Körperangst. Joana Goede
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Читать онлайн книгу Körperangst - Joana Goede страница 6
Die Wohnung war ganz einfach eingerichtet. Es gab nicht sonderlich viele Möbel, dafür allerdings ein großes Bett im Schlafzimmer. Minnas schlief ja schlecht bis gar nicht, deswegen brauchte sie ein Bett, in dem sie viel Platz hatte. Ständig umdrehen, umlegen. Lag Niklas dabei, wurde es schon schwierig. Es gab so viel, was man bei Minna beachten musste, wenn man mehr oder weniger mit ihr zusammen wohnte. Für Niklas ergab sich vieles davon von allein, weil er ebenfalls kein Licht und keine Kälte ertrug, keine lauten Geräusche, keine Menschen. Niklas zog sich gern zurück. Auch durchaus mal in seine eigene Wohnung. Es war wichtig für beide, dass jeder seine eigene Wohnung behielt. Sonst wäre es ihnen schnell zu eng geworden.
So war Niklas meistens bei Minna, sie sehr selten bei ihm. Und manchmal zogen sie es vor, jeder Zeit für sich in der eigenen Wohnung zu verbringen. Das war auch wichtig.
Als Minna den Schlüssel in die Tür steckte, legte Niklas sein Buch nicht zur Seite. Er wusste, dass sie es nicht mochte, direkt nach ihrer Ankunft von der Anwesenheit eines anderen überfallen zu werden. Am besten war, man beachtete sie gar nicht. So verfolgte Niklas weiter stumm Sherlock Holmes, während Minna sehr leise die Wohnung betrat, die Jacke aufhing, die Schuhe auszog und Niklas nur mit einem kurzen „Hallo“ begrüßte. Danach stoplerte sie schon in die Küche und machte sich mit fahrigen Bewegungen einen Kaffee. Man hörte es daran, dass ihr der Löffel herunterfiel, sie mehr Geräusche machte als sonst. Minna war gestresst. Mit dem Kaffee kam sie dann nicht ins Wohnzimmer sondern blieb in der Küche. Dort befand sich ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, an dem man ganz gut sitzen konnte. Niklas las einfach weiter und wartete darauf, dass Minna von sich aus zu ihm kam. Alles andere hätte sie nur unnötig unter Druck gesetzt, Fragen mochte sie ja gar nicht. Und Niklas war ein sehr geduldiger Mensch.
Er lauschte allerdings genau darauf, was Minna in der Küche so tat. Niklas' Gehör funktionierte nämlich hervorrragend. Schon ganz leise Laute konnte er wahrnehmen, was zum Teil eine Qual war, weil er eben auch alles andere lauter hörte, jedoch auch Vorteile hatte. So bemerkte er deutlich, wie Minna in der Küche mehrfach tief Luft holte, was sie tat, um sich zu beruhigen. Wenn Minna Angst hatte oder sogar eine Panikattacke, dann legte sie meistens den Kopf auf einen Gegenstand, manchmal in ihre Hände, und atmete ganz tief ein und ganz tief aus. Das klang ein bisschen so, wie wenn jemand inhaliert. Das hatte auf Minna einen entspannenden Effekt, ihr Herz klopfte nicht mehr so schnell, ihre Hände zitterten weniger.
Nach etwa einer Viertelstunde, in der Minna fast bewegungslos in der Küche gesessen und Niklas ihr beim Atmen zugehört hatte, kam sie mit ihrer Kaffeetasse langsam aus der Küche hervor und blieb im Türrahmen stehen. Sie stand auf diese Weise hinter Niklas, da sich das Sofa mitten im Raum befand. Zuerst sagte sie nichts, dann kam es doch leise aus ihrem Mund: „Hast du die ganze Zeit gelesen?“
Niklas wusste, dass nun der Moment war, wo er mit Minna relativ normal reden konnte. Trotzdem legte er sein Buch zunächst nicht zur Seite und wandte sich nicht um, als er antwortete: „Ja, sicher. Es ist ja gemütlich, hier zu sitzen und zu lesen. Deine Wohnung ist sehr still. In meiner höre ich ständig die Nachbarn.“
Minna erwiderte: „Die Nachbarn arbeiten ja noch. Wenn sie Zuhause sind, hört man sie hier doch auch.“
„Nicht so wie bei mir“, widersprach Niklas, „meine Nachbarn haben gerade Zwillinge bekommen, die brüllen immer abwechselnd. Du hast sie noch gar nicht gehört. Sie sind so laut, als seien sie in meinem Schlafzimmer.“
Minna kam, während Niklas sprach, langsam auf ihn zu und legte dann, hinter ihm stehend, eine Hand auf seine Schulter, ganz vorsichtig. Die Suche nach körperlicher Nähe. Wenn Minna von sich aus Kontakt aufnahm, war das immer ein gutes Zeichen. Niklas konnte sein Buch nun zuklappen und es zur Seite legen, anschließend drehte er den Kopf und blickte zu Minna hoch. Sie sah geschafft aus. Hielt sich an der Kaffeetasse fest wie an einem Rettungsring und an Niklas' Schulter wie an einem zweiten. Niklas legte seine warme Hand auf ihre kalte und sagte: „Es ist schön, dass du wieder da bist.“
Minna blickte zu ihm herunter und dachte ebenfalls, dass er sehr müde aussah. Sie meinte: „Du arbeitest zu lange. Kannst du nicht wieder weniger fahren? Du schlägst dir im Taxi die Nächte um die Ohren, die du besser im Bett verbringen solltest.“
„Es ist schon ok“, behauptete Niklas, „wenn ich dich sehen will, muss ich nachts eben arbeiten. Müde wäre ich auch, wenn ich morgens um 6.00 Uhr aufstehen müsste.“
„Das sagst du nur, damit ich mich nicht schlecht fühle. Aber ich fühle mich schlecht. Du machst das nur meinetwegen.“ Minna kam nun um das Sofa herum, stellte ihre Tasse auf den Wohnzimmertisch und setzte sich neben Niklas. Von da aus blickte sie ihn etwas traurig an.
„Du bist es doch wert“, erklärte Niklas lächelnd, griff nach ihrer Hand und drückte sie fest, um ihr zu signalisieren, dass wirklich alles in Ordnung war. Minna kam nicht damit zurecht, wenn man etwas für sie tat. Es war ihr unangenehm, sie hatte dann das Gefühl, es sofort wieder gut machen zu müssen und das ging eben nicht.
Niklas beschloss, das Thema zu wechseln. Deswegen erzählte er schnell: „Meine Schwester hat angerufen. Sie lässt sich jetzt wohl tatsächlich richtig scheiden. Von ihrem Mann. Zumindest klang sie irgendwie so, als habe sie sich entschieden. Du weißt ja, dass es da schon lange Probleme gibt.“
„Ja“, sagte Minna. Niklas' jüngere Schwester Caroline interessierte sie nicht wirklich und von diesen Eheproblemen hatte sie auch die Nase voll. Doch sie sah ein, dass Niklas darüber sprechen musste, schließlich war es seine Schwester, zu der er eine ganz gute Beziehung hatte.
„Sie ist sich noch nicht sicher, wie sie es machen will. Vielleicht zieht sie mit Mike hierher.“ Minna erschrak ein wenig. Caroline und ihr sechsjähriger Sohn Mike in derselben Stadt, das konnte ja nur anstrengend werden. Sicher wollte Caroline dann häufiger eben mal zu Besuch kommen, womöglich noch das Kind zum Aufpassen da lassen. Wenn Minna ihre Ruhe gefährdet sah, wurde sie panisch. Niklas sah das bereits in ihren Augen, so dass er schnell hinterherschob: „Es ist aber nicht sicher. Sie überlegt eben momentan. Erst wollte sie ja komplett zu meinem Bruder ziehen. Aber sehen wir mal. Du brauchst keine Angst haben. Meine Schwester hält nicht viel von Familienbesuchen. Sie wird uns nicht auf die Nerven gehen, das verspreche ich dir.“
„Ja, ok“, brummte Minna. Etwas kleinlaut und holte sich ihre Kaffeetasse, um viel auf einmal daraus zu trinken. Sie wusste nicht, ob sie nun von ihrer Therapie erzählen sollte oder nicht. Im Grunde gab es da ja nichts zu berichten, das interessant gewesen wäre. Und doch wusste sie, dass Niklas natürlich darauf wartete. Er war nur zu rücksichtsvoll, um zu fragen. Sie bemühte sich nun, die Angst vor Caroline und ihrem Kind zu verdrängen, und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, ihre Sitzung von gerade möglichst kurz zusammenzufassen.
Niklas war zwar nicht fertig damit, von seiner Schwester zu erzählen, trotzdem fuhr Minna ihm dazwischen, weil sie sich gerade traute und die Gelegenheit nützen musste: „Die Psychologin hat nur viel gefragt. Sonst war nichts. Sehr anstrengend. Ich bin kaputt. Vielleicht lege ich mich gleich hin. Sie verschafft sich erstmal einen Überblick über mich, glaube ich. Nächste Woche gehe ich wohl wieder hin, vielleicht kann ich dann mehr erzählen.“