Körperangst. Joana Goede
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Nun nutzte sie die Zeit und legte ihren Pullover ab, das T-Shirt. Sie fror. Ihre eiskalten Hände zitterten sehr beim Öffnen des BHs. Ihr Magen war ein schmerzender Klumpen. Er drückte von innen gegen ihren Brustkorb und riet ihr dringend zur Flucht. Schnell anziehen und verschwinden. Pfeife auf die Ärzte, sagte er zu ihr, vergiss deine Schwester und deinen Freund. Du solltest hier schleunigst verschwinden, du bist hier falsch!
Als Minna noch in der Bewegung des BH-Öffnens verharrte und überlegte, ob sie gehen sollte oder nicht, ging die Tür wieder auf und die Arzthelferin kam herein. Da wurde Minna das Ganze auch peinlich. Eilig nahm sie den BH ab, sah betont starr in die Luft, als sie aufstand und sich auf die Liege legte. Sie versuchte sich davon zu überzeugen, dass sie nicht nackt war. Es musste merkwürdig aussehen, wie sie den Kopf krampfhaft gerade hielt und nicht zusah, wie die Arzthelferin Saugnäpfe an ihrem Körper befestigte. Am Oberkörper und an den Fußgelenken. Minna blickte stur in die Luft und bildete sich ein, sie sei nicht nackt. Dann schloss sie die Augen und stellte sich vor, sie läge allein unter einer Wolldecke zuhause auf dem Sofa im Dunkeln. Was die Arzthelferin ihr erklärte, hörte sie nicht. Minnas Einbildungskraft war stark, wenn sie sich Mühe gab. Und sie gab sich große Mühe.
Das Abreißen der Saugnäpfe von Minnas ausgekühltem Körper löste ein taubes Gefühl an den Stellen aus, die betroffen waren. Jetzt hörte Minna die Worte: „Sie können sich wieder anziehen.“ Darauf hatte sie gewartet. Plötzlich sprangen ihre Augen auf, sie erhob sich und hatte schon alles wieder an. Die Arzthelferin schaute sie leicht irritiert an, sagte jedoch nichts außer: „Ihnen ist sicher kalt gewesen.“
Minna antwortete hastig: „Ja, ich friere leicht.“
Wieder in ihrem Pullover, fühlte sie sich sicherer. Sie zog noch die Jacke darüber und eine gewisse Erleichterung machte sich in ihr breit. Der Magen entspannte sich. „Ich lasse den Herrn Doktor eben darauf gucken, dann holen Sie sich vorn bei meiner Kollegin die Termine ab.“
„Ja“, sagte Minna.
Die Arzthelferin verschwand mit einem Ausdruck des EKGs und Minna blieb erst fertig auf dem Stuhl sitzen, wollte dem grässlichen Licht entkommen und kämpfte sich deshalb doch auf die Beine. Sie musste sich entscheiden, ob sie hier allein im Behandlungszimmer warten oder sich auf den Flur stellen wollte. Gerade stand sie halbwegs sicher, da kam die Arzthelferin wieder und meinte: „EKG war in Ordnung. Gehen Sie nur noch eben bei meiner Kollegin vorn vorbei, die gibt Ihnen die Überweisungen und Termine.“
Minna merkte, dass man in dieser Praxis an die Hand genommen wurde. Das war ihr vorher nie so begegnet. In der Regel bekam man Überweisungen und Rezepte, musste dann selbst zusehen, wie und wann man einen Arzt fand und kam dann irgendwann mit den Ergebnissen wieder. Ergebnisse, die nichts brachten.
Hier durchquerte Minna langsam den schmalen Flur und blieb anschließend vor der anderen Sprechstundenhilfe stehen, die an einem Computer saß und gerade Überweisungen für einen Patienten ausdruckte. Minna musste kurz warten. Dabei bewegte sie sich leicht hin und her, um dem Schwindel entgegenzuwirken, der sie beim Stillstehen überkam. Es dauerte nicht lang, bis sie die Sprechstundenhilfe ansprach. Auch sie war blond, aber deutlich älter, sicher um die Fünfzig. Kleine Augen blickten zu Minna hoch, das Gesicht wirkte etwas eingefallen. „Ihre Überweisungen und Termine. Der Herr Doktor sagte mir, Sie arbeiten nachts?“
„Das stimmt“, bestätigte Minna und nahm die Zettel entgegen, ohne sie anzusehen.
„Ich habe Ihnen die Termine auf den späten Vormittag und auf den frühen Nachmittag gelegt. Die Darmspiegelung ist in einer Woche. Und die Psychologin können Sie sich mal am Freitag ansehen. Schauen Sie, wie Sie sich mit ihr verstehen. Wenn Sie den Eindruck haben, dass es nicht geht, sagen Sie das einfach dem Herrn Doktor, wir finden schon jemanden für Sie.“
„Ja, danke, das ist sehr nett“, antwortete Minna und meinte das auch so. Fürsorge in diesem Umfang war sie wirklich nicht gewohnt.
Sie stolperte nun etwas unbeholfen aus der Praxis, die nur eine von vielen in einem großen Ärztehaus war. Dabei war sie froh, für diesen Tag durch mit der Sache zu sein. Gleichzeitig aber wuchs das innere Unbehagen in bezug auf alles, was da noch kam. Angefangen mit dem Besuch beim Psychologen. Und mit der Darmspiegelung. Minna ging mit unsicheren Schritten eine breite Treppe hinunter, blickte dabei weder nach links noch nach rechts. Nur auf die Stufen sah sie, damit sie auch keine verpasste.
Nach Hause, dachte sie. Endlich nach Hause.
„Wie war es denn?“, fragte Lisbeth direkt, als Minna noch am Abend vor ihrer Arbeit bei ihrer Schwester vorbeikam. Dort traf sie auch auf ihren Freund Niklas und Lisbeths Sohn Jakob, fast zehn Jahre alt. Niklas war Jakobs Vater, doch diese ungewöhnlichen Verflechtungen störten keinen in der Familie. Minna war etwas überrascht, bei ihrem Betreten von Lisbeths Wohnung auf so viele Menschen zu treffen und dazu mit einer so direkten Frage konfrontiert zu werden. Jakob spielte mit Niklas Schach. Beide wirkten sehr konzentriert dabei. In der Regel gewann Jakob jedes Spiel, in seiner Schule war er in seiner Schach-AG der beste Spieler. Er war ein sehr intelligenter Junge, der den Dickkopf seiner Mutter mehr als alles andere von ihr geerbt hatte.
Lisbeth hatte ein Glas Weißwein in der Hand und Minna war nahe daran, in die Küche zu stürmen und die Flasche zu suchen, um auch zuzuschlagen. Aber sie erinnerte sich noch rechtzeitig daran, dass sie sich auf dem Weg zu ihrer Arbeit befand. Somit blieb sie einfach in der Tür zum Wohnzimmer stehen, unfähig, es zu betreten.
„Es war ok“, sagte sie nach einer ganzen Weile. Alle im Raum waren Minnas lange Reaktionszeiten gewöhnt. Keiner rechnete ernsthaft mit ausführlichen Schilderungen irgendwelcher Begebenheiten. Deswegen hakte auch zunächst keiner der Anwesenden nach, was Minna etwas beruhigte. Es nahm ihr den Druck.
Niklas und Jakob spielten weiter Schach, als sei Minna gar nicht da. Lisbeth nippte nachdenklich an ihrem Wein. Angenehm ruhig war es im Wohnzimmer. So traute sich Minna auch, einzutreten. Sie setzte sich auf das Sofa an der Wand, wo sie den ganzen Raum im Blick hatte. Niklas und Jakob saßen an einem kleinen Esstisch, Lisbeth hockte mit angezogenen Beinen im Sessel. So saß sie häufig da, wenn sie nicht gerade aktiv herumschwirrte.
„Waren sie nett zu dir in der Praxis? Ich fand die da alle total nett. Als ich neulich wegen der Grippe da war, die nicht wegging. Der Arzt hat sich lange mit mir unterhalten. Und die Sprechstundenhilfen haben mir noch Tipps gegeben. Sehr sympathisch.“
„Ja“, stimmte Minna zu und war froh, dass Lisbeth ihr schon alles vorwegnahm, das sie hätte erzählen können. Sie warf einen Blick hinüber zu Niklas. Dabei überlegte sie, ob sie im Augenblick eine Umarmung brauchen könnte oder ob die es eher schlimmer machte. Sie entschied sich gegen das Aufstehen, drehte den Kopf wieder zu ihrer jüngeren Schwester und berichtete dann: „Eine Darmspiegelung, nächste Woche. Und zur Psychotherapie soll ich, noch in dieser Woche.“
„Oh“, meinte Lisbeth und überlegte offenbar einen Moment lang, wie sie darauf reagieren sollte. Denn dass Minna solche Dinge enorm zusetzten, wusste sie schließlich. „Und, das ist in Ordnung oder nicht?“
„Ich weiß nicht.“ Minna blickte verunsichert auf den Fußboden. Lisbeth blickte ihre Schwester lange an und merkte, dass sich diese in einem eingeschüchterten Zustand befand und man daher raten musste, was ihr Problem war. Von selbst würde sie sicher nichts sagen.
„Hast du Angst vor der Untersuchung?“, wollte Lisbeth nun wissen und Minna schwieg eine ganze Zeit. Während Minna nach einer Antwort suchte, trank Lisbeth ihr Weinglas aus und Jakob sagte leise: „Schach!“
Minna öffnete