ich du er sie es. null DERHANK
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»Unprofessionell!«, kommentiert Hana dieses ungeplante Negativgefühl, und Yukiko öffnet die Augen wieder und legt beide Hände auf ihr FRIEND, das wie eine Unterlage auf dem Tresen liegt. Sie wird später, wenn die Elektronik das Vorspiel beendet hat, hochgehen und jedem einzelnen ihr Tool, also sich selbst, anbieten für dies und das, aber das hat noch Zeit, und sie fragt sich, wieso sie so daran gefesselt ist, an dieses Tool, wenn es doch stimmt, wie man sagt, dass ihre Kerndisposition eine prägenetische bzw. virtuell ist. Doch so naheliegend dieser körperlose Gedanke auch ist, seine konkrete Ausformulierung entzieht sich ihr wie ein übergeordneter Verbotstatbestand.
Lieber als die auf sie wartenden User upstairs ist ihr allemal ein Tool wie das männliche dort, ein Tool, dessen FRIEND übrigens auch keinen Namen hat, worauf ihr Hana explizit entgegnet, dass dessen FRIEND ein END sei, und ein END von sich aus nie auf die Idee käme, nach einem Namen zu fragen.
27.
All meine nihilistischen Gedanken waren plötzlich nichtig angesichts der Managerin des Gasthauses 'Zum Mühlrad', in dem wir zu nächtigen gedachten. Unmöglich und doch unverkennbar war sie es, sie, die Reisebegleitung der Rüstigen von eben, oder die freundliche Passantin, die uns vor dem Rathaus von O fotografierte, oder die Bedienung aus der Ratsschänke, sie, immer dieselbe, was mir die Sprache sprichwörtlich verschlug und in ihrem Augenaufschlag so etwas wie ein Wiedererkennen signalisierte. Aber da mag ich mich täuschen, vielleicht hat sie mich kein bisschen erkannt, auch Clara schien diese Person mit nichts in Verbindung zu bringen, und ich wagte es nicht, sie oder sie zu fragen, zweifelte ich doch plötzlich an meiner eigenen Zurechnungsfähigkeit. Denn wie ich sie - es war doch gewiss sie!?, nur in immer anderer Rolle - wie ich sie nochmal und nochmals ansah, fragend oder wie blöde gar, da sagten ihre Augen nur: 'Is' was?'
Ich fürchtete schon, sie würde mich für einen verkalkten Trottel halten, dem eine Art Altersbrunft soeben den letzten Rest des Verstandes austrieb. Ich konnte es nicht lassen, immer und immer wieder hinüberzuschielen, während sie mit anderen Gästen sprach oder der Küche Anweisungen erteilte, oder oder oder, ich musste mich zusammenreißen, auch mal etwas zu Clara zu sagen, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, schließlich hatte die Strecke sie sichtlich überfordert, und auch meine Füße hatten zu beiden Seiten prächtige Blasen aufgeworfen. Wir konnten ein bisschen gemeinsam stöhnen und jammern und uns mental schon einmal auf den napoleonischen Gewaltmarsch von L nach M einstimmen, 25 Kilometer waren das heute gewesen, den ganzen Tag gelaufen, dafür morgen, nach L, deutlich weniger, doch übermorgen will noch mindestens eine Stunde eher begonnen sein.
Die Schöne brachte uns Spargel en masse, echten, wohlgemerkt, wozu noch Butter oder Schinken?, aber Clara vertilgte sogar ein ganzes Schnitzel dazu und sagte kein Wort. Echtfleisch angeblich sogar. Was mich nicht weniger anwiderte als künstliches, mir genügten Kartoffeln, auch die echt, und ein Schuss feines Olivenölimitat. Doch nahm ich mir vor, ihr ihre Schwächen nicht zu sehr vorzuhalten, wir hatten noch ein paar gemeinsame Tage vor uns und nichts vergiftet das Zwischenmenschliche mehr als Diskussionen ums Essen. Das sagte ich ihr auch, berührte dabei sogar ihre Hand, »es ist in Ordnung, was du isst«, sagte ich ihr, worauf sie die Augenbrauen runzelte und den Kopf schüttelte, und mich damit beschämte, und mich aus der Beschämung gleich wieder herausriss und auf einen an der holzvertäfelten Wand hängenden Kupferstich einer alten Mühle zeigte, vermutlich derselben, in der wir gerade saßen, die Mühle vor der verunkenntlichenden Kernsanierung.
»Hast du hier irgendwo ein Mühlrad gesehen?«, fragte ich sie, und da war plötzlich etwas im Blick der Chefin, das eindeutig mir galt und mir mein armes Herz rasend machte.
Aber Clara schüttelte nur den Kopf und meinte: »wegen gestern …«
28.
Aaron Menachem vom Stamm der Lemba aus Südafrika ist homosexuell. Sein natürliches, von klein auf gelebtes Interesse an Nagellack und Mädchenkleidern war seinem wohlwollenden Oheim Jakob Menachem daher Anlass gewesen, ihn frühzeitig aus seinem elterlichen Dorf herauszunehmen und in ein Internat nach Tel Aviv zu schicken, in der irrigen Annahme, dort wäre man dem Jungen gegenüber toleranter als in Johannisburg, wo man Aaron schon in der Highschool angemeldet hatte. In Tel Aviv kämen ja nur eine jener drei Todsünden, die ein Mensch gebürtig mit auf die Welt bringen kann, zum Tragen: Dort, in der 'Gay Capital of Middle East', wäre Aaron mit seinem PG von fast 99 lediglich schwarz - aber nicht mehr schwul und sowieso kein Jude mehr. In Johannisburg dagegen wäre es genau andersherum: Aaron wäre zwar dort kein Schwarzer, aber unverkennbar schwul - und obendrein ein Jude, was seit zweitausend Jahren oder länger außerhalb des Kibbuz immer irgendwie ein Problem darstellt.
Für Aaron ist Tel Aviv allerdings nur das Sprungbrett in die eigentliche Welt gewesen, die zuerst Berlin hieß, wo er nach dem Schulabschluss Architektur studierte und von allem nur noch ein bisschen war, und dann New York, wo sich auf angenehmste Weise seine verteufelten Stigmata in indifferentes Wohlgefallen auflösten. Für Aaron ist das schwule, schwarze, jüdische New York zur eigentlichen Heimat mit dauerhafter IDEA geworden, zum fleischlichen Fundament eines ansonsten bevorzugt virtuellen Daseins.
In seinem Manhattaner Schachtelzimmer, das in einer von einem durchtriebenen Immobilienmakler zu einer Schachtelzimmerbatterie umgebauten Wohnung eingeklemmt liegt oder beinahe hängt, und für dessen Finanzierung Aaron anfangs im Dreischichtbetrieb Hotdogs verkauft, Taxi gefahren und Hausflure geputzt - und inzwischen diese Tätigkeiten in die wesentlich annehmlicheren virtuellen Jobs des himmeLs verlagert hat, in diesem brutalst überteuerten, keine sechseinhalb Quadratmeter winzigen Kabuff zzgl. eines von acht weiteren, zumeist weißrussischstämmigen Schachtelzimmermietparteien genutzten Duschklos am Ende eines nach süßem Kohl riechenden und immer von irgendwoher konfliktbeschallten Gangs, in dieser Abstellkammer, deren einziges Fenster aus dem nachträglich verglasten Durchbruch einer ehemaligen Lüftungsanlage besteht (direkt unter der zum Glück nicht allzu hohen Decke und von daher auf Zehenspitzen durchaus erreichbar) und durch das man schräg seitlich die neue, wesentlich leistungsfähigere Lüftungsanlage sehen und auch ziemlich gut hören kann, und das sich überhaupt nur deshalb öffnen lässt, weil Aaron die Scheibe herausgenommen und durch eine mit einem Klettband umsäumte Plastikfolie ersetzt hat, in diesem quasi Loch also entwirft er nun Freudenhäuser und Lusttempel für alle, denen die sogenannte Reale Welt nicht das Glück bietet, das man sich von ihr erhofft haben könnte. Gegen echtes Geld natürlich und nur im himmeL, natürlich, je nach Budget und auch je nach persönlichen Vorlieben beinhalten Aarons Entwürfe echte oder nur künstliche Virte, Herren und Sklaven, Liebkosende und Liebkoste, Schändende und Geschändete, Anbetende und Angebetete, Tretende und Getretene, meist eine Mischung aus allem, im himmeL treiben sich genug rum, die das auch unentgeltlich machen und froh über jeden neuen seiner Paläste sind, in denen sie sich austoben dürfen.
Aaron braucht für seine Arbeit lediglich eine Matratze als Körperschlafunterlage und eine halbwegs weiße Zimmerwand, auf die sein FRIEND nach alter Beamerschule Skizzen und Entwürfe projiziert, und selbstverständlich alle erforderliche Nanoattitüden wie Ear- und Eyesticks und fürs Haptische ein Paar gebrauchte sensible Manschetten, die man sich wahlweise um die Waden oder Ellenbogen schlagen kann, und die einem Bewegungen und Wahrnehmungen im himmeL ermöglichen, wie sie sich auch realphysisch kaum echter feelen lassen.
Im himmeL ist Aaron nicht schwarz, sondern lackweiß, nicht Jude, sondern Atheist und nicht schwul, sondern eine Frau. Im himmeL trägt Aaron den Namen Vanessa und beim Business stets silbergraue Businesskostüme und eine Frisur, so stahlblond,