Körperangst. Joana Goede

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Körperangst - Joana Goede

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      „Und waren Sie mal in einem Schlaflabor oder so?“

      „Nein, was sollte ich da?“, fragte Minna zurück und die Psychologin schaute etwas verständnislos, weil doch jeder wusste, dass im Schlaflabor der Schlaf überwacht wurde und man anschließend sagen konnte, wo die Probleme lagen. Minna sah also ein, dass sie das näher erklären musste. „Ich schlafe ja eben nicht. In so einem Labor würde ich gar nicht erst einschlafen können, sondern die ganze Zeit wach herumliegen. Da können sie ja keine Schlafphasen oder sowas untersuchen.“

      Die Psychologin nickte dazu und schrieb wieder etwas in ihren Block. Minna hätte allzu gern mal einen Blick hinein geworfen. Oder vielleicht auch lieber nicht.

      „Und wenn Sie nicht arbeiten, schlafen Sie dann nachts auch nicht?“

      Minna gab zur Antwort: „Ich schlafe tagsüber, in kurzen Schüben. Wenn es eben geht. Nachts in der Regel nicht.“

      „Und was machen Sie dann die ganze Zeit?“

      „Lesen, Filme gucken, den Haushalt. Ich mache die Dinge, die andere Menschen auch Zuhause machen. Nur eben nachts.“

      „Und Freunde? Wann treffen Sie sich mit Freunden?“

      „Gar nicht. Außer zu meiner Schwester, meinem Freund und meinem Neffen habe ich keine Kontakte. Auch nicht in sozialen Netzwerken.“

      „Warum nicht?“

      „Sowas ist mir zu stressig.“

      Die Psychologin ließ ihren Stift eifrig über den Block flitzen, dabei klimperten ihre Armreifen sehr. Minna verzog leicht ungehalten das Gesicht. Sie fragte sich, in welche Schublade sie wohl gerade gesteckt wurde. Im Raum war es ziemlich still. Bis auf das Geräusch des Schreibens und das Geklimper. In Minnas Kopf passierte viel, nach außen hin wirkte sie aber wie versteinert. Die Psychologin hatte zuende geschrieben, überflog offenbar ihre Notizen und wollte dann wissen: „Haben Sie Träume?“

      Minna glotzte nun vollkommen überfordert auf die Frau vor, die sie ruhig und geduldig ansah. Träume. Hatte Minna Träume? Minna wusste nicht, ob sie welche hatte, ob sie je welche gehabt hatte. Was waren schon Träume? Träume von einem besseren Leben?

      Da Minna mit dieser allgemeinen Frage nichts anfangen konnte und keinen Ton dazu sagte, fügte die Psychologin erklärend hinzu: „Ich meine sowas wie eine große Reise in ein fernes Land, die Sie immer mal machen wollten, eine Familie gründen, ein schönes, großes Haus mit hübschem Garten. Sie verstehen schon.“

      Minna sagte nun: „Nein. Solche Träume habe ich nicht.“

      „Haben Sie denn Hoffnungen?“

      „Nein.“

      „Was ist mit Ihrem Freund. Denken Sie beide daran, zu heiraten?“

      „Keine Ahnung.“

      „Sind Sie denn sehr verliebt?“

      „Sicher.“

      Die Psychologin bemerkte wohl, dass man an Minna nicht so leicht herankam. Minna redete von sich aus nicht gern und um sie zum Reden zu kriegen, war mehr als direktes Fragen nötig. Sie sprach zu allem Überfluss auch gar nicht gern über sich selbst. Da erzählte sie schon eher mal etwas über ihre Schwester oder deren Sohn. Aber sicher nicht über sich. Minna war im Grunde alles peinlich, was sie hätte sagen können. Der einzige, vor dem sie sich nicht schämte, war ihr Freund. Und bis zu gewissen Grenzen auch ihre Schwester. Vor allen anderen wollte Minna sich am liebsten dauerhaft verbergen.

      Es gab keine Uhr im Raum, dabei hätte Minna gern in Erfahrung gebracht, wie lange sie hier noch aushalten musste. Aufs Handy zu schauen, war ihr gerade zu unhöflich. Und eine Armbanduhr trug sie eher selten.

