Grünkohlsuppen-Blues. Eileen Schlüter

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Grünkohlsuppen-Blues - Eileen Schlüter

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seit jenem denkwürdigen Tag, war ich vorsichtig, was unansehnliche Lebensmittel betraf. Und Tante Rosi trug seitdem keine offenen Schuhe mehr in meiner Gegenwart.

      In Suses Gesicht kehrte Leben zurück. Beinahe freudig beobachtete sie mich beim Essen. Feine Schweißperlen leuchteten auf ihrer Nase und der Stirn. Sie zog sich einen Stuhl heran, auf den sie sich mit pathologischen Atemgeräuschen plumpsen ließ.

      »Die anderen sind schon ganz aus dem Häuschen, seit sie wissen, dass du wieder aufgewacht bist«, offenbarte sie mir.

      »Welche anderen?« Gab es etwa noch mehr von ihrer Sorte? Ganz ehrlich, diese eine war im Prinzip schon eine zu viel!

      »Na, die anderen aus der grünen Gruppe. Sie hatten schon befürchtet, du könntest dieses Jahr nicht mit deinem berüchtigten Bio-Karotten-Zucchini-Soufflé teilnehmen– bei der diesjährigen Meisterschaft der originellsten, selbstgemachten Bio-Mahlzeit, bayrischer Hausfrauen. Du hast immerhin schon zweimal gewonnen. Erinnerst du dich?«

       Grüne Gruppe, Bio-Karotten-Zucchini-Soufflé???

      Das wurde ja immer besser. Und apropos bayrische Hausfrau, ich war ja nicht mal eine richtige Bayerin. Mein Vater war zur Hälfte Brite und meine Mutter war damals nur ihm zuliebe von Hamburg nach München gezogen. Ich hatte sämtliche Metropolen dieser Welt gesehen, war quasi dort aufgewachsen. Ich war ein Glamourgirl und kein vertrocknetes bayrisches Dorfmütterchen, das in Gesellschaft von lauter Ökotrullas in der Küche mit Biogemüse herumhantierte.

      Und ›nein, verdammt!‹ ich erinnerte mich nicht daran, bei so einer beknackten Naturkost-Veranstaltung irgendwelche Preise für ökologisch-wertvolle Gerichte gewonnen zu haben. Das war ja wohl der Witz des Jahrhunderts, nein – des Jahrtausends. Und überhaupt, wie konnte diese Person sich erdreisten, sich als meine beste Freundin zu bezeichnen?

      Amnesie hin oder her. Nicht mal nach einer Gehirnamputation hätte ich vergessen, dass ich – Stella Edwards – mich prinzipiell nicht mit Heim- und Herdtussis abgab.

      Mal im Ernst, verglichen mit meinen alten Freunden, wirkte diese Suse wie ein armseliges Plastikarmband aus einem Kaugummiautomaten, das versehentlich in der samtüberzogenen Schmuckschatulle zwischen dem Smaragtcollier, den goldenen Chopard-Ohrringen und der Breitling gelandet war.

      Ich tränkte die zweite Scheibe Krankenhausbrot in der Grünkohlsuppe und aß. Ein Glück, dass das Zeug kalorienarm war.

      »Besten Dank für die Suppe«, bekundete ich schnippisch, »…aber wie Sie sehen, bin ich noch nicht ganz fit. Ich brauche meine Ruhe, um mein Gedächtnis wiederzufinden. Am besten Sie gehen jetzt. Mit mir kann man im Augenblick sowieso nicht viel anfangen.« Ich simulierte ein ausgedehntes Gähnen.

      Mit asthmatischer Atmung erhob Suse sich vom Stuhl.

       »Verstehe ich, Süße. Werd’ erst mal richtig gesund und wenn du wieder zu Hause bist, komm ich vorbei. Dann können wir endlich an unserem neusten Rezept weiter tüfteln. Dabei wird dir bestimmt alles wieder einfallen. Ich freu’ mich schon. Also erhol’ dich schnell!«

      Ich atmete erleichtert auf, als endlich die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Was sie da vorhin erzählt hatte, war einfach so was von unglaublich. Das war nicht ich!

      Ich hatte gar keine Amnesie. Das hier war tausendmal schlimmer! Vielmehr war ich der Auffassung, an einer gravierenden Form von multipler Persönlichkeitsspaltung zu leiden. Und keine der beiden Stellas wusste offenbar etwas von der Existenz der anderen. Wie sonst sollte ich mir erklären, dass ich regelmäßig bei Konkurrenzkämpfen im Naturkostbereich alle möglichen Preise absahnte, mich aber nur an eine einzige nennenswerte Auszeichnung in meinem Leben erinnern konnte. Nämlich an den Siegertitel bei der Wahl zur Miss Oberstufe, im Jahre 1999.

      Ein fieser Schauer lief mir über den Rücken, als ich an den unabwendbaren Moment dachte, in dem meine zweite Persönlichkeit »das grüne Monster« in mir erwachen und ich mich wieder in Stella Gaulkötter verwandeln würde. Meine rechte Hand schnellte hoch. Von Panik ergriffen drückte ich auf den roten Alarmknopf. Ich war eindeutig behandlungsbedürftig!

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