondere Ausbildung, in einer teuren Stadt wie München, ängstlich, jeden Cent dreimal umdrehen. Was blieb ihr da anderes, als sich nach einer Partnerin umzusehen? Nur kein Mann! – Es war nicht nur Neugierde, die sie nur zu bereit fand, mit Mandy in deren Dachkammer hinaufzusteigen. Bettina kannte sich selbst nicht mehr.
Wohnschlafkammer unter schrägen Wänden, eine kleine Küche, ein winziges Duschbad mit Klo. Heute, an einem solchen Sonnentag schier unerträglich warm.
„Mach dir’s bequem!“ Bequem auf dem noch aufgeklappten Schlafsofa? Nein, Mandy schob die verknautschte Wäsche einfach zusammen. Ohne zu zögern befreite sie sich von der Bluse. „Heiß ist’s! Ich weiß oft nicht, wie ich hier überleben soll. Im Winter ist es zu kalt. Im Sommer zu heiß. Im Winter ziehe ich mir drei Pullover übereinander, im Sommer lasse ich manchmal alle Hüllen fallen. Aber dann schwitzt man auch.“
Dann saßen sie Seit an Seit auf der Couch, die schon bessere Tage gesehen hatte. Bettina zitterte innerlich. Mandy nur mit diesem schwarzen BH. Viel Frau, viel Busen, viele Leberflecke. Auf einmal ertappte sie sich dabei, dass sie Mandy durch die Haare fuhr. Sie erschrak. Suchte schnell nach einer Begründung.
„Ich würde dir gern deine Haare wieder tönen und dich richtig schick machen! Aber dafür müssten wir wohl zu mir fahren. Vielleicht gehen wir abends noch ins Kino oder zu einer Vernissage. Irgendwo ist immer was los in München!“
Ihre Hände wanderten von den Haaren auf die Schultern. Mandy ließ es offenbar gern geschehen. Verharrte wie erstarrt.
„Du musst verstehen, Betty, ich habe noch nie eine Frau angefasst. Ich wundere mich über mich selbst. Ich bin ja keine Lesbe. Ich weiß gar nicht, was das ist. Interessiert mich auch eigentlich nicht, was die da tun. Nur allein sein, allein sein, das wollte ich nicht mehr. Jemanden wie dich neben mir haben, deine Hände, deine Gedanken, wie du mit mir sprichst, das ist schon mehr, als ich erwartet hatte.“
Dann wandte sie sich Bettina zu und umarmte sie. Fest, ganz fest, so dass sich ihre Brüste herausquetschten. So, dass sie beide nach hinten fielen. Und Bettina unter den vollen Brüsten nach Atem ringen musste. Dass sie den salzigen Schweiß auf den Lippen spürte – und genau in dieser Sekunde war es ihr, als ob sich ein Schalter umlegte. Genau in dieser Sekunde! Nein, genau das wollte sie nicht. Genau dagegen stemmte sich in ihr in dieser Sekunde alles. Keine weichen Brüste küssen! Nein, diese Brustwarzen, plötzlich ekelte sie sich davor. Der ausgeleerte, runterhängende BH, diese Entzauberung. Sie versuchte, sich und Mandy wieder aufzurichten. Jetzt nur keinen Fehler machen, keine seelischen Verletzungen, nicht bei Mandy, nicht bei ihr. Nicht Mandy von sich weisen; aber wieder Distanz herstellen. Distanz zwischen den pendelnden weichen, schweißglänzenden Brüsten, den viel zu nahen Lippen, den strähnigen Haaren.
Mandy begriff zunächst gar nichts. Auch ihr war die Situation total entglitten, war ihr peinlich. Umarmen ja, aber mehr doch nicht. Nicht dieses nach hinten Umkippen, diese ungewollte Attacke, wie wohl sie sich immer mal wieder Gedanken gemacht hatte, wie sich von Frau zu Frau die Körper anschmiegen, Brüste auf Brüste, Schenkel auf Schenkel. Aber nun der Kontrollverlust. Der dunkle Schweißfleck auf Bettinas Bluse, ihre hängenden Brüste, der auf den Bauch gerutschte BH. Mit vielen entschuldigen Wörtern, Satzfetzen stand sie auf. Sah wohl die starren, ängstlichen Augen der anderen. Der Fremden. Der Freundin? Und rannte ins Bad unter die Dusche.