      „Wie sieht es mit Hobbys aus?“

      Minna war sich nicht sicher, was man von ihren Tätigkeiten als Hobby bezeichnen konnte. So sagte sie: „Weiß nicht. Lesen, Filme gucken. Im Internet surfen. Was man eben so tut.“

      „Nichts Außergewöhnliches?“

      „Nein.“

      Die Psychologin bemühte sich darum, weiterhin ein freundliches Gesicht zu machen. Immerhin war es ja genau ihr Job, sich mit Menschen mit psychischen Störungen zu beschäftigen und diesen zu helfen. Bei Minna hatte sie den Eindruck, dass Minna gar keine Hilfe wollte. Sie lebte offenbar isoliert, schien sich daran allerdings nicht so sehr zu stören. Es war ja auch nichts dagegen zu sagen, wenn man Freund, Schwester und Neffen hatte. Einigen reichten so wenige Beziehungen. Die Psychologin war sich nicht ganz sicher, wo sie bei Minna ansetzen sollte.

      „Würden Sie von sich sagen, dass Sie an einer Depression leiden?“

      „Kann sein“, brummte Minna. Dieses Depressionsgetue hatte sie immer für überflüssig gehalten. Man bekämpfte depressive Episoden mit irgendwelchen Tabletten, von denen man sich besser fühlen sollte. Minna hatte sich davon nie besser gefühlt, sie war eher noch nervöser und ängstlicher geworden und das konnte sie nun wirklich nicht brauchen.

      „Ist sowas bei Ihnen denn mal untersucht und behandelt worden?“

      „Ja, aber ich vertrage diese Antidepressiva nicht. Ich werde davon sehr unruhig und kriege mehr Panikattacken.“

      Die Psychologin notierte sich mit sehr ernster Miene etwas und sagte dann zu Minna: „Für heute sind wir fertig. Wir können fünf Sitzungen machen und dann entscheiden, ob eine Therapie sinnvoll wäre oder nicht. Sie können dann immer noch Nein sagen, wenn Sie nicht möchten. Ist das in Ordnung für Sie? Sehen wir uns nächste Woche?“

      „Ist ok“, brummte Minna, die erleichtert war, endlich aufstehen und gehen zu können. Sie verabschiedete sich so schnell wie möglich von der Frau in der grünen Bluse, versprach, in der nächsten Woche zur selben Zeit wiederzukommen und schon hatte sie den Raum verlassen. Draußen im Flur atmete sie erst einmal tief durch. Es gab mehrere Therapieräume in dieser Praxis, insgesamt vier Psychologen. Minna verließ die Praxis mit Scheuklappen und blieb erst im Treppenhaus des Ärztehauses stehen. Dort suchte sie sich eine Ecke, um kurz zu verschnaufen. Ein wenig Alleinsein. Zuhause wartete Niklas auf sie. Und gerade brauchte sie eigentlich eher Ruhe.

      Sie wagte auch gar nicht, auf ihr Handy zu sehen, ob dort vielleicht eine Nachricht für sie eingegangen war. Womöglich von Lisbeth, die sie bat, Jakob irgendwo hinzufahren oder ihn abzuholen. Von Niklas, der sie fragte, wie es war.

      Minna stand eine Weile nur tief atmend da und starrte an die Wand vor sich. Eine ganz normale weiße Wand. Darauf konnte man nichts Interessantes entdecken. Meistens wirkten weiße Wände auf Minna irgendwie beruhigend. Sie waren so einheitlich, nichts daran stach ins Auge. Die Augen mussten sich auch auf nichts konzentrieren, denn es war ja nichts da. Das Weiß verschwamm dann, das entspannte die Augen und damit auch Minna. Das einzige Problem am Weiß war, dass es so stark das Licht reflektierte. Und Minna war extrem lichtempfindlich. Ihre Pupillen zogen sich schnell heftig zusammen und im Grunde musste sie bei hellem Licht die Augen direkt schließen. Oder schon bei Tageslicht eine Sonnenbrille tragen. So wandte sie sich nach wenigen Minuten wieder von der Wand ab, innerlich etwas ruhiger, weniger gestresst, und suchte den Ausgang.

       Niklas saß auf dem Sofa in Minnas kleiner Wohnung und las in einem Buch. Er hatte eine Vorliebe

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