Das Herz der Greakar. Christian Dornreich
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Читать онлайн книгу Das Herz der Greakar - Christian Dornreich страница 9
Rohar schluckte trocken, griff in seinen Gürtel und zog zwei Stücke Peinwell hervor. Dann holte er Luft. Doch Kitany unterbrach ihn.
»Geh, Truppführer!« Sie schob sich die Wurzel zwischen die Zähne.
Rohar schluckte trocken, nickte. Dann drehte er sich um. Der Sturm übertönte gnädig das rasselnde Atmen der jungen Kriegerin.
Eine Entscheidung für eine andere. Ein schlechtes Geschäft.
»Aufsitzen!«
Schwer und schmerzhaft hob und senkte sich ihre Brust. Das Atmen wurde von Augenblick zu Augenblick mühevoller. Jeder Luftzug stach wie ein Dolch in ihre Lungen. Zwar hatte der Veteran Aldrar Kitanys Wunden versorgt, aber sie spürte bereits wieder ihr Blut durch die groben Leinenverbände dringen. Zahlreiche Wunden hatte sie bei dem Angriff der Waldpanther davon getragen und es war nur eine Frage der Zeit bis sie verbluten würde. Sie wusste nicht, wie lange sie hier bereits gesessen hatte, seit der Trupp weitergezogen war. Es war ihre eigene Entscheidung gewesen, den Pfad der Ehre zu wählen - und zurück zu bleiben. In den Augen der Greakar hatte sie ihre Ehre bewahrt. Sie war zur Heldin geworden und noch in Hunderten von Jahren würden die Greakar am Feuer ihre Geschichte erzählen. Die Wirkung der Peinwellwurzel, die Rohar ihr gegeben hatte, dämpfte einen Teil des Schmerzes - aber sie dämpften auch Kitanys Wahrnehmung. Die Umgebung hatte begonnen, vor ihren Augen zu verschwimmen. Dennoch sah sie die drei Elfen auf sich zukommen. Schattengestalten in einem dunklen Wald, der nur aus Schatten zu bestehen schien. Schwarze Rüstungen, geschwärzte Klingen. Bis auf eine.
Einer der Elfen trat auf sie zu. Kraftlos und mit zitternden Händen hob Kitany ihre Waffe und starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Er stand einfach nur da - gerade außerhalb ihrer Reichweite - strich sich eine weißliche Strähne aus dem ebenmäßigen Gesicht. Sein Haar tropfte und Schlamm klebte an seinen Stiefeln. Dennoch war seine Rüstung weniger verdreckt als die seiner Begleiter. Der Elf legte den Kopf leicht schräg und betrachtete Kitany ausdruckslos. So als beobachtete er ein seltenes Tier oder ein Insekt unter einem Brennglas. Ein Lächeln, eisig wie der gefrorene Greaksee im Winter, zuckte über seine Züge. Dann griff der Elf nach seiner Klinge. Fahles Leuchten, das trotz der sie umgebenden Finsternis kein Licht bringen wollte. Dann nahm Kitany nur noch ein fernes Flüstern unzähliger, fremder Stimmen wahr.
Der Kundschafter der Greakar kam im Galopp zurück geritten. Sein Pferd tänzelte unruhig und schäumte. Der Reiter schnappte nach Luft. Die sonst graue Haut war bleich geworden unter den Gesichtstätowierungen, an denen man seinen Rang und seine Sippe erkennen konnte.
»Rohar! Das musst du dir ansehen, Truppführer!«, stieß der Mann abgehackt hervor, nachdem er mühsam zu Atem gekommen war. Dann wendete er sein Pferd und ritt bereits wieder in die Richtung, aus der er gekommen war.
Rohar griff in die Zügel seines Pferdes, dass die Knöchel durch die Haut an den Händen des Truppführers schienen. Sein Herz schien ihm die Brust sprengen zu wollen. Rohar presste die Schenkel gegen den Leib seines Reittiers. Das Pferd befolgte den Befehl, wurde schneller und folgte dem Späher.
Der Trupp hatte den Rand des schwarzen Waldes erreicht. Während der Wind zwar nachgelassen hatte, prasselte der Regen unaufhörlich weiter.
Rohar betrachtete den einzelnen Baum am Waldrand mit einer Mischung aus Abscheu und Wut. Seine Kiefer mahlten aufeinander, die Fäuste ballte er so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Etwas abseits standen die übrigen Soldaten des Trupps. Wortlos, angesichts des Frevels, den die Elfen verbrochen hatten, standen sie da. Zumindest zweifelte niemand daran, dass die Elfen das getan hatten.
Rohar konnte den Blick nicht abwenden von diesem Baum. Er wirkte nicht natürlich, wie die anderen Bäume des Waldes. Er war nicht natürlich. Einzeln stand er - etwas abseits - aber es erschien kaum möglich, dass er dort gewachsen sein konnte. Nicht so. Nicht auf diese Weise.
Sein Stamm war breit und stark. Ausladendes Wurzelwerk lag über der Erde. Dort, wo die hellen Wurzeln in den Boden reichten, war dieser schwärzlich verfärbt. Eine ölige, schmierige Flüssigkeit aus dreckigem Rot trat an mehreren Stellen aus der Rinde dieses Baumes. An einigen Stellen war die weiße Rinde des widerwärtigen Gebildes durchbrochen - durchbrochen von Fingern.
Die Hände und Füße, die aus dem Baum ragten, waren an nahezu jedem Glied gebrochen worden. Das Schlimmste aber war das Gesicht. Es brach durch die Rinde und war doch mit dem blutenden, weißen Baum verwachsen. Niemand vermochte zu erkennen, wo der Körper anfing und der Baum aufhörte. Aber das Gesicht - in Todesqualen schrecklich verzerrt - konnte Rohar erkennen.
»Kitany«, flüsterte er vor sich hin.
Sie musste unvorstellbar gelitten haben. Rohar - und auch kein anderer des Trupps – wollte oder konnte sich vorstellen, welch finstere Magie die Elfen hier benutzt haben mochten.
»Kitany…« Rohars Stimme klang rau und belegt.
Er wandte sich ab von dem geschundenen, mit dem unheiligen Baum verwachsenen Körper. Dann brach Rohars Zorn aus ihm heraus, wie glühende Lava aus einem Vulkan.
»Ehrloses Pack! Verfluchte Irre!« In hilfloser Wut brüllte der Truppführer seinen Schmerz in die Weite des wilden Landes.
Der Abend zog langsam herauf in der Ebene - und mit ihm kroch die Dunkelheit näher.
*
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