Bettina wäre am liebsten sofort geflohen. Nur raus aus der Wohnung. Raus aus der intimen Nähe. Die immer noch intimer wurde, denn Mandy hatte die Tür hinter sich nicht zugezogen. Nackt unter der Dusche. Fragte überdies noch, ob auch Betty schnell eine erfrischende Dusche genießen wolle. Beide nackt? Und man kannte sich erst anderthalb Stunden? Der Schalter war umgeschlagen. Was eben noch im Reich der Phantasien so überaus reizvoll, so süß, so zärtlich, sanft an ihr vorübergezogen war, dieses verführerisch andere, neue Szenario von Erotik, hing nun in Fetzen herab wie der ausgeleerte Push-up-BH. Wie nun sich aus der Affäre ziehen? Ohne Mandy zu verletzen? Ohne sie noch tiefer hinabzustoßen in ihre Verzweiflung?
Mandy aber wusste nichts von diesem Schalter. Ahnte nichts von der umgeschlagenen Sehnsucht. Nichts von Bettinas Zerrissenheit. Unverhüllt trat sie, sich abtrocknend, in den Raum. Geradezu unschuldig – hatten sie sich nicht auf ein Lesben-Inserat hin kennengelernt? Wie sollte sie Scham empfinden, sich gegenüber dieser Bettina nackt zu zeigen? Nein, nun hatte sich für sie das Tor zum Neuen geöffnet. Nun trat sie in ihrer Nacktheit an Bettina heran und wollte ihre schweißgefleckte Bluse öffnen. Nestelte an den Knöpfen. Bettina erlebte sich starr und hilflos. Hob ihre Hände, faltete sie hinter ihrem Kopf. Was tun? Als ob eine andere Bettina neben ihr stehen würde, ließ sie es geschehen. Ließ sie die Knöpfe öffnen. Ließ sie Mandys Hände die Bluse aus dem Rocksaum ziehen. Stand sie nun auch da im rosa BH, ausgeliefert der vermeintlich ersehnten Zärtlichkeit. Nein, Mandy geizte mit den Sekunden. Wollte nicht erst die Häkchen auf dem Rücken lösen, sondern zog gierig die rosa B-Körbchen herab. Bettina hatte nicht viel zu bieten. Ihre Brüste kamen ihr immer als zu dürftig vor. Aber in dieser Körperhaltung sprangen sie förmlich nach vorn.
Erst als sie spürte, wie Mandy ihren Busen gegen ihren zu pressen versuchte, löste sich in ihr die Starre. Nein, nein und nochmals nein – das wollte sie nicht. Und hätte sie es sich noch so oft in Träumen vorgestellt.
„Lass uns nichts überstürzen, Mandy! Nicht so schnell! Nicht gleich alles! Lass mir Zeit!“ flehte sie und entzog sich der engen Umklammerung. Drängte die nunmehr Verängstigte zurück.
„Habe ich was falsch gemacht?“
„Nein, Mandy, aber vielleicht später mal, später. Jetzt nicht. Lass uns reden. Lass uns wieder in den Park gehen oder ins Café.“
Total verunsichert standen sich jetzt die beiden Frauen gegenüber, die Nackte, die schnell nach ihrem Handtuch griff, und Bettina, die ihren BH wieder zu richten versuchte. Ihr Atem ging schnell. Röte stand ihnen im Gesicht. Schweißtropfen.
Am liebsten wäre Bettina gleich aus der Wohnung geflüchtet. Ehrlich wäre es gewesen. Denn der Schalter hatte sich umgelegt. Nein, so wollte sie ihre Recherche nicht weiterführen. Wenigstens das hatte sie bisher erbracht: dass sie keine wirklich lesbischen Neigungen ausleben könne. Phantasien hin, Phantasien her – die Wirklichkeit hatte sie jäh eines anderen belehrt.
Beide tranken noch einen Cappuccino auf der Leopoldstraße. Mandy konnte ihre Tasse nur unter Zittern zum Munde führen, so sehr war sie noch von ihrem untauglichen Ausflug auf unbekanntes sexuelles Terrain mitgenommen. Bettina genehmigte sich noch einen Cognac. Es würde lange dauern, bis sie das alles verkraftet und verarbeitet hätte. Ohne Mandy noch mehr ins Aus zu stoßen. Am liebsten hätte sie die letzten Stunden total ausradiert.
Edwina
Nach dem überaus enttäuschenden und unbefriedigenden Abenteuer mit Mandy war Bettina entschlossen, sich nunmehr fast völlig auf die Internet-Recherche zurückzuziehen. Allenfalls wollte sie ein Szene-Lokal aufsuchen, um dort Atmosphäre zu schnuppern. Das bestellte Lesben-Magazin war noch nicht eingetroffen. Dafür ein Exemplar „GAY“, einer Zeitschrift für Schwule und Schwuchteln, deren Lektüre Bettina nicht sonderlich zu animieren vermochte. Interessant allenfalls der Anzeigenteil, wobei interessant hier als Synonym für amüsant stehen könnte. Nein, in diese Welt auch nur für eine Recherche einzutauchen, widerstrebte ihr aufs Äußerste. Da bekam ihre Seele Pickel.
Insgeheim