Die Recherche. Werner Siegert

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Die Recherche - Werner Siegert

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von Edwina Rachmann vorfand, die sie sicherlich sofort gelöscht hätte, wenn sie nicht eindeutigen Bezug auf ihre Suchanzeige erkennen ließ. Erst dachte sie an Miss Piggy, dass die in Wirklichkeit so hieße, aber die hatte ja mit den Suchanzeigen gar nichts zu tun.

      Edwina R. stellte sich als Inhaberin einer Boutique „GLAMOUR TOO – Outlet und Second Hand“ in Schwabing vor. Sie sei allerdings nur an Gesprächen und am Erleben „mit Niveau und Stil“ interessiert. Offenbar eine andere Klasse als Mandy, die Arbeits- und Orientierungslose.

      So startete Bettina diesmal nicht im Trachtenlook, sondern in ihrem Business-Outfit: Hosen-Kostüm mit Nadelstreifen. Hellblaue Bluse. Gelbes Halstuch. Zunächst begab sie sich in eine Beobachterposition. Versuchte, hinter einer Straßenecke die Lokalität in Augenschein zu nehmen. Die Boutique strahlte wenig Glamour aus und war viel kleiner, als sie sich das vorgestellt hatte. Zwei kleine Schaufenster. Vor einem ein rollbarer Ständer mit im Wind schaukelnden Sonderangeboten. Vor dem anderen ein kleiner Wühltisch. Bettina wollte eigentlich abwarten, bis mindestens zwei Kundinnen den Laden betreten hatten, um dann wie eine weitere Kundin hineinzugehen und Zeit zu gewinnen, sich umzusehen. Das aber dauerte ihr dann doch zu lange. Nachdem eine junge Frau sich ein Kleid von der Stange gegrabscht hatte und damit im Laden verschwunden war, suchte auch Bettina sich eine Hemdbluse in ihrer Größe – nicht um sie zu kaufen, sondern um etwas in der Hand zu haben. Eine Art Vorwand, überhaupt das GLAMOUR TOO zu betreten. Vom Inneren war sie überwältigt. Nicht nur, dass alles äußerst geschmackvoll und mit viel Stil dekoriert war: Das Ladenlokal führte weit nach hinten, etwa in eine Tiefe von zwei großen Zimmern. Punktscheinwerfer lenkten die Blicke auf kostbare Kombinationen. „Unbezahlbar“ war Bettinas erster Eindruck, ehe sie die Preisschilder las. Wie konnte es sein, dass Frau Rachmann solche edlen Gewänder zu so günstigen Preisen verkaufen konnte?

      Edwina, wenn sie es denn war, nahm der jungen Kundin das Kleid ab, hielt es ihr vor den schlanken Körper, ließ einen Tageslichtstrahler aufflammen und schüttelte den Kopf. „Glauben Sie wirklich, dass Ihnen dieses Kleidchen stehen wird? Wollen Sie nicht mal noch etwas anderes probieren? Sie sind so jung, so attraktiv – da könnte zum Beispiel mit diesem Kleid hier Ihre Figur hervorragend zum Ausdruck kommen, farblich abgestimmt auf Ihren Hauttyp und Ihre Haarfarbe!“

      Edwina? Eine überaus schlanke Erscheinung, mit sehr dunklen Haaren, hinten zu einem großen Dutt geflochten. Schätzungsweise Größe 36. Mit einer beigen, kostbaren Spitzenbluse über einem tizianroten Top und langer brauner, fein bestickter Hose. Hochhackige Schuhe.

      Die junge Frau verschwand in der Kabine. Sofort wandte sich die topgekleidete Dame Bettina zu und begrüßte sie mit einem wissenden Lächeln. Ohne zu zweifeln hatte sie in ihr Bettina erkannt, den Kontakt aus dem Internet. Ihre Menschenkenntnis musste ihr verraten haben, dass eine so korrekt gekleidete Dreißigjährige im Ernst nicht einen solchen Blusenfummel kaufen würde, wie ihn Bettina in der Hand hielt. Bettina war enttarnt und offenbar von Edwina schon beobachtet worden war, als sie auf der anderen Straßenseite ihrerseits den Laden im Blickfeld hatte.

      Die junge Kundin schob den Vorhang zur Seite. In der Tat kleidete sie das von Edwina empfohlene Gewand äußerst vorteilhaft. Die glättete hier noch eine Falte, strich über den Po, zupfte den Stoff so zurecht, dass der Busen besser zur Geltung kam, stellte das Krägelchen noch ein bisschen steiler, hielt ein Tuch als Accessoire um den Hals. Die Augen der jungen Frau leuchteten sichtbar auf, als sie sich vor dem Spiegel sah.

      „Ja, aber das kann ich wahrscheinlich gar nicht bezahlen!“

      „Aber natürlich! Es ist ja nicht wesentlich teurer als das Stück, das Sie von der Stange genommen hatten. Es ist ja second-hand, aber wohl nur einmal oder gar nicht getragen, und natürlich gereinigt. Ich beziehe ja die Ware von befreundeten Geschäften in anderen Städten. Es gibt Kundinnen in den ganz exklusiven Modegeschäften, die leihen sich manchmal mehrere Roben aus, tragen sie vielleicht einen Abend zu einem Empfang und bringen sie am nächsten Tag zurück. Legen augenzwinkernd einen Scheck daneben. Man kennt sich ja schon. Aber es gibt eine strikte Vereinbarung: Dieses Stück darf nicht noch einmal in dieser Stadt von irgendeiner Frau getragen werden. Dann schickt sie es mir. Oder einer Kollegin in Hamburg. Nur so werden diese Kreationen erschwinglich. Glamour too heißt ja, auch Sie sollen sich Glamour leisten können.“

      Sie wurden sich handelseinig. Das Seidentuch kam als Geschenk mit in die Tüte. Die hübsche Kundin verließ sichtlich beschwingt das Geschäft – und Edwina konnte sich ganz sicher sein: Diese Frau kommt wieder und wieder.

      Bettina hatte die Modistin sehr genau beobachtet, wie sie den Körper der Kundin umspielt hatte. Das Zupfen hier, das Glätten dort, das beiläufige Ordnen der Frisur, nachdem sie das Tuch um den Hals geschlungen hatte. Wenn Edwina wirklich lesbisch veranlagt war, dann müsste sie eigentlich bei ihrer Kundschaft jeden Tag zahlreiche Gelegenheiten finden, Kontakte zu knüpfen und die Aura zu spüren, die suchenden Frauen ganz sicher zu eigen war.

      Nachdem sie sich beide richtig vorgestellt hatten, ein an sich überflüssiges Ritual, nahm Edwina ihr die Hemdbluse ab und sie zogen sich in den hinteren Teil des Ladens zurück. Dort lud sie Bettina zu einem herrlich aromatischen Tee ein, mit erlesenem Gebäck. Erlesen war hier alles. Die Frau selbst, die Ware, das Flair, die Dekoration, die Präsentation. Sie musterten sich.

      „Sie sind Journalistin?“

      „Ja, woher wissen Sie das?“

      „Ich könnte sagen, das hätte ich im Gespür, sozusagen in den Fingerspitzen. Aber Google hat es mir verraten. Dort sind einige Artikel von Ihnen zu finden! – Ja, und nun nur beruflich bei mir?“

      Bettina mühte sich, nicht so erröten. Sie konnte ihre Verlegenheit nicht verbergen.

      „Als Journalistin ist man eigentlich jeden Tag auf der Suche nach Themen. Man ist jeden Tag auf Recherche. Ihre wunderbare Boutique wäre zum Beispiel ein interessantes Thema für sich.“

      „Aber gesucht haben Sie was anderes auf dieser .... Lesbenseite?“

      „Ja, offen gesagt ja. Es gibt ja nicht die Lesbe. Es gibt sicher zigtausend verschiedene Frauen, die sich mehr oder minder dazu zählen. Fanatische, Feministinnen, Suchende, Enttäuschte, Einsame, Künstlerinnen ....“

      „.... und selbst?“

      Wieder huschte Bettina die Röte ins Gesicht. Und selbst? Wusste sie es? Befand sie sich nicht in einem Strudel der Verwirrungen? Mandys schweißtriefende Brüste, ihr zotteliges Schamdreieck über schwabbeligen Schenkeln – da saß der Schock noch tief.

      „Ich würde mich eher unter die Suchenden zählen, unter die Irritierten und Verwirrten!“

      Eine Kundin betrat das Geschäft. Edwina entschuldigte sich. Eine vollschlanke Frau schaute sich im Laden um. Mitdreißigerin. Wie wohl Bettina sie nur von weitem sehen konnte, fiel ihr das üppige Dekolleté auf. Wogende Brüste – nein, das wäre ganz sicher nicht, was sie suchte. Und Edwina? Hatte die überhaupt Brüste? Die waren ihr jedenfalls noch gar nicht aufgefallen.

      So sehr Edwina sich vorhin für die junge Frau ins Zeug gelegt hatte, so wenig schien sie diesmal interessiert zu sein, ihr eine größere Auswahl zu offerieren. Mit zwei Blusen verschwand die Kundin in der Kabine. Schon kurz darauf kam sie wieder raus und war zum Kauf entschlossen. Die Kasse rasselte und Edwina kam zurück.

      „Gottlob hat sie die beiden Blusen mitgenommen. Bei solchen Frauen habe ich immer Angst, dass sie dieses und jenes anprobieren und wieder weglegen. Ich muss dann die Teile einsammeln und in die Reinigung bringen, so verschwitzt wie die sind. Ich habe einen außerordentlich empfindlichen Geruchssinn. Wenn ich mir vorstelle, ich solle so ein Top anprobieren, das nach Schweiß riecht oder nach billigem Parfum – ich würde aus dem Laden fliehen und ihn

